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DIE ZEIT, Nr. 32, 2.8.2001
Rubrik Bücher
K R I E G & M E D I E N
Die Fiktion vom sauberen Waffengang
Von Rudolf Walther
Früher arbeiteten Kriegsberichterstatter weitab vom Schlachtfeld.
Versorgt mit Agentur- und Zeitungsberichten, saßen die Kenner der
Armeen, Befehlshaber, Waffen und Ausrüstungen an ihren Schreibtischen,
studierten Karten, konsultierten Kriegsgeschichten und
Strategiehandbücher, um die militärische Lage und die Aussichten zu
beurteilen. Heute fahren Kriegsberichterstatter möglichst nahe ans
Geschehen auf den Schlachtfeldern heran und beobachten die
Verantwortlichen in den Kommandostäben.
Auch der britische Historiker und Publizist Michael Ignatieff suchte
ihre Nähe, um dem Leser den Kosovo-Krieg zu erklären. Vor dem Krieg
bewegte er sich im Tross des amerikanischen Unterhändlers Richard
Holbrooke. Während des Krieges besuchte er den Nato-Oberbefehlshaber
General Wesley K. Clarke in der Brüssler Kommandozentrale. Nach dem
Krieg traf er sich in Den Haag mit Louise Arbour, der kanadischen
Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals. Schließlich reiste er
nach Belgrad und in das Kosovo. In Belgrad traf er alte serbische
Freunde, im Kosovo Angehörige von Opfern serbischer Verbrechen,
albanische Flüchtlinge und Vertriebene.
Von allen Stationen zeichnet Ignatieff plastische Bilder, wie sie nur
aus unmittelbarer Anschauung zu gewinnen sind. So gewandt er seine
Aperçus, Tableaus und Porträts serviert, so wenig tragen sie indes zur
Aufklärung über den Kosovo-Krieg bei. Erst im letzten und längsten
Kapitel des Buches mit dem Titel Virtueller Krieg kommt der Autor auf
substanzielle Fragen zu sprechen. Obwohl er das Adjektiv "virtuell"
überstrapaziert und damit tendenziell alles bezeichnet, was sich in
Kriegsführung und Kriegsberichterstattung seit dem Golfkrieg 1991
geändert hat, handelt es sich um eine scharfsinnige Analyse. Ignatieff
sieht die Gefahren, die damit verbunden sind, wenn eine Kriegspartei
"Gewalt moralisch als Gerechtigkeit überhöht" und doch den Anspruch, aus
"humanitären" Motiven zu handeln, schon durch die Praxis verletzt.
Nichts schlägt so leicht in Barbarei um, wie der selbstgerecht geführte
Kreuzzug gegen vermeintliche oder wirkliche Barbaren.
"Die Revolution in militärischen Angelegenheiten" zeigt sich im Einsatz
von Computern und in der unerhörten Steigerung der Präzision und
Durchschlagskraft der angewandten Waffen. Diese Revolution hat zwar die
Soldaten weitgehend von den Schlachtfeldern verdrängt, aber den Krieg
keineswegs weniger brutal gemacht. Die Luftangriffe auf
Regierungsbezirke, Kommandozentralen und Versorgungsnetzwerke sind mit
erheblichen "Kollateralschäden" verbunden. Sie treffen vorwiegend die
Zivilbevölkerung.
Enorme Veränderungen bewirkt die neue Kriegsführung für die
Kriegsberichterstattung. In einem bisher unbekannten Maße werden
Journalisten zu "Kombattanten", die "die Realität ins Virtuelle
verkehren", was es für den Zuschauer auf beiden Seiten schwierig macht,
"das kleine Körnchen Wahrheit herauszusieben" aus einer Masse von
Desinformation und Propaganda. Bilder von Elend, Flucht und Vertreibung
mobilisieren - wie ein britischer Außenminister Ignatieff anvertraute -
die "Man-muss-etwas-tun-Brigade" der Medienintellektuellen. Das Beispiel
Serbien zeigt, dass im Medienkrieg nicht unbedingt die stärkeren
Bataillone gewinnen. In Brüssel scheute die Nato keine Mittel und keine
Tricks, um "die Fiktion vom sauberen und fehlerfreien Krieg" aufzubauen.
Gleichzeitig konterte Milocevic die militärische Überlegenheit der Nato
damit, dass er Journalisten und Kameraleute ins Land lockte, um Schäden
und "Kollateralschäden" der Bomdardements dokumentieren zu lassen.
Zum "virtuellen Krieg" gehört auch, dass "der Konsens zur Kriegsführung"
an den nationalen Parlamenten und an den UN-Institutionen
vorbeiarrangiert wird - durch Sachzwänge, semantische Manöver und die
Beruhigung der Öffentlichkeit mit dem Versprechen, auf der eigenen Seite
solle es keine Opfer geben. Etwas eigenartig berührt den Leser, dass
Ignatieff immer "wir" und "unsere" sagt, wenn er von Entscheidungen und
Einschätzungen aus einem kleinen Kreis von Militärs und Politikern sowie
deren publizistischen Verstärkern redet. Dazu verführte ihn wohl die
eingangs beschriebene Nähe zu den Dirigierenden.
Michael Ignatieff: Virtueller Krieg Kosovo und die Folgen; aus dem
Englischen von
Angelika Hildebrandt; Rotbuch Verlag, Hamburg 2001; 217 S., 34,- DM
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