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TELEPOLIS: Kosmetik an der Lauschverordnung



Kosmetik an der Lauschverordnung

Stefan Krempl   07.08.2001

In Berlin kursiert ein aufgefrischter Entwurf für die
Telekommunikations-Überwachungsverordnung
 
Die Zukunft der von der Wirtschaft geschlossen als "unverhältnismäßig"  
abgelehnten Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV), mit der die
Bundesregierung Ermittlern den großen Lauschangriff auf die Surfer
ermöglichen will, ist nach wie vor ungewiss ( Rot-Grün will
Telekommunikation lückenlos überwachen [0]). Während im Bundestag noch die
Ergebnisse der Anfang Juli abgehaltenen Anhörung [1] zur
Cybercrime-Bekämpfung zusammengestellt werden, befindet sich ein
überarbeiteter Entwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi)  
gerade in der Abstimmung zwischen den Ressorts. Die neue Version, die
Telepolis vorliegt, entstand in Folge einer früheren Anhörung Anfang April
beim BMWi in Bonn. Sie geht also nicht auf die im Parlament laut gewordene
Kritik ein. Telepolis hat die wichtigsten Änderungen in dem noch als
"vertraulich" geltenden Papier zusammengestellt.
 
 
 
Generell sieht die vor allem auf dem Telekommunikationsgesetz (  TKG [2])
beruhende TKÜV vor, dass Betreiber von Telekommunikationsanlagen, die sich
mit ihren Diensten an die Öffentlichkeit richten, Strafverfolgern mit
Hilfe technischer Vorkehrungen beim Abhören verdächtiger Nutzer unter die
Arme greifen müssen. Dazu sollen die Anbieter auf eigene Kosten eine
technische Infrastruktur zur Überwachung der gesamten Telekommunikation
einschließlich des Internetverkehrs schaffen ( Rot-Grün will
Telekommunikation lückenlos überwachen [3]).
 
Die geplante Verordnung, die von einem Referat mit dem unscheinbaren Namen
"Sicherheit in der Telekommunikation" im Bundeswirtschaftsministerium [4]
in enger Absprache mit dem Bundesinnenministerium erstellt wird, ist seit
ihrem erstmaligen Auftauchen im Frühjahr 1998 ein immerwährender Stein des
Anstoßes. Die Wirtschaft kämpft unisono gegen die TKÜV ? vor allem wegen
der sich allein bei Internet-Providern auf zwei- bis dreistellige
Millionenbeträge belaufenden Kosten für die Installation der Technik, die
eine verordnungsgerechte Überwachung möglich machen würde. Genauso wie
Datenschützern und Parlamentariern stoßen Wirtschaftsverbänden aber auch
die von der TKÜV ausgehenden immensen Grundrechtseingriffe sauer auf.


Zermürbungstaktik 

 
Die bisherige Geschichte der TKÜV-Entwürfe ist angesichts der
geschlossenen Front gegen die Abhörpläne von einem langsamen, aber
stetigen Zurückschrauben der Forderungen der Ermittler gekennzeichnet ?
ohne dass dabei aber jemals die Kernpunkte der Kritik aufgegriffen würden.
Anscheinend ist es das Ziel der Abhörspezialisten im BMWi sowie der
Bundesregierung, durch immer neue kleine Zugeständnisse die Widerstände
langsam abzubauen. Auch mit dem jüngsten Entwurf, der noch nicht offiziell
abgesegnet ist und zahlreiche interessante Anmerkungen von seinen
Verfassern enthält, führt das federführende Wirtschaftsministerium diese
Zermürbungstaktik fort.
 
Die meisten Änderungen in dem Papier, das Stellungnahmen zur Anhörung im
BMWi vom Frühjahr zu berücksichtigen sucht (  Anhörung: Harsche Kritik an
Abhörplänen der Bundesregierung [5]), sind reine Schönheitskorrekturen. So
wird der mehrfach als "schwer verständlich"  bezeichnete Begriff des
"Doppels" der an die Strafverfolger zu übermittelnden Kommunikation
beispielsweise durch das Wort "Kopie"  ersetzt, und aus dem "Endnutzer"
wird ein "Teilnehmer". Beim unscharfen Begriff der zu überwachenden
"Kennung" bleibt dagegen weit gehend alles beim Alten. So lassen die
Autoren den Ermittlern weiterhin alle Möglichkeiten offen: Auszumachen
sollen abzuhörende Teilnehmer nun anhand einer "Rufnummer" oder "anderen
systemtypischen Kennungen" sein.  Darunter fallen weiterhin IP- oder
Email-Adressen, auch wenn die branchenüblichen Begriffe im
"technikneutralen" Verordnungstext nirgends auftauchen.


Unverzüglich statt unmittelbar


Die wirklich gravierenden Änderungen in dem jüngsten Entwurf lassen sich
an einer Hand abzählen. Dem neuen Wortlaut zufolge haben Verpflichtete
Anordnungen zum Aufzeichnen der Kommunikation nun "unverzüglich"
umzusetzen. Zuvor forderten die Ermittler einen "unmittelbaren" Start der
Abhörmaßnahmen. Was sich zunächst wieder wie eine Detailveränderung
anhört, könnte in der Praxis den Verpflichteten zumindest mehr Luft zum
Atmen lassen. Denn gingen die Mitarbeiter des Referats Sicherheit in der
Telekommunikation bislang von einer Zehn-Minuten-Frist unter normalen
Bedingungen aus, fehlt diese Zeitvorgabe nun. Die Maßnahmen müssten allein
"ohne schuldhaftes Verzögern" eingeleitet werden, heißt es im BMWi.
 
Auch die ausdrückliche Vorschrift, dass Verpflichtete die formale
Richtigkeit einer Anordnung selbst überprüfen müssen, wurde gestrichen.  
Sie sei sogar bei "den Vertretern der Ressorts und der berechtigten
Stellen" auf Widerstand gestoßen, bemerken die Bonner Abhörexperten.  
Aber letztlich ändere die Streichung der entsprechenden Klausel nichts
daran, dass "der Verpflichtete vor Herausgabe irgendwelcher
Kommunikationsdaten sorgfältig prüfen muss, ob er dazu berechtigt ist".
 
Abweichungen von den in der Praxis nur mit erheblichem personellen und
technischen Aufwand zu gewährleistenden Bestimmungen hatte der
Referentenentwurf vom Januar bereits für Anbieter vorgesehen, die nicht
mehr als 2000 Endnutzer versorgen. Ihnen sollte es frei stehen, die im
Jargon der Netzprovider als "Abhörkisten" titulierten technischen
Einrichtungen zur Überwachung selbst permanent vorzuhalten oder sich
zusammen mit anderen Betreibern einen mobilen "Gerätepark"  anzuschaffen.
In der überarbeiten Version gelten "weichere"  Bestimmungen nun für
Betreiber, die nicht mehr als 10.000 Teilnehmer bedienen. Ihnen wird eine
Frist von 24 Stunden nach Benachrichtigung gewährt, um die geforderten
Maßnahmen in Gang zu bringen.  Wirtschaftsverbände hatten allerdings eine
Erhöhung der Kundenzahl auf 15.000 bis 20.000 verlangt.


Druck abbauen


Aufschlussreich ist die Begründung für das Zugeständnis: Dem Wunsch nach
Aufstockung der Teilnehmer sei man zumindest teilweise nachgekommen, "da
eine spürbare Beeinträchtigung der berechtigten Stellen nicht zu erwarten
ist, auf diesem Wege aber Druck abgebaut werden kann." Dem Zuckerbrot
folgt in den meisten anderen Fällen, in denen sich die Wirtschaft für
Änderungen stark gemacht hat, allerdings die Peitsche: "Der Anregung wird
nicht Folge geleistet", ist in den Bewertungen der Eingaben oft ohne
weiteren Kommentar zu lesen. Vor allem wenn es um Kostenerstattungen geht,
blocken die Autoren die Einwände stereotyp mit der Klausel ab, dass
Kostenfragen generell "nicht Gegenstand der TKÜV" sind.
 
"Völlig neben der Sache" fanden die Beamten gar die Stellungnahmen von
Verbänden zu den am Ende der Verordnung getroffenen Ausnahmeregelungen.  
Darin waren ursprünglich beispielsweise Betreiber von Netzen aufgeführt,
durch die Daten mit einer Geschwindigkeit von über 2 Megabit pro Sekunde
rasen. Im aktuellen Entwurf ist davon nicht mehr die Rede. Von der
grundsätzlichen Verpflichtungen zur Vorhaltung der Abhörtechnik sind nun
nur noch TK-Anlagen ausgeschlossen, an denen nicht mehr als 1000
Teilnehmer hängen, oder Einrichtungen, die nur zur Übermittlung von
Notrufen dienen.
 
Mehr Spielraum wollen die Überwacher ihren unfreiwilligen Hilfssheriffs
bei den Pool-Lösungen lassen: Allen Betreibern wird anheimgestellt, sich
ähnlich wie in Holland mit mobilen Abhörboxen zu behelfen. Wie damit die
Forderungen nach einer "unverzüglichen"  Einleitung von
Überwachungsmaßnahmen nachgekommen werden soll, lassen die Verfasser
allerdings offen.


Pool-Lösungen sind keine Lösung


Der vor allem die Interessen der Internet-Provider vertretende Verband eco
hat in seiner Stellungnahme zur Anhörung im Bundestag Anfang Juli (
Fingerlecken für die Stasi? [6]) auch bereits darauf hingewiesen, dass
sich die Vorgaben der TKÜV nicht mit Geräteparks umsetzen lassen.  Allein
zur Überwachung der Kunden, die sich von Zuhause aus per Modem oder ISDN
ins Netz einwählen, müssten alle Zugangspunkte gleichzeitig mit den
Abhörgeräten ausgerüstet sein, erläuterte Tobias Gramm, Justiziar beim
Provider  UUNet [7]. Konkret bräuchte der zum WorldCom-Konzern gehörende
Anbieter dafür 200 Boxen. Zur Überwachung von Nutzern, die über
Standleitungen ins Internet gehen, seien weitere 160 Geräte erforderlich.
Die reinen Anschaffungskosten für die gesamte Überwachungstechnik lägen
für UUNet daher auch nach der Neufassung des Verordnungstextes bei rund 75
Millionen Euro.
 
Auch der Kritikpunkt der Provider, dass sie durch die TKÜV den für sie
überlebenswichtigen Zukunftsmarkt der Verschlüsselungsdienstleistungen
nicht bedienen können, ist in dem neuen Entwurf nicht berücksichtigt.  So
fordern die Ermittler nach wie vor, dass der "netzseitige Schutz"  der
einem Anbieter "anvertrauten" Telekommunikation vor der Übergabe der
verlangten Kopien aufzuheben ist oder ihnen Nachschlüssel zur Verfügung
gestellt werden. Den Einwänden der Wirtschaft, dass durch diese Bestimmung
"Sollbruchstellen" in kryptographische Lösungen Einzug halten und so das
Vertrauen der Nutzer in das Internet und den E-Commerce unterlaufen würde,
wollen sich die Spezialisten im BMWi nicht anschließen.
 
Mit keiner Silbe gehen die Autoren zudem auf den Vorschlag der Provider
ein, zur Vermeidung einer Mehrfachüberwachung der Telekommunikation die
erforderlichen Daten bei den Ortsvermittlungsstellen der eigentlichen
Carrier abzusaugen, bei denen auch die Internet-Provider ihre Leitungen
mieten (  Provider entwickeln Alternative zur geplanten Netz-Überwachung
[8]).


Effizienz der Überwachung ist kein Thema bei den Ermittlern 


Auch der Diskussion über die bisher nicht vom Gesetzgeber erforschte oder
nachgewiesene Effizienz der ständig zunehmenden Überwachungsmaßnahmen
stellt sich das einst zum Bundespostministerium gehörende
"Sicherheitsreferat" nicht. Dabei hatte der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag (  DIHK [9]) während der parlamentarischen Anhörung mit
Nachdruck gefordert, dass das Einholen solcher Erkenntnisse für den
Verordnungsgeber unumgänglich sei angesichts der gleichzeitig
vorgenommenen gravierenden Grundrechtseinschränkungen. Die TKÜV sei daher
genauso wie die ihr zugrundeliegenden Gesetze noch einmal gründlich zu
überprüfen. Die Verfasser des TKÜV-Entwurfs sehen in diesem Bereich
allerdings "keinen Regelungsspielraum".
 
Wie es mit der auch in weiten Teilen des Wirtschaftsministeriums
ungeliebten Lauschverordnung nun konkret weiter geht, kann momentan in
Bonn oder Berlin keiner sagen. Theoretisch rechnet das weit gehend
isolierte TKÜV-Referat genauso wie das Bundesinnenministerium damit, dass
die Abstimmung des neuen Entwurfs bis zum September erfolgt und das
Konstrukt Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt. Doch
Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hat ? überrascht von der Welle der
Empörung bei allen wichtigen Wirtschaftsverbänden über die TKÜV ?
inzwischen den Einstieg in einen "ergebnisoffenen Dialog" angekündigt (
 Wirtschaftsminister rudert zurück [10]), der bisher aber noch nicht
gestartet wurde.
 
Auch im Bundestag haben mittlerweile alle Parteien angesichts frei
verfügbarer Verschlüsselungs- und Anonymisierungsdienste den Eindruck
gewonnen, dass die Ermittler mit der TKÜV nur die "Dummen" überwachen
wollen, wie sich jüngst just die Internet-Beauftragte der sonst stark auf
Belange der "Inneren Sicherheit" pochenden CDU/CSU-Fraktion, Martina
Krogmann, ausdrückte. Die Kritik am geplanten Lauschangriff kommt also
längst nicht mehr nur vom SPD-Netzexperten Jörg Tauss, der im Interview
mit Telepolis bereits einen Verzicht auf die kritisierten
Überwachungsmaßnahmen ins Auge fasste ( Netzüberwachung: Im Zweifel besser
sein lassen [11]).


 Links
 
 [0] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4954/1.html
 [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9020/1.html
 [2] http://www.regtp.de/gesetze/start/in_04-01-00-00-00_m/index.html
 [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4954/1.html
 [4] http://www.bmwi.de/
 [5] http://www.heise.de/newsticker/data/klp-03.04.01-002/
 [6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9020/1.html
 [7] http://www.uunet.de/
 [8] http://www.heise.de/newsticker/data/wst-16.05.01-000/
 [9] http://www.dihk.de/
 [10] http://www.heise.de/newsticker/data/hob-14.06.01-000/
 [11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9017/1.html
 
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/9259/1.html 

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