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[infowar.de] Der unsichtbare Krieg und die Medien
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Der unsichtbare Krieg und die Medien
Vielleicht ist die Meldung symptomatisch für diesen Krieg: Seit etwa
einem
Jahr gibt es erstmals Satellitenfotos in höchster, ,militärischer"
Qualität, die nicht von den Spionagesatelliten der Militärs kommen,
sondern von einer privaten Firma. Diese Fotos haben eine Auflösung von
einem Meter pro Bildpunkt, d.h. dass z.B. größere Schäden an Gebäuden,
Fahrzeugen, etc. gut sichtbar sind. Prinzipiell wären diese Bilder
jetzt
besonders interessant: könnten sie doch ein weder von der taliban-
afghanischen noch von der us-amerikanischen Propaganda verzerrtes Bild
der
Situation in Afghanistan liefern. Konjunktiv: wie es sich für einen
freien
Markt gehört, hat das Verteidigungsministerium den Satellitenbetreibern
nicht verboten, ihre Bilder zu machen - es hat bloß eine erhebliche
Summe
dafür gezahlt, die Exklusivrechte an den derzeit von Afghanistan
aufgenommenen Bildern zu bekommen - vermutlich nicht, um die eigenen,
angeblich sogar noch besser auflösenden Spionagesatelliten zu
unterstützen, sondern um zu verhindern, dass unabhängige Dritte in
Augenschein nehmen können, was in Afghanistan zur Zeit wirklich los ist.
Auch - und vielleicht gerade - im Medienzeitalter gilt, dass die
Wahrheit
das erste Opfer des Krieges ist. Wie viele darüber hinaus bisher
umgekommen sind, lässt sich zwar schätzen, aber nicht genau bestimmen.
Die
Zahlen der zivilen Opfer schwanken je nach Quelle erheblich. Noch
stärker
als im Golfkrieg handelt es sich bei den aktuellen Militäraktionen um
einen unsichtbaren Krieg: Das Pentagon bestimmt, was wir zu sehen
kriegen,
und dass ist nicht viel. Neben grünlicher Nachtbildsuppe und einigen
Vorher-Nachher-Fotografien sind es - als ob die modernen Massenmedien
nicht erfunden worden seien - Gerüchte, die weitererzählt werden,
handgeschriebene Notizen, die aus Afghanistan gefaxt werden, das
Internet,
Einschätzungen aller möglichen Expertinnen und Experten, Spekulationen.
Aber natürlich gibt es Massenmedien, und natürlich hat die Tatsache,
dass
nicht nur die Bomber unsichtbar für den Radar gemacht werden, sondern
ein
ganzer Krieg gut getarnt wird, auch etwas damit zu tun, dass das
Vietnam-
Trauma der USA nicht zuletzt auf die Bilder aus diesem Krieg
zurückzuführen ist. Sehen zu können, dass auch die Toten und Verletzten
`der Bösen' Menschen wie du und ich sind, könnte vielleicht dazu
beitragen, dass es Brüche und Lücken in der uneingeschränkten
Geschlossenheit sichtbar werden. Und das muss um nahezu jeden Preis
vermieden werden: Im Krieg sind die Gedanken nicht frei.
Da kann es dann nicht angehen, wenn ein Fernsehmoderator in einem
Kommentar die Schriftstellerin Arundhati Roy mit einem Bush-Bin-Laden-
Vergleich zitiert: Merkel sei dem vor. Da kann es dann nicht angehen,
dass
nicht nur in Stuttgart und Berlin, sondern auch schon Tage zuvor in
Paris
Zehntausende gegen diesen Krieg demonstrieren: Lieber nicht erwähnen.
Da
darf sich der kleine Koalitionspartner dann nicht die Freiheit
rausnehmen,
einer anderen Meinung als der Kanzler zu sein, was die humanitäre Lage
in
Afghanistan anbelangt, und gar - im Anschluss an die UN-Kommissarin
Robinson - eine Unterbrechung der Bombardements zu fordern. Und mancher
und manche sind sich nicht mehr sicher, ob das äußern einer Meinung sie
nicht schon unter Terrorismusverdacht stellt.
Der unsichtbare Krieg und die Medien: Vielleicht hat die ganz spezielle
und besonders extreme Unsichtbarkeit dieses Krieges auch etwas damit zu
tun, dass auch der Gegner lange Zeit unsichtbar war. Seit den
Anschlägen
vom 11. September - und ihrem schrecklichen, sciencefictionesken
Medienclip, der Tausenden Unschuldigen das Leben gekostet hat - seit
diesen Anschlägen ist da auch die Ungewissheit, die Unsicherheit:
harmlos
aussehende Dinge wie Passagierflugzeuge oder Briefumschläge können
plötzlich eine ganz andere Gestalt gewinnen und zu an der Oberfläche
nicht
erkennbaren, unsichtbaren Waffen werden. Und lange waren - und sind
vielleicht heute noch? - selbst die Täter und ihre Hinterleute
Phantome,
nur sichtbar durch ihre Taten.
Ein globales Ereignis und zugleich eine bilderlose Zeit für die Medien.
Lange hieß es, was im Medienstrom nicht sichtbar sei, existiere nicht.
Dass dem nicht so ist, ist spätestens seit dem 11. September vielen
deutlich geworden. Dennoch wäre es falsch, daraus jetzt den Schluss zu
ziehen, dass alles, was ins unsichtbare Dunkle gedeutet wird, jetzt
eintreffen müsse. Und gerade jetzt wäre und ist es nicht nur dumm,
sondern
geradezu fahrlässig, den Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie diese
Ungewissheit zu interpretieren haben. Denn gerade jetzt kommt es darauf
an, Klarheit zu gewinnen und klug zu entscheiden: und das geht nur im
gegenseitigen Dialog verschiedener Meinungen. Und solange
Satellitenfotos
aus Afghanistan aufgekauft werden, müssen es - oftmals im neuen Gewand
des
Internet - eben doch ganz alte Dinge tun: Vermutungen, Gerüchte,
Einschätzungen - die produktive Unruhe einer Gesellschaft, die sich
weder
durch Terrorismus lähmen lassen noch zur Gedankendiktatur werden will.
Gerade jetzt!
Till Westermayer
(in u-asta-info, Nr. 675, 25.10.01., Freiburg, S. 4)
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