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 Journalismus in Zeiten der Terrorbekämpfung
 
 Nathalie Roller   28.10.2001 
 
 Nach der "International Federation of Journalists" (IFJ) wird die 
Pressefreiheit seit dem 11. 9. zunehmend "nationalen Interessen" und 
dem "Patriotismus" untergeordnet 
 
   Journalism, Civil Liberties and the War on Terrorism [0] heißt der 
umfangreiche Bericht, in dem die International Federation of 
Journalists (  IFJ [1]) die mediale Berichterstattung und das Verhalten 
der jeweiligen Regierungen im Namen der Terrorbekämpfung in über 20 
Ländern unter die Lupe genommen hat. Das Ergebnis ist nicht sonderlich 
erquicklich: "Es gab zahlreiche Versuche, die Medieninhalte durch 
Regierungen zu manipulieren, indem unangemessener Druck auf 
Journalisten ausgeübt wurde, der die Qualität der Berichterstattung 
über den Konflikt beeinträchtigen kann." 
 
 
 
 Als besonders besorgniserregend wird die Eile angesehen, mit der die 
USA, Kanada, Großbritannien, Australien, Frankreich, Russland und die 
europäische Union Anti-Terror-Regelungen erlassen haben, welche die 
zivilen Grundrechte ohne vorhergehende öffentliche Debatte ernsthaft 
bedrohten. Journalisten befänden sich einerseits in einer 
"Schlüsselposition" und seien andererseits selbst "Opfer", wie im Falle 
des Journalisten aus Florida, der einem Anthrax-Brief zum Opfer 
gefallen war. Auch an der afghanischen Front würden zahlreiche 
Übergriffe auf Reporter gemeldet. 
 
 Die Tatsache, dass in den ersten Wochen nach den WTC-Anschlägen andere 
Nachrichtenthemen als der international ausgerufene Krieg gegen den 
Terror kaum bis gar keinen Platz in der Berichterstattung gefunden 
hatten, wird ebenfalls an den Pranger gestellt. Manche sollen ja davon 
reichlich profitiert haben, wie jenes Mitglied der Presseabteilung der 
britischen Regierung, das in einer internen Nachricht "von einem 
günstigen Augenblick, um unpopuläre Maßnahmen zu treffen, denn es wird 
keine Berichterstattung darüber geben", gesprochen hatte. Laut IFJ sei 
diese Anekdote durchaus glaubwürdig, denn die britische Regierung habe 
genau das getan. 
 
 Das Anti-Terror-Paket der Europäischen Union und vor allem die 
beträchtliche Erweiterung der Definition von Terrorismus könnten auch 
die Pressefreiheit gefährden, warnt die IFJ. Besonders der Passus, in 
dem die Förderung einer terroristischen Vereinigung, deren 
Unterstützung oder die Teilnahme an einer solchen" als Straftatbestand 
definiert wird, könnte in Zukunft Journalisten, die Recherchen über 
Gruppierungen anstellen, die als terroristisch angesehen werden, vor 
erhebliche Schwierigkeiten stellen. 
 
 In Frankreich machen sich die  Reporter ohne Grenzen [2] Sorgen um den 
Schutz der Vertraulichkeit ihrer Informationsquellen. Denn welcher 
"Informant" würde noch brisantes Material an einen Journalisten 
weitergeben, wenn seine Anonymität nicht mehr garantiert werden kann. 
Der aktuelle Gesetzestext sieht das Recht von Journalisten ihre Quellen 
nicht preiszugeben nur vor, wenn sie als Zeugen gehört werden. Mit dem 
Ergebnis, dass französische Medienleute zur Zeit als "Hehler" von 
vertraulichen Dokumenten oder "Komplizen" angesehen werden, um sie zur 
Preisgabe ihrer Quellen zu zwingen. 
 
 Die französischen Reporter ohne Grenzen berichten, dass Journalisten, 
die Stories über Terrorbewegungen vorbereiten, zur Zeit von der Polizei 
und Justiz mittels Verhören und Durchsuchungen zunehmend unter Druck 
gesetzt werden, um die Anonymität ihrer Quellen aufzuheben. Als ein 
klarer Fall von Zensur wird das Verhalten des Verteidigungsministeriums 
angesehen, das die Verbreitung von zivilen Satellitenbildern 
Afghanistans und der Nachbarstaaten nach dem Beginn der amerikanischen 
"Gegenattacke" schlichtweg verhindert hatte. Nur wenige Tage nachdem 
das Pentagon ähnliche Maßnahmen getroffen hatte ( 
US-Verteidigungsministerium kauft Satellitenbilder von Afghanistan 
[3]). "Wir sind (eben) alle Amerikaner", wie die Tageszeitung Le Monde 
wenige Tage nach dem 11. September getitelt hatte. 
 
 Die oberste Medienbehörde Frankreichs, die  CSA [4], erlässt derweilen 
Richtlinien, wonach TV- und Radioproduzenten besonders vorsichtig mit 
der freien Rede in Publikums- und Diskussionssendungen vorgehen sollen. 
 
 Nur wenig Gnade in den Augen des internationalen Journalistenverbandes 
IFJ, findet die britische Berichterstattung in Sachen WTC-Attentate und 
Terrorismusbekämpfung. In Zeiten wie diesen würden die UK-Medien blind 
ihrer Regierung folgen. Besonders hart wird über die BBC geurteilt: 
"The BBC goes straight into Ministry of Information mode." Auch hier 
bereiten die Anti-Terror-Gesetze den Journalisten Kopfzerbrechen. Wer 
es unterlässt, britischen Behörden Informationen über Organisationen, 
die als terroristisch angesehen werden, weiterzugeben, begeht einen 
Verstoß. Laut der IFJ existiert eine Liste derjenigen Gruppierungen, 
die als terroristisch eingestuft wurden. Auch eine Bewegung zur 
Befreiung der Kurden befindet sich auf der schwarzen Liste der 
Regierung. 
 
 Da steigt die Berichterstattung Deutschlands in der Beurteilung der 
IFJ schon wesentlich besser aus. Auch wenn der nationale 
Journalistenverband  DJV [5] die Verwendung und den Umgang mit den 
Bildern der feiernden Palästinenser knapp nach den Anschlägen auf New 
York und Washington heftig kritisiert, weil dies nur als ein lokales 
Ereignis angesehen werden könne, dass keinesfalls als Beispiel für die 
gesamte arabische Welt angesehen werden dürfe. Außerdem wäre die quasi 
einheitliche Berichterstattung der Privatsender wieder einmal ein 
schlagender Beweis für die mediale Konzentration in diesem Sektor. Der 
Umgang der Regierung mit der Pressefreiheit in Krisenzeiten wird als 
durchaus positiv bewertet: "Bislang kam es noch zu keinen offiziellen 
antiterroristischen Maßnahmen, die die Medien betroffen haben", 
schreibt die IFJ. 
 
 Russlands Berichterstattung wird von der IFJ als "objektiv und 
ausführlich" bezeichnet. Besonderes Verständnis zeigten die russischen 
Medien für die Dringlichkeit der Terrorbekämpfung. Schließlich wird der 
tschetschenische Freiheitsdrang von der russischen Regierung als 
terroristischer Akt begriffen. Der russische Journalistenverband warnt 
aber davor, dass der Kampf gegen den Terrorismus auch zur Einschränkung 
von Grundrechten führen könne. So wurden Journalisten, die Interviews 
mit tschetschenischen Führern veröffentlicht hatten, kurzum vor Gericht 
gestellt, wie Reporter ohne Grenzen berichten. 
 
 
 
 Eine gar nicht so einheitliche arabische Welt 
 
 
 
 Als ziemlich dramatisch wird die Situation der Journalisten - ob 
ausländischer oder palästinensischer Herkunft - in den 
palästinensischen Autonomiegebieten angesehen. So soll die Polizei am 
8. Oktober Journalisten in Gaza daran gehindert haben, 
anti-amerikanische Kundgebungen zu filmen. Ein französischer Kameramann 
wurde verhaftet und nach drei Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt, 4 
Journalisten seien geschlagen worden. Seit dem 9. Oktober ist der 
Zugang nach Gaza für Ausländer, inklusive Journalisten, gesperrt. 
Palästinenser dürfen nicht nach ihrer Meinung zum amerikanischen 
Einsatz in Afghanistan befragt werden. 
 
 Traurig sieht es ebenfalls für jordanische Journalisten aus. Auch wenn 
die Regierung in den letzten Jahren durch ein erhebliches Ausmaß an 
Pressefreiheit positiv auf sich aufmerksam gemacht hatte, so würde man 
von der derzeit herrschenden Krisensituation profitieren, um z. B. die 
vorübergehende oder permanente Schließung von Zeitungen gesetzlich zu 
ermöglichen, schreibt die IFJ. Geahndet werden unter anderem "falsche, 
diffamierende, für die nationale Einheit und den nationalen Ruf 
schädliche" Nachrichten. Wer dagegen verstößt, riskiert jetzt wieder 3 
bis 5 Jahre Gefängnis, denn bislang waren für solche Vergehen 
Geldstrafen vorgesehen. 
 
 In Saudi-Arabien hingegen registriert die IFJ merkliche Fortschritte 
im Umgang mit der Pressefreiheit. Die Regierung habe seit der 
irakischen Invasion Kuwaits 1990 dazu gelernt. Damals hatte es immerhin 
einige Tage gedauert, bis die Medien davon berichtet hatten. Von den 
terroristischen Attacken auf die USA am 11.September wurde die 
saudi-arabische Bevölkerung diesmal sofort in Kenntnis gesetzt. Auch 
vom amerikanischen Gegenangriff auf Afghanistan. 
 
 Quatar, das dank dem als arabischen CNN apostrophierten 
Nachrichtensender "al-Jazeera" jedem westlichen Fernsehzuschauer zum 
Begriff wurde, könnte eine Vorreiterrolle in der arabischen Medienwelt 
einnehmen. Das vom Emir Quatars finanzierte al Jazeera - ursprünglich 
war die BBC bei der Gründung mit an Bord gewesen, beschloss aber das 
Projekt wieder fallen zu lassen, als man an regionaler 
Berichterstattung gehindert wurde - spricht Themen an, die bislang für 
arabische Medien tabu waren. Internationales Renommee erlangte die 
TV-Station freilich erst mit ihren quasi Exklusivbildern vom 
personifizierten Schrecken der "westlichen Zivilisation" namens bin 
Ladin. Allerdings hat das dem Geldgeber al-Jazeeras, sprich dem Emir, 
beträchtlichen Druck von Seiten der US-Regierung eingebracht. Bei 
seinem letzten Besuch in Washington sei der Emir dringlich darum 
gebeten worden, seinen Einfluss geltend zu machen, um al-Jazeera dazu 
zu bringen, den Ton ein wenig zu sänftigen, berichtet die IFJ. 
Experten, die den USA feindlich gesonnen seien, würden hier eine 
mediale Plattform bekommen. Mittlerweile haben Bush und Blair ihre 
nationalen Fernsehnetzwerke darum gebeten, Vorsicht im Umgang mit 
al-Jazeera-Material von al-Qaida walten zu lassen. Man gab vor, dass 
die Bilder "kodierte Nachrichten" enthalten könnten. 
 
 
 
 Schwarzes Schaf USA? 
 
 
 
 Gleich drei Seiten ihres Berichts widmet die International Federation 
of Journalists den USA. Die Berichterstattung der ersten Tage nach den 
Anschlägen wird als durchaus positiv bewertet. Doch schon eine Woche 
später hätte sich der allgemeine Diskurs mehr auf Begriffe wie 
"Heldentum", "Patriotismus" und "Stars and Stripes" gestützt denn auf 
objektiven Journalismus. 
 
 "Man verlangt zur Zeit von uns in erster Linie Patrioten zu sein und 
erst dann Journalisten", berichtet ein US-Reporter. Die wenigen 
Ausnahmen wurden umgehend zur Raison gerufen, wie im Falle von zwei 
lokalen Journalisten - der eine aus Texas, der andere aus Oregon - , 
die es gewagt hatten, dem amerikanischen Präsidenten Feigheit zu 
unterstellen, weil er sich in den Stunden nach den Terrorattacken 
lieber in sein Flugzeug verzogen hätte, als sein Land staatsmännisch zu 
führen. Beiden Journalisten wurden gekündigt. Laut der IFJ hätte hier 
aber keine Intervention von Seiten der Behörden statt gefunden. Die 
jeweiligen Herausgeber hätten sich einer Autozensur unterzogen, nachdem 
die Leserschaft in einen patriotischen Sturm der Entrüstung 
ausgebrochen war. 
 
 Autozensur soll auch bei den US-Networks gewaltet haben, als fast alle 
Redaktionen unisono beschlossen hatten, keine Bilder von den WTC-Opfern 
zu bringen. "Warum den Schmerz noch vertiefen?", fragten sich 
ABC-Verantwortliche. Europäischen Korrespondenten schien aber diese 
amerikanische Zurückhaltung gewaltig auf die Nerven zu gehen. So 
beschwerte sich ein Journalist der französischen Nachrichtenagentur AF, 
gegenüber den Reportern ohne Grenzen, dass er ins Büro des New Yorker 
Bürgermeisters zitiert worden war, um das Foto eines toten 
Feuerwehrmannes, sprich eines amerikanischen Helden, nicht zu 
veröffentlichen. Auch das Fotografieren vom Trümmerhaufen, der sich 
einst World Trade Center nannte, war Journalisten nach Ankunft der 
Nationalgarde nicht mehr erlaubt. Man wurde mit Material von 
Militärfotografen versorgt. Der Zugang zu den Spitälern, in denen die 
Opfer versorgt wurden, war ebenfalls, mit einer einzigen Ausnahme, den 
Journalisten verboten worden. 
 
 Als die Radiostation Voice of America ein Exklusivinterview mit dem 
Talibanchef Mullah Omar angekündigte, zeitigte dies sofortige 
Entrüstung von Seiten des Außenministeriums. Heftig wurde interveniert, 
um die Ausstrahlung des Interviews zu verhindern. Die Radiostation 
verzichtete zunächst "freiwillig" auf die Sendung, aber nachdem 
amerikanische Journalisten eine Petition ins Leben gerufen hatten, 
entschloss man sich doch, das Interview eines "Staatsfeindes" zu 
bringen. Die Journalisten der Voice of America befürchten jedoch, dass 
das früher oder später zu einem Köpferollen in der Redaktion führen 
wird. 
 
  
 
 Links 
 
 [0] http://www.ifj.org/publications/press/pr/259.html
 [1] http://www.ifj.org/
 [2] http://www.rsf.fr/home.html
 [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/raum/9842/1.html
 [4] http://www.csa.fr/html/commdet.vep?page=CSA476.hei&date=102001
 [5] http://www.djv.de/home.html
 
 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/9933/1.html 
 
 
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