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[infowar.de] FAZ 30.10.01: Aufklaerungssatelliten koennen bis unter die Erde "sehen"



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.10.2001, Nr. 252 / Seite 8

Der große Bruder des Militärs - Aufklärungssatelliten können bis unter die Erde "sehen"
 
Aufklärungssatelliten können bis unter die Erde "sehen" / Letztlich kommt es auf den Einsatz an Ort und Stelle an / Von Siegfried Thielbeer

Können die Amerikaner vom Satelliten aus das Nummernschild eines Autos erkennen? Vieles halten sie selbst vor ihren besten Verbündeten geheim. Doch ist die theoretische Leistung der technischen Aufklärungsmittel nicht gleich ihrer praktischen Nutzbarkeit. Die theoretische Möglichkeit der Aufklärungsmittel ist atemberaubend. Schon 1960 konnte man Aufnahmen des U-2-Flugzeugs sehen - aus fast dreißig Kilometern Höhe gemacht - auf denen die Bildauflösung so hoch war, daß man die Farbmarkierungen eines Parkplatzes erkennen konnte. Längst ist man, da selbst das extrem hoch fliegende Flugzeug schließlich abgeschossen werden konnte, zur Satellitenbeobachtung aus dem Raum übergegangen. In den siebziger Jahren, als man über Raketenabrüstung verhandelte, waren die Amerikaner sicher, daß sie Abweichungen etwa bei den Dimensionen von Raketen erkennen würden, wenn sie zehn Zentimeter ausmachen.

Schon die ersten Photosatelliten wie die KH-11 waren gewissermaßen Raumteleskope, die man umgekehrt aus dem Raum gegen die Erde richtete. Photographen kennen Spiegelobjektive. Die KH-11 waren eigentlich nur Steuerungs- und Datenverarbeitungseinrichtungen um ein gigantisches Spiegelobjektiv herum, dessen Durchmesser etwa zwei Meter betrug. Die optimale Auflösung solcher Objektive - fünf Zentimeter im Spektrum des sichtbaren Lichts - erreichte man, jeder Photograph kennt die Differenz, nur unter idealen Bedingungen und bei kürzester Distanz, etwa bei direktem Aufblick aus etwa 200 Kilometer Entfernung. Hauptproblem war die Atmosphäre: Das Schwirren der Luftschichten und die Luftverschmutzung ließen die "Schärfe" in den meisten Fällen geringer werden. Man nahm daher computergesteuerte Verbesserungen vor, indem man durch winzige Verschiebungen der optischen Achse die Luftströmungen einigermaßen kompensierte. Solche Film-afnahmen, die in Kapseln zur Erde geschossen wurden, konnten dann in den Photoaswertungszentralen in Amerika verbessert werden: "Image-Processing". Mit Hilfe der Computer macht man die Bilder künstlich "schärfer". Die verschiedenen Spektren werden zerlegt, jedes wird für sich optimiert, und dann setzt der Computer ein neues "virtuelles" Bild zusammen. Es ist ähnlich wie beim Augenarzt. Eigentlich erkennt das Auge den Buchstaben O oder das V nicht wirklich scharf, aber da das Gehirn weiß, wie ein O oder ein V aussieht, suggeriert das Hirn eine größere Schärfe.

Mit der Auswertung verschiedener Spektren ergaben sich auch andere Erkenntnismöglichkeiten. Das menschliche Auge würde etwa über einer Hütte nur eine Rauchwolke erkennen. Mit der Computeranalyse aber kann man, innerhalb gewisser Grenzen, erkunden, ob in der Hütte ein Kohle- oder ein anderer Ofen brennt oder ob Fahrzeugabgase ins Freie geleitet werden. Bei den Photoauswertern in Amerika werden die bei weitem größten und leistungsfähigsten Großcomputer des Landes eingesetzt. Bei neuen Aufnahmen läßt sich erkennen, ob es irgendwelche Abweichungen gibt, die dann genauere Untersuchungen erfordern, etwa ein Pfad in der Taiga, der schließlich zur Erkenntnis führt, daß eine neue Waffe entwickelt oder auf andere Weise stationiert wird.

Hinzu kommt noch, wenn man erst einmal etwas auf der Spur ist, der detektivische Spürsinn der Bildauswertungsexperten mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung und Phantasie, die der Computer nicht hat. Schon während der Kuba-Krise hatten die Amerikaner etwa eine Gruppe von "Kisten"-Experten, die aus jahrelanger Beobachtung sowjetischer Container-Technik, Verpackungsverfahren und des Sicherheitsprozederes einfach "sicher" waren, daß in bestimmten auf den sowjetischen Schiffen gestapelten Behältern Raketen lagerten, und welche. Das Berufsethos dieser Menschen ist grundsätzlich konservativ. Immer wieder muß man sich davor hüten, nicht etwas in Bilder hineinzulesen, also immer wieder innehalten und sagen: Moment, wir erkennen nicht eine Frau, sondern eine Person mit schulterlangem Haar, die Frauenkleider trägt.

Neuere Aufklärungssatelliten ab den KH-12 arbeiten schon bei der Aufnahme digital, die Daten werden per Kommunikationssatellit in die Auswertungszentren, aber auch zu den operativen Hauptquartieren übermittelt. "Real Time"-Nutzung ist möglich: Der amerikanische Präsident und seine Befehlshaber können am Bildschirm "live" beobachten, wo irgendwo in Afghanistan ein Trupp sich ins Gebüsch schlägt. Durch die Nutzung immer neuerer Spektren, vor allem aber durch immer weiter verfeinerte Computerleistungen, ist die "künstliche" Schärfe noch weiter gesteigert worden. Inzwischen kann man auch, etwa mit Radar-Satelliten, Bunker und Lager unter der Erde erkunden, jedenfalls bis zu einer gewissen Tiefe. Mit Infrarotaufnahmen kann man Dinge erkennen, die mit alten optischen Systemen nicht zu erkennen waren. An der "Wärmesignatur" lassen sich selbst getarnte Fahrzeuge ausmachen und sogar (frühere) Schatten von Flugzeugen auf den Parkrampen noch Stunden, nachdem sie abgeflogen sind.

Schon nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, also vor mehr als 20 Jahren, konnten die Amerikaner erkennen, ob es sich bei beobachteten Personen um Russen oder um Afghanen handelte. Man sah die blonde Haarfarbe eines Sowjetsoldaten oder seinen Sonnenbrand oder den Bart eines afghanischen Kämpfers. Zweifellos könnte man auch das Nummernschild eines Autos erkennen oder die Bartform Bin Ladins - wenn das Auto auf dem Kopf stünde oder Bin Ladin zum Mond aufblickte. Beides ist aber meist nicht der Fall, und damit sieht man schon die Grenzen des praktisch Nutzbaren. Zwar kann man neuere Satelliten auch kippen und Seitenaufnahmen machen, aber dann sinkt, weil erheblich mehr Atmosphäre durchdrungen werden muß, die Schärfeleistung. Auch deshalb wird man immer noch die Photo- und Infrarotaufnahmen von tieffliegenden "seitwärtssehenden" Flugzeugen oder Drohnen brauchen, mit denen man näher herangehen kann und die andere Perspektiven ermöglichen. Ein einzelnes Gesicht kann man nicht genau erkennen. Die "Auflösung" reicht nicht, um winzige Millimeter-Merkmale der Augen, des Mundes oder der Ohrpartie zu bestimmen. Man könnte nur eine ganze Menge von Leuten aus der Daten- oder Bilderflut herausfiltern, die etwa so aussehen wie Bin Ladin. Dazu müßte man aber erst einmal das Problem der Überlastung mit Daten lösen. Und der Computer kann nur nach etwas suchen, was man ihm klar definiert hat. Je präziser man weiß, wen oder was man sucht und wo, desto größer sind die Erfolgschancen. Hinterher, also etwa nach dem Anschlag, kann man Datenbanken genauer durchforsten. Aber dies hilft nicht bei der Vorbeugung oder bei "Real-Time"-Operationen. Die nachträgliche Aufklärung ist dennoch wichtig: zur Erkennung von Verhaltensmustern.

Gegen alle abbildende Aufklärung gibt es Gegenmittel: die Tarnung. Der Gegner kann sich ein Tuch um den Kopf binden, im Boden verstecken oder in einem Gebäude, er kann sich verkleiden, als Frau oder als Hirte. Er kann zum eigenen Operieren oder auch Fortbewegen die Zeiten nutzen, in denen es der Satellit nicht "sieht", weil er woanders ist oder weil er die Wolke oder den Sandsturm nicht durchdringen kann. Man kann den Aufklärer irreführen: Man versteckt sich, wenn der Satellit über den Horizont kommt. Oder: Man geht, wenn der Satellit "zusieht" (die meisten Umlaufbahnen dürften bekannt sein), in eine Richtung, und wenn er "blind" ist, kehrt man zurück oder geht in eine andere Richtung.

Einen einzelnen Täter zu finden ist schwierig. Je größer und "militärischer" die Gruppe, desto eher ist sie gerade auch mit technischen Mitteln zu orten. Sieht man 27 Personen auf einem Bergpfad, kann es eine Flüchtlingsgruppe sein, aber auch ein Schützenzug. Der Unterschied ergibt sich dann aus dem Umfang der Bewaffnung und typischem Verhalten: Flüchtlinge stellen keine Wachposten auf. Doch in ein Haus oder in ein Zelt in der Steppe kann der Satellit nicht hineinsehen. Er kann allenfalls erkennen, ob es darin eine "Wärmequelle" gibt: möglicherweise eine oder mehrere Personen. Letztlich hilft doch nur die "Inspektion vor Ort". Typische Verhaltensmuster sind auch wichtig bei der Erkundung militärischer Ziele, etwa Artilleriestellungen oder Hauptquartiere. Wenn man bestimmte Antennen und in gewisser Nähe eine typische Fahrzeuggruppe geortet hat, weiß man: hier ist eine Befehlsstelle. Im Fall Bin Ladins macht das das Aufspüren schwer. Der Mann leitet ja nicht "operativ" einen Verband und muß nicht immer einen Funktrupp dabei haben. Aber es geht ja nicht nur um Bin Ladin, sondern eben auch seine Tochter-Unternehmen. Auf irgendeiner Ebene wird "operativ" geführt, gibt es typische Meldungen. "Real-Time"-Aufklärung und Führung haben inzwischen auch das Gefechtsfeld erreicht. Die Amerikaner haben inzwischen eine Drohne im Einsatz, eigentlich eher eine unbemannte, aber vom Boden aus gesteuerte "Mini-U-2", die für Radar und Auge praktisch unsichtbar stundenlang über dem Gefechtsfeld kreisen kann und, da näher, digitale Aufnahmen größter Schärfe liefert, die über Satelliten an die Bodenstationen, aber gleichzeitig auch an Hauptquartiere in Washington gesendet werden, so daß das Gefecht "live" verfolgt werden kann. Mit einer solchen Drohne, RQ-1 "Predator", hatten die Amerikaner vor einigen Monaten Bin Ladin schon einmal aufgespürt. Das Wissen war aber nicht praktisch nutzbar. Daraus hat man gelernt. Inzwischen hat der "Predator" auch ein Laser-Zielbeleuchtungsgerät und "Hellfire"-Raketen dabei, die sich auf das Laser-Echo einsteuern.


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