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[infowar.de] US-Kommandooperation als PR-Show



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Der Text ist in abgewandelter Form (als zwei Artikel) erschienen in der
jungen welt, 30.10.2001 
RB 


US-Kommandooperation als PR-Show aber Taliban gewinnen

(Von Rainer Rupp)

Die amerikanischen Elitesoldaten, die Freitag vor einer Woche an einer
von der Regierung in Washington viel gerühmten Luftlandeoperation bei
Kandahar im Südwesten Afghanistans beteiligt waren, stießen auf weitaus
heftigeren Widerstand als erwartet, berichteten übereinstimmend
britische Zeitungen am Wochenende.  ?US-Special Forces mussten Rückzug
antreten weil die Feinde (die Taliban) wie Wahnsinnige kämpften?,
titelte z. B. ?The Telegraph? 1) Es hätte nicht viel gefehlt, - so der
Kriegsberichterstatter der ?Independent? ? und die vom amerikanischen
Oberkommando eigentlich als PR-Show gedachte Operation wäre ?in einem
Desaster geendet?. 2)  Die britischen Berichte bestätigen somit ähnliche
Einschätzungen, die die ?Times of India? bereits kurz nach der
US-Operation unter Berufung auf russische, nachrichtendienstliche
Quellen veröffentlichte.3)

In den britischen Berichten wird von einem "kosmetischen" Überfall der
Bodentruppen auf Afghanistan gesprochen, der ausdrücklich ?als eine Show
aufgeführt worden sei, um auf diese Weise der westlichen Öffentlichkeit
und den Taliban zu zeigen, dass die ?Operation Dauerhafter Frieden? wie
geplant auch beim Bodenkrieg Fortschritte macht und US-Soldaten überall
in Afghanistan zuschlagen können, wo sie wollen.  Insbesondere sollte
damit ?bei der amerikanischen Öffentlichkeit, eine psychologische
Wirkung erzielt werden, weil diese über den langsamen Gang des Krieges
zunehmend frustriert ist? schreibt ?The Telegraph?.  Daher seien von der
amerikanischen Militärführung ?nur solche Ziele ausgesucht worden, von
denen angenommen wurde, dass sie schwach verteidigt und leicht zu filmen
waren?.

Das Pentagon hatte in gewohnter Manier die Operation, bei der zwei
US-Ranger ums Leben gekommen waren, als ihr Hubschrauber, der es noch
bis Pakistan geschafft hatte, doch noch abstürzte, als vollen Erfolg
präsentiert. Tatsächlich aber seien die US-Elitesoldaten der Delta Force
und der Rangers auf den heftigen Widerstand der Taliban vollkommen
unvorbereitet und entsprechend geschockt gewesen.  Dazu zitiert ?The
Telegraph? eine Quelle im Pentagon:  "Die Geschwindigkeit, mit der die
Taliban sich zum Gegenangriff formierten, hat uns ein bisschen
schockierte.  Sie kämpften wie die Wahnsinnigen.  Das hatten wir nicht
erwartet.  Unsere nachrichtendienstlichen Erkenntnisse waren falsch.

Beim dem verzweifelten Versuch, die US-Soldaten möglichst schnell vor
den angreifenden Taliban aus der brenzligen Lage zu retten, hatten die
USA fast einen zweiten Hubschrauber verloren.  Beim Landeversuch hatte
der viel zu schnell aufgesetzt und dabei Teile des Fahrgestells
verloren, die später von triumphierenden Taliban als Beweis für den
Abschuß eines Hubschraubers vorgezeigt wurden.  Letzten Donnerstag
gestand schließlich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gegenüber
dem US-Nachrichtenmagazin ?US News and World Report? indirekt die
Schlappe ein, als er die Taliban als einen weitaus stärkeren Gegner als
man bisher angenommen bezeichnete. 

Wegen der bereits über drei Wochen dauernden, ineffizienten Schläge der
US-Luftwaffen wächst in den USA bei den Falken die Frustration über den
Verlauf des Kriegs.  Ernüchternd wirkt zugleich, dass die Air Force aus
Mangel an militärischen Zielen bereits wiederholt Vorratslager des
Internationalen Roten Kreuzes, UNO-Objekte, Dörfer, Busse und Lastwagen
voller Flüchtlinge, aber auch Dörfer und ein Krankenhaus bombardiert
haben. Wenig erfolgreich erscheinen dabei die Versuche von CNN und
artverwandten Medien, die unter der Zivilbevölkerung angerichteten
?Kollateralschäden  herunterzuspielen, indem Bilder und Berichte über
von US-Bomben getötete und verstümmelte Kindern ständig mit dem
Kommentar ?von <unabhängiger> Seite nicht überprüft? angezweifelt
werden.  Verteidigungsminister Rumsfeld ist
sich inzwischen nicht zu billig, Berichte von getöteten Zivilisten
einfach als Propagandalüge der Taliban hinzustellen.  Wegen der
ausbleibenden militärischen Erfolge mehren sich in der zunehmend
frustrierten amerikanischen Öffentlichkeit und im Kongreß daher die
Stimmen, die auf den Einsatz von US-Bodentruppen drängen.  Auch
Rumsfelds Parteifreund, der einflussreiche Senator McCain und ehem.
Vietnam Kriegsheld, forderte dies letzten Sonntag.

Eine US-Großoffensive dürfte dennoch auf sich erwarten lassen. 
Allerdings plant das für den Afghanistan-Krieg verantwortliche
?US-Central Command? in Florida bereits größere Bodenoperationen in Stil
von Kommandoeinsätzen.  Die eigenen Soldaten sollen dabei aber möglichst
geschont werden. Bereits innerhalb 24 Stunden nach der fehlgeschlagenen
Luftlandeoperation bei Kandahar verlangte das Pentagon von
Großbritannien und Australien, für weitere Operationen in Afghanistan
zusätzliche Eliteeinheiten bereit zu stellen.  Presseberichten aus
London zufolge hatten die amerikanischen Oberbefehlshaber angeblich
1.000 zusätzliche britische Kommandosoldaten anforderten, einschließlich
der gesamten SAS-Einheiten, was auf der Insel große Betroffenheit
ausgelöst haben soll.  Am Wochenende hat nun die britische Regierung
einen angekündigt, 400 Soldaten der Marine-Infantrie bereit zu stellen. 
Allerdings heißt es aus London, er würde womöglich noch Monate dauern,
bis diese für den Einsatz bereit seien. 

Ob von Washington auch deutsche Elitesoldaten des Kommando Spezialkräfte
im Rahmen von Kanzler Schröders Versprechen der ?uneingeschränkten
Solidarität  für die US-Operationen bereits angefordert wurden, ist
nicht bekannt.  Bei seinem Besuch in Pakistan am Wochenende lehnte der
deutsche Kanzler ? bereits ganz amerikanischer Politiker ? einen
Bombenstopp ab.  Wenn die deutsche Regierung weiterhin wie bisher auf
die Kriegsbeteiligung drängt, dürfte der amerikanische Ruf nach ?Germans
to the front? nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Während die US-Streitkräfte mit ihrer Luftlandeoperation in Afghanistan
in der Nähe von Kandahar nur knapp der Katastrophe entgingen, gelang es
den Taliban in der Region einen großen Propagandaerfolg gegen die
Amerikaner zu verbuchen und zugleich die politischen Pläne der
US-Regierung für eine anti-Taliban-Koalition zu durchkreuzen.  Einer
Talibaneinheit war es gelungen, Abdul Haq, einen weithin bekannten
Anführer aus der anti-Taliban Opposition samt seiner bewaffneten
Begleitung gefangen zu nehmen.  Haq, der aus dem hauptsächlich von
Paschtunen bevölkerten Südwesten Afghanistans stammt und somit nicht der
aus usbekischen und tadschikischen Minoritäten bestehenden Nordallianz
zugerechte werden kann, hatte vor dem Krieg als Feudalherr über einen
Klan in Südwestafghanistan geherrscht.  Auf Seiten der Mudjahedin hatte
er dann zuerst siegreich gegen die Sowjets gekämpft, um
dann aber gegen die Taliban zu verlieren.  Als er nach der Flucht aus
Afghanistan aus seinem pakistanischen Exil weiterhin gegen die Taliban
einen geheimen Krieg führte, wurde er von der pakistanischen Regierung,
die bis vor kurzem noch eng mit den Taliban befreundet war, des Landes
verwiesen. 

Vor einem Monat hatten ihn die Amerikaner als Schlüsselfigur in ihrem
Plan zur Destabilisierung des Taliban-Regimes wieder nach Pakistan
zurück gebracht.  Seine Aufgabe war es, unter den Paschtunen, die etwa
40% der Bevölkerung Afghanistans ausmachen, Kontakt zu unzufriedenen
Klanführern und Feldkommandanten der Taliban zu suchen und diese durch
allerlei Versprechen für einen Seitenwechsel zu gewinnen.  Treffen
dieser Art hatten bisher jedoch stets im Grenzgebiet auf pakistanischem
Territorium stattgefunden. 

Um eine Reise ins Innere Afghanistans zu wagen, musste Abdul Haq
geglaubt haben, diesmal einen großen Coup landen zu können.  Mit einer
größeren Gruppe von bewaffneten Begleitern begab er sich über
Schleichwegen zu einen etwa70 Km südwestlich von Kabul liegenden Ort, um
dort hochrangige Mitglieder Taliban zu treffen, die über Boten Interesse
an seinen Vorschlägen signalisiert hatten.  Warnungen, dass es eine
Falle sein könnte, weil die Talibanführer weigerten, nach Pakistan zu
kommen, hatte Abdul Haq in den Wind geschlagen und damit sein Ende
besiegelt. 

Nach offizieller Darstellung eines Taliban-Sprechers wurde Haq und seine
Begleitung nach kurzem Kampf gefangen genommen.  Nach einem eintägigen
Verhör wurde Haq ?als amerikanischer Spion? verurteilt und hingerichtet.
(Haqs Familie hat inzwischen seinen Tod bestätigt.)  ?Das Urteil wurde
auf der Grundlage gefaßt, dass jeder, der den Amerikanern hilft, mit dem
Tode rechnen muß?, warnte der Taliban-Sprecher all US-Sympathisanten in
der Region.  Dadurch, dass die Taliban am Beispiel von Haq demonstriert
haben, dass sie keine leeren Warnungen ausstoßen,  dürften die
Bemühungen der US-Regierung, die verschiedenen Volksgruppen in
Afghanistan gegen das Taliban auszuspielen um so das Regime in Kabul zu
destabilisieren, einen bedeutenden Rückschlag erlitten haben.

Statt die Überlegenheit der hochmodernen amerikanischen Militärmaschine
zu demonstrieren, haben die US-Elitesoldaten nach ihrem Luftlandeeinsatz
in den Augen der lokalen Kämpfer eher wie hilflose Stümper ausgesehen. 
Zugleich mehren sich Berichte, wonach die Amerikaner in der Region
zunehmend als große Feiglinge betrachtet werden, weil lediglich aus
großer Höhe ihre Bomben abwerfen und dabei Frauen und Kinder töten, aber
dem Kampf Mann gegen Mann aus dem Weg gehen.  Diese Veränderung in der
Wahrnehmung der Amerikaner hat habe bei den Taliban den Zusammenhalt und
den Kampfeswillen gestärkt und bei den jungen Männern der Region den Wut
ubnd den Haß auf die USA weiter geschürt.  Dies sei selbst bei jenen der
Fall, die bisher den Taliban eher kritisch gegenüber gestanden hätten.

Sbg., den 28.10.01

1) (?US special forces beat retreat as enemy 'fought back like 
maniacs'?, By Michael Smith, Defence Correspondent, The Telegraph,
Filed: 26/10/2001)

2) (?First US ground attack 'could have ended in disaster'?, By Kim
Sengupta, The Independent, 26 October 2001) 

3) (?First US ground mission a failure: Report Times of India, MONDAY,
OCTOBER 22, 2001)

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