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[infowar.de] TELEPOLIS: Al-Dschasira: Propaganda-Maschine oder P...



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 Al-Dschasira: Propaganda-Maschine oder Pionier arabischer 
Medienfreiheit?
 
 Peter Schäfer   26.11.2001 
 
 Über die Zahlen der getöteten Zivilisten in Afghanistan wird erst 
lange nach dem Ende des Krieges Klarheit herrschen. Eines der Opfer ist 
aber schon namentlich bekannt: die Medienfreiheit. 
 
 Der junge arabische Satellitensender al-Dschasira ist seit 
Kriegsbeginn auch im Westen bekannt. Sein Team aus dem winzigen Land 
Qatar auf der arabischen Halbinsel ist eines der wenigen, die von den 
Taliban geduldet werden. Seine Berichterstattung sorgte bereits am 
ersten Kriegstag für Unmut in der US-Regierung.  
 
 Auslöser war das von al-Dschasira ausgestrahlte Interview mit Usama 
Bin Ladin, dem mutmaßlichen Verantwortlichen hinter den Anschlägen vom 
11. September. Die USA werfen dem Sender deshalb einseitige 
Berichterstattung vor. Ari Fleischer, der Pressesprecher des Weißen 
Hauses, bezeichnete die Äußerungen gar als "heimtückische Propaganda". 
[1]CNN übertrug das Material von al-Dschasira und wurde aufgefordert, 
solche Interviews nicht mehr auszustrahlen. Der Sender "fügt sich den 
Anweisungen der Behörden", so ein CNN-Sprecher. Die 
Live-Berichterstattung über die Angriffe auf Afghanistan und der 
Anblick toter Zivilisten schaden dem Bild des "gerechten, sauberen 
Krieges", das die Anti-Terror-Allianz aufrecht erhalten möchte. In der 
New Yorker Tageszeitung [2]Daily News brachte es ein Autor gar fertig, 
den Krieg als Verteidigung der Pressefreiheit zu bezeichnen und 
gleichzeitig militärische Maßnahmen gegen al-Dschasira zu fordern. 
 
 Aber Al-Dschasira ist Kritik gewohnt. "Als wir über die Wahlen in 
Israel berichtet und Interviews mit Ehud Barak und Schimon Peres 
ausgestrahlt haben", erinnert sich Hamad Bin Thamer, der Vorsitzende 
des Sendervorstandes, "wurden wir als Agenten des israelischen 
Geheimdienstes bezeichnet. Wenn wir über innere Angelegenheiten der USA 
berichten sind wir auf 'von der CIA finanziert'." Al-Dschasira wird 
weitermachen wie bisher. "Unsere Nachrichtenstrategie ist, beide Seiten 
der Geschichte zu beleuchten", so Bin Thamer weiter. Der Sender 
übernimmt damit das bis dahin als westlich verstandene Konzept 
ausgewogener, objektiver Berichterstattung, bis vor wenigen Jahren in 
der arabischen Medienwelt verpönt. 
 
 In den arabischen Ländern werden Medien von Informationsministerien 
kontrolliert. Relikt aus einer Zeit, in der zum Großteil 
analphabetische Bevölkerungen maßgeblich über Fernsehen und Radio 
beeinflusst werden konnten. Als Scheich Achmad Bin Chalifa al-Thani vor 
sechs Jahren die Macht in Qatar übernahm, ordnete er den Aufbau eines 
Parlaments, die Einführung des Frauenwahlrechts und andere Reformen an. 
Die Gründung al-Dschasiras, einem reinen Nachrichtensender, gehört auch 
zu seinen Vorschlägen. Al-Dschasira wird zwar von der Regierung 
finanziell unterstützt, gestaltet sein Programm aber unabhängig. 
 
 Über 400 Beschwerden 
 
 Vor allem seine Live-Diskussionen mit arabischen Oppositionellen und 
die Call-In-Sendungen, zu deren Anrufern schillernde Exoten wie der 
lybische Präsident Muammar al-Ghadafi zählen, machten den Sender 
bekannt. Er ist heute eine der meisten gesehen Stationen in einer 
Region, in der die staatlichen Nachrichten als "Beleidigung des 
Intellekts" betrachtet werden, weil sie Innenpolitik und soziale 
Probleme meist ausklammern. 
 
 Den arabischen Regierungen ist al-Dschasira natürlich ein Dorn im 
Auge. Über 400 Beschwerden sind bereits beim Sender und der Regierung 
Qatars eingegangen. So wirft Kuweit al-Dschasira die Rehabilitierung 
des Irak vor, wenn er über die Auswirkungen der internationalen 
Sanktionen berichtet. Marokko war der Ansicht, dass sich al-Dschasira 
mit einem Bericht über die Frente Polisario, der Befreiungsbewegung in 
der besetzten Westsahara, in die inneren Angelegenheiten des Landes 
einmischte. Und als al-Dschasira eine Dokumentation über den 
algerischen Bürgerkrieg ausstrahlte, drehte die Regierung in Algier für 
die Dauer der Sendung kurzerhand landesweit den Strom ab. Dazu kommen 
Konflikte mit religiösen Organisationen. Als sich einmal eine 
jordanische Parlamentsabgeordnete in einer Live-Diskussion gegen die 
Polygamie aussprach, verließ die Vertreterin der islamischen Orthodoxie 
wutentbrannt das Studio. Büros von al-Dschasira im arabischen Ausland 
werden regelmäßig geschlossen, seine Journalisten eingesperrt. 
 
 Muhammad Dschasim al-Ali, der Programmdirektor des Senders, wundert 
sich, dass solche Töne jetzt auch aus den USA kommen, die sich 
Meinungs- und Medienfreiheit auf die Fahnen schreiben. "Wenn wir nicht 
aus Afghanistan berichten würden", fragt er, "wie könnten wir 
ausgewogen sein? Unsere Berichterstattung wäre dann die bloße 
Vermittlung der Position der Alliierten. Aber so covern wir auch die 
andere Seite." Al-Ali unterstellt den USA Neid. "Sie wissen, dass es 
auch ein Krieg um Informationen ist, und ihre Medien sind bei den 
Taliban nicht erwünscht. Natürlich hätte jeder andere Sender die 
Interviews mit Bin Ladin auch gesendet. Das sind Nachrichten. Das 
Publikum hat ein Recht darauf, beide Seiten zu hören." 
 
 Neue Nachrichtenstandards 
 
 Die Monopolstellung von al-Dschasira im Afghanistan der Taliban 
erklärt sich aus seiner Stellung in der arabisch-islamischen Welt. Seit 
dem Golfkrieg vor zehn Jahren und der damaligen dominanten 
Berichterstattung von CNN und BBC werde diese Sender sehr kritisch 
wahrgenommen. 
 
 "Die Verzückung über die technische Überlegenheit des Westens im 
Irak-Krieg und das Desinteresse am Schicksal der Zivilbevölkerung 
stießen viele ab", sagt Edmund Gharib, Professor an der amerikanischen 
Universität Kairo. "Im Westen stützen sich die Medien meist auf eine 
kleine Anzahl westlicher Nachrichtenagenturen", so Gharib weiter. "Das 
führt zur Vereinheitlichung von Nachrichten und Kultur. Man verlässt 
sich immer mehr auf westliche Nachrichtenstandards wie 
Oberflächlichkeit, Aktualität, Krisen- und Sensationsjournalismus." 
 
 Al-Dschasira gilt als einziger politisch unabhängiger arabischer 
Satellitensender und wurde deshalb von den Taliban, die von den meisten 
arabischen und islamischen Staaten abgelehnt werden, geduldet. Private 
arabische Satellitenstationen existieren zwar bereits seit Anfang der 
90er Jahre. Deren Geldgeber sind aber meist mit dem politischen 
Establishment verbunden. Die Berichterstattung ist dementsprechend. 
Al-Dschasira dagegen nimmt in seiner Berichterstattung kaum ein Blatt 
vor den Mund und stellt sowohl die Politik arabischer Staaten als auch 
gesellschaftliche und islamische Strukturen zur Diskussion. 
 
 Für die Afghanistan-Berichterstatung hat CNN einen Exklusivvertrag mit 
al-Dschasira abgeschlossen. Die CNN-Berichte aus dem Gebiet der 
Nord-Allianz und das Material von al-Dschasira-Material können so auf 
beiden Sendern verfolgt werden. Wegen des Erfolgs denkt die 
US-Regierung nun darüber nach, Sendezeit auf al-Dschasira zu kaufen, um 
die ihrem Krieg schädliche Berichterstattung zu kontern. CNN selbst 
plant schon seit etwa zehn Jahren über einen arabisch-sprachigen 
Tochtersender. Als Vorgeschmack wird in Kürze CNNarabic.com ins Netz 
gestellt. Eine direkte Reaktion auf den Erfolg der Website 
[3]al-Dschasiras. Deren tägliche Klickrate wuchs seit dem 11. September 
von einer auf über sieben Millionen, so Abdul Assis al-Machmud, der 
Chefredakteur der Online-Redaktion. Al-Dschasira selbst hat ebenfalls 
große Pläne. Die derzeitige Hochphase soll für den Börsengang genutzt 
werden. Ein arabischer Sender für Wirtschaftsnachrichten entsteht in 
Zusammenarbeit mit [4]CNBC. 
 
 Im Hinblick auf die Tabuisierung kritischer Haltungen zum Krieg gegen 
Afghanistan in den USA und Europa, wartet noch eine größere Aufgabe auf 
den Sender aus Qatar: Die Verteidigung der Meinungsfreiheit. Die hat 
nun einen weiteren Rückschlag erhalten. Zu Anfang des Krieges 
übermittelte der Sender dem US-Militär die Koordinaten seines Büros in 
Kabul. Am 16. November wurde es durch eine amerikanische Rakete völlig 
zerstört. 
 
 Links 
 
 [1] http://www.cnn.com
 [2] 
http://www.nydailynews.com/2001-10-14/News_and_Views/Opinion/a-128449.as
p
 [3] http://www.aljazeera.net
 [4] http://moneycentral.msn.com/cnbc/tv/default.asp
 
 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/11205/1.html 
 
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