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[infowar.de] Arabische Medienfreiheit bislang nur in der Zone



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Sehr interessanter Artikel, der die Perspektiven freier Medien in der
arabischen Welt diskutiert. RB

http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/11262/1.html 

 Arabische Medienfreiheit bislang nur in der Zone
 
 Peter Schäfer   07.12.2001 
 
 Alle Sender werden sich al-Dschasira zum Vorbild nehmen müssen 
 
 Die Medienrevolution erschüttert die arabischen Länder. Allerdings 
sorgt hier weniger das Internet, sondern das Satellitenfernsehen für 
das Fluten der Information. In sogenannten Medienfreizonen arbeiten die 
Sender ohne die staatliche Zensur, so die Werbung. 
 
 Jordanien redete vor zwei Jahren zum ersten Mal davon. Ägypten war 
schneller. Seine Medienfreizone in Kairo war bereits letztes Jahr 
bezugsfertig. Auf 3,5 Quadratkilometern sind Satellitensender aus aller 
Welt willkommen, frei von Steuerlast und Kontrollen durch das 
Informationsministerium zu produzieren. So die offizielle Version. 
 
 Der Sender [1]al-Dschasira, durch die Interviews mit Usama Bin Ladin 
weltbekannt seit Beginn des Afghanistankrieges, war einer der ersten, 
der an die Grenzen ägyptischer Medienfreiheit stieß. Ein kritischer 
Bericht über die Haltung des Landes am Nil zum gegenwärtigen 
Palästinenseraufstand führte zu Drohungen des Informationsministers. Er 
wollte das Büro des Senders in der Medienfreizone schließen. 
Offensichtlich war er aber schlau genug, um die negativen Auswirkungen 
eines solchen Schrittes auf die Attraktivität der Zone vorherzusehen ( 
[2]Al-Dschasira: Propaganda-Maschine oder Pionier arabischer 
Medienfreiheit?). 
 
 Die Produzenten in der Medienfreizone genießen einige Vorzüge. Das 
neue Investitionsgesetz befreit sie von Steuern und Zöllen. Weitere 
Kosten lassen sich durch die gemeinsame Nutzung der Studios, des 
Personals und der Technik einsparen. Viele arbeiteten bisher im 
kostenintensiven, aber politisch liberaleren Europa. Das Middle East 
Broadcasting Centre (MBC) beispielsweise stand in London, die 
arabischen pay-TV-Kanäle Arab Radio and Television (ART) und Orbit 
waren in Italien angesiedelt. Sie sind nun nach Hause zurückgekehrt. 
 
 Für viele dürften die politischen Freiheiten in den Medienfreizonen 
dabei Nebensache sein. Die meisten privaten arabischen Satellitensender 
sind mit dem saudischen Herrscherhaus verbunden. Ihre Programminhalte 
zielen deshalb nicht auf die Auflösung von Informationsbeschränkungen, 
sondern eher auf deren Konservierung. In Saudi-Arabien selbst sind 
Satellitenschüsseln gar verboten. Das Regime will seinen Untertanen den 
freien Informationszugang nicht gewähren ( [3]Ein heikler Partner). 
 
 Dubai Media City 
 
 Die im Januar 2001 eingeweihte [4]Dubai Media City ist vom gleichen 
Kaliber wie ihr ägyptischer Vorläufer. Neben MBC, Sony und Reuters 
haben sich in dem riesigen Komplex auch Verlage, Künstler und Autoren 
niedergelassen. CNN wird in Kürze erwartet. Dubais Kronprinz, Scheich 
Muhammad Bin Raschid al-Maktum, garantierte dem Projekt Pressefreiheit. 
Er hofft, dass sich seine Medienstadt "zu einer Arena für Freidenker 
entwickelt. In dieser Stadt soll Platz sein für die regionalen und 
internationalen Medien, die sich hier austauschen und zusammenarbeiten 
können. 
 
 "Für uns hat sich der Einzug in die Dubai Media City gelohnt", sagt 
Rauhi Obeideh, Chef des dortigen Reuters-Büros. "Hier gibt es Platz, 
und die Atmosphäre ist sehr gut und anregend." Die Medien ziehen quasi 
anderen Unternehmen hinterher, die schon seit längerem die finanziellen 
und geografischen Vorzüge am Schnittpunkt zwischen Afrika und Asien 
nutzen. Potentielle Interviewpartner für die Wirtschaftsnachrichten 
wohnen gleich um die Ecke. 
 
 "Die garantierte Pressefreiheit war aber der ausschlaggebende Faktor 
für uns", fügt Obeideh hinzu. "Und es gab bisher auch keinen einzigen 
Versuch, uns einzuschüchtern, so wie das in anderen Ländern der Region 
passiert." Die Regierung Dubais "spricht von 'verantwortlichem 
Journalismus', und als professionelle Agentur haben wir kein Problem 
damit." 
 
 Die Frage nach dem Charakter dieses 'verantwortlichen Journalismus' 
muss vorerst unbeantwortet bleiben. Über einem Regelwerk wird in Dubai 
zurzeit noch gebrütet. Allerdings hat die Media City bereits selbst 
vier Tabus aufgestellt: Keine Pornografie, keine Sender politischer 
Parteien, keine Werbung für Religionen außer dem Islam, keine 
verunglimpfenden Inhalte. Später soll jeder Sender den 
Verhaltenskatalog von Dubai unterzeichnen, ein noch zu bildendes 
Komitee wird sich mit eventuellen Beschwerden gegen die Medienanstalten 
beschäftigen. 
 
 Zensur durch die Hintertür 
 
 "Keine verunglimpfenden Inhalte". Das ist keine neue Beschränkung in 
arabischen Ländern. In den Medienfreizonen sind die Bestimmungen der 
jeweiligen Informationsministerien zwar aufgehoben, aber der 
"Ehrenkodex der Medien" soll trotzdem eingehalten werden. Die Arab 
States Broadcasting Union (ASBU), das Steuerungskomitee der 
Satellitensender, hat diese Maßgaben formuliert und will sich nicht 
allzu weit von bestehenden Mediengesetzen entfernen. Inhalte, die sich 
gegen Religion und Moral richten, der nationalen Einheit oder 
diplomatischen Beziehungen schaden könnten, sind zu vermeiden. Alle 
größeren Satellitenanstalten sind in der ASBU vertreten - abgesehen vom 
Nachrichtensender al-Dschasira. Solange er sich dem Ehrenkodex nicht 
unterordnet, wird der Sender aus Qatar auch nicht aufgenommen. 
 
 Im Moment sieht es aber eher so aus, als müsste sich die konservative 
Mehrheit nach al-Dschasira richten. Mit Staatsoberhäuptern wird dort 
hart ins Gericht gegangen. In Live-Sendungen ist Kritik nicht zu 
vermeiden. Bisher unangetastete arabische Politiker wurden durch 
Berichte auf al-Dschasira zu Stellungnahmen gezwungen, die dem Publikum 
von Marokko bis Irak die Ohren schlackern ließen. Fernsehen besteht nun 
nicht mehr aus endlosen Seifenopern, unkritischen Nachrichtensendungen, 
Talkshows und religiösen Ratgebern. In einer Region, in der politische 
Kritik an den Machthabern verdächtig ist, werden Journalisten, die ein 
Thema von mehreren Seiten aus beleuchten, zu Revolutionären. 
 
 Die klassischen arabischen Satellitensender wurden vor über einem 
Jahrzehnt noch als Antwort auf die westlichen Stationen gegründet, 
heute werden sie mit der Konkurrenz aus den eigenen Reihen nicht mehr 
fertig und können hinter die von al-Dschasira gesetzten Standards nicht 
mehr zurück. Der 33-Punkte-Medienkodex in Ägypten beispielsweise, der 
die Kritik an Staatsvertretern verbietet, wird zum Relikt aus 
pharaonischen Zeiten und behindert nur die Produktionsbedingungen der 
eigenen Sender. Live-Übertragungen können von ihnen unter diesem Druck 
nicht riskiert werden. Aber das ist es, was das Publikum sehen will. 
Alle Sender werden sich deshalb al-Dschasira entweder zum Vorbild 
nehmen müssen oder als Nachrichtenmedien nicht durchsetzen. Jordanien 
könnte es in seiner neuen Medienfreizone besser machen. Das neue 
Mediengesetz wird von den Parlamentariern schon seit Jahren diskutiert. 
Werden sie die Zeichen der Zeit erkennen? 
 
 Sogar der Koran will es 
 
 Dabei können die von al-Dschasira übernommenen westlichen Sendeformen 
zur Beruhigung der religiösen Opposition sogar mit Blick auf islamische 
Verhaltensnormen gerechtfertigt werden. Im Prinzip werden westliche 
Nachrichtenstandards von muslimischen Medientheoretiker nämlich nicht 
rundweg abgelehnt. Sie schlagen allerdings, meist mit Bezug auf den 
Koran, einige Veränderungen vor. 
 
    "Ihr Gläubigen, wenn ein Ruchloser euch eine Kunde bringt, prüft 
(sie) nach, damit ihr nicht anderen Leuten in Unwissenheit ein Unrecht 
zufügt und hernach bereuen müsst, was ihr angerichtet habt." (Koran 
49:6)       
 
 So wird beispielsweise dem Augenzeugenbericht größere Glaubwürdigkeit 
eingeräumt als den redigierten Informationen aus dem Munde eines 
Moderators. Zusätzlich dazu soll die Privatsphäre der Menschen nicht 
verletzt werden - dem Kodex des Deutschen Presserates nicht unähnlich. 
 
 Unter Zuhilfenahme hausgemachter Kritik, also den richtigen 
Koranzitaten, und der auf al-Dschasira gerichteten Satellitenschüsseln 
müssten die Tage der autokratischen Regime eigentlich gezählt sein. Und 
was kommt dann? Arabische Länder werden vom Westen zwar oft für ihre 
undemokratischen Maßnahmen und Menschenrechtsverletzungen kritisiert. 
Die mit den USA und Europa befreundeten arabischen Regime halten 
dadurch aber ihre Bevölkerungen in Schach. Die sind nämlich mit den 
Kriegen, Militärbasen und Wirtschaftssanktionen des Westens nicht 
besonders zufrieden. Aber in Zeiten des Anti-Terror-Krieges wäre auch 
die baldige Erklärung denkbar, dass nicht alle Menschen mit 
Medienfreiheit richtig umgehen können und einige besser in 
Informationsquarantäne gehalten werden. 
 
 Links 
 
 [1] http://www.aljazeera.net
 [2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11205/1.html
 [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11136/1.html
 [4] http://www.dubaimediacity.com/

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