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[infowar.de] !!! SZ 11.2.02 (Todenhoefer): Ueber den Umgang mit der Wahrheit im Antiterrorkrieg
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Selten so was Zutreffendes und Scharfes in der deutschen Presse gelesen.=
Fragt sich nur, ob dies auch so w=E4re, wenn die Regierungskoalition aus=
CDU und FDP best=FCnde. Na ja die unterschwellige Zuordnung zu law and=
order ist auch noch eine eine andere Debatte.
GS
http://szarchiv.diz-muenchen.de/REGIS_A13828647;internal&action=3Dhili.actio=
n&Parameter=3DAfghanistan
S=FCddeutsche Zeitung
FEUILLETON Montag, 11. Februar 2002
Bayern Seite 14 / Deutschland Seite 14 / M=FCnchen Seite 14
Der Flop=20
=DCber den Umgang mit der Wahrheit im Antiterrorkrieg / Von J=FCrgen=
Todenh=F6fer=20
=84In Kriegszeiten ist die Wahrheit so kostbar, dass sie stets von einer=
Leibwache aus L=FCgen besch=FCtzt werden sollte=93, meinte Churchill=
sarkastisch. Und so klopften sich die Teilnehmer der M=FCnchner=
Sicherheitskonferenz wegen ihrer angeblichen Erfolge im Antiterrorkrieg=
gegen Afghanistan immer wieder kr=E4ftig und selbstgef=E4llig auf die=
Schultern.=20
Warum hat auf dieser Konferenz niemand den Mut gehabt, unseren=
amerikanischen Freunden als Freund zu widersprechen und eine =FCberzeugende=
Alternative zur v=F6lkerrechtswidrigen Bombardierung von St=E4dten=
vorzulegen? Warum hat niemand darauf hingewiesen, dass =84man auf Dauer der=
Hydra des Terrorismus mit milit=E4rischen Mitteln nicht begegnen kann=93,=
wie dies der damalige Bundeskanzler Kohl schon 1986 nach den amerikanischen=
Luftangriffen auf das Terroristennest Libyen unter dem Beifall aller=
Fraktionen im Deutschen Bundestag erkl=E4rt hatte?=20
Hat denn der =84Krieg gegen den Terror=93 wirklich so =84gut angefangen=93,=
wie Pr=E4sident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation vor einigen Tagen=
erkl=E4rt hat?=20
Was w=FCrden unsere fabelhaften Sicherheitspolitiker von einem Polizeichef=
halten, welcher auf der Suche nach einem furchtbaren Terroristen, der sich=
nach einem verheerenden Anschlag auf ein bewohntes Hochhaus bei=
befreundeten Drogenh=E4ndlern in Kreuzberg versteckt hielte, Kreuzberg=
bombardieren lie=DFe und dabei Hunderte unschuldiger Zivilpersonen,=
darunter zahlreiche Kinder, t=F6ten w=FCrde, den Terroristen entkommen=
lie=DFe und trotzdem der =D6ffentlichkeit stolz verk=FCnden w=FCrde, das=
Ganze sei ein gro=DFer Erfolg, denn immerhin seien die Drogendealer bei der=
Bombardierung weitgehend ausgeschaltet werden?=20
Wir alle wissen, was mit diesem Polizeichef geschehen w=FCrde. Er w=FCrde=
sofort beurlaubt und vor Gericht gestellt =AD und zwar nicht wegen=
fahrl=E4ssiger T=F6tung, sondern wegen Totschlags, vielleicht sogar wegen=
Mordes.=20
In Afghanistan ist genau dasselbe passiert. Wir =AD ich sage bewusst =84wir=
=93, weil der ganze Westen zugestimmt hat =AD haben auf der Jagd nach einem=
furchtbaren Terroristen mit dem Satz =84Im Krieg geschehen nun mal=
schreckliche Dinge=93 nach Berechnungen eines amerikanischen Professors aus=
New Hampshire durchschnittlich 65 Zivilpersonen pro Tag, darunter viele=
Kinder, get=F6tet, den Terroristen und Massenm=F6rder Bin Laden und den=
gr=F6=DFten Teil seiner F=FChrungsmannschaft entkommen lassen und trotzdem=
der =D6ffentlichkeit stolz verk=FCndet, das Ganze sei ein gro=DFer Erfolg,=
denn immerhin seien die schrecklichen Taliban ausgeschaltet, die=
Infrastruktur Bin Ladens in Afghanistan zerst=F6rt worden.=20
Warum ist das, was in der Innenpolitik eine Katastrophe, ein Verbrechen ist,=
in der Au=DFenpolitik eine Heldentat? Warum darf man, sobald man die=
Grenzen seines eigenen Landes =FCberschreitet, Dinge tun, die zu Hause=
kriminell sind? Sind 5000 unschuldig get=F6tete afghanische Zivilpersonen=
weniger wert als 3000 unschuldig get=F6tete Amerikaner? Hei=DFt es in der=
amerikanischen Unabh=E4ngigkeitserkl=E4rung neuerdings statt =84All men are=
created equal=93, nur noch =84All Americans are created equal=93?=20
Ein v=F6lkerrechtswidriger Krieg=20
Ich bitte um Nachsicht, wenn ich die Selbstbeweihr=E4ucherungszeremonie des=
Westens st=F6re. Aber der Bombenkrieg gegen die St=E4dte Afghanistans war=
nicht nur v=F6lkerrechtswidrig, er brachte auch nicht den gew=FCnschten=
Erfolg. Hier wurde wegen eines einzigen Terroristen ein ganzes Land=
plattgebombt, aber der, um den es ging, dem angeblich =84alle Fluchtwege=
abgeschnitten=93 waren, ist wie ein Phantom spurlos verschwunden. Der=
Afghanistan-Krieg, der Milliarden Dollar und =FCber 5000 afghanische=
Zivilisten das Leben gekostet hat, war der teuerste, blutigste und=
peinlichste Flop in der Geschichte der Terrorismusbek=E4mpfung.=20
Er hatte zugegebenerma=DFen ein =E4u=DFerst positives Nebenprodukt, die=
Vertreibung der Taliban, einer der schlimmsten Regierungen der Welt. Aber=
der Sturz dieser einstigen Hoffnungstr=E4ger und Subventionsempf=E4nger der=
USA war, wie Au=DFenminister Powell zu Beginn des Krieges ausdr=FCcklich=
erkl=E4rt hatte, gar =84nicht Ziel des Antiterrorfeldzugs=93. Die Taliban=
sollten lediglich gest=FCrzt werden, um leichter an Bin Laden=
heranzukommen.=20
Die Vertreibung schrecklicher Regierungen steht auf der Priorit=E4tenliste=
des Westens ohnehin nicht weit oben. Wir m=FCssten sonst Dutzende L=E4nder=
dieser Welt angreifen, darunter einige unserer wichtigsten politischen,=
milit=E4rischen und wirtschaftlichen Verb=FCndeten und Rohstofflieferanten=
=AD und nicht nur den Irak im Rahmen der traditionellen Bush=92schen=
Familienfehde.=20
Ich hoffe trotzdem, dass es bald gelingen wird, Bin Laden auszuschalten.=
Dieses seelenlose Phantom der Dunkelheit verdient weder Mitleid noch=
klammheimliche Sympathie. Aber falls dies eines Tages gelingen sollte, dann=
sicher nicht durch die Bombardierung von St=E4dten und D=F6rfern, sondern=
mit den bew=E4hrten Methoden der Terrorismusbek=E4mpfung, dadurch, dass wir=
ihn von seinen saudi-arabischen Sponsoren abschneiden. Die=
Kommandozentrale, das Finanzzentrum der =FCber 60 antiamerikanischen=
Terrororganisationen dieser Welt liegt nicht in Bagdad, Teheran oder=
Pj=F6ngjang, sie liegt seit Jahren in Saudi- Arabien.=20
Geradezu genussvoll nutzen dar=FCber hinaus alle Gewaltherrscher der Welt=
inzwischen die Antiterror-Rhetorik des Westens, um ihre politischen Gegner=
als vogelfreie Terroristen zu denunzieren und noch brutaler zu bek=E4mpfen.=
Wann weisen wir endlich mit demselben Nachdruck, mit dem wir f=FCr eine=
konsequente Bek=E4mpfung des internationalen Terrorismus eintreten, die=
vielen Diktatoren und Schreckensherrscher dieser Welt in die Schranken?=
Noch einmal: Die Taliban haben kein Mitleid verdient. Aber rechtfertigt=
das, gefangene Taliban wie Tiere in K=E4figen zu halten und der=
Welt=F6ffentlichkeit vorzuf=FChren? Zeigt sich die St=E4rke eines=
Rechtsstaats nicht gerade darin, wie er seine schlimmsten Feinde behandelt?=
Dass er ihnen nie ihre W=FCrde nimmt? Dass er bei der Bek=E4mpfung des=
Unrechts nie den Boden des Rechts verl=E4sst? Dass er, wie es Papst=
Johannes Paul II. nach dem 11. September ausgedr=FCckt hat, nie =84der=
Versuchung des Hasses nachgibt=93?=20
Es war der eisenharte, unerbittliche Winston Churchill, der einst forderte:=
=84Im Krieg Entschlossenheit, im Sieg Gro=DFmut.=93 Lasst uns=
Kriegsverbrecher und Terroristen hart und gerecht bestrafen =AD aber wie=
Menschen, nicht wie Tiere.=20
All diese Fehlentwicklungen sind so un=FCbersehbar, so evident, und doch=
gibt es wie im M=E4rchen von des Kaisers neuen Kleidern nur wenige Stimmen,=
die auf die Bl=F6=DFen unserer Antiterror-Strategie hinweisen. Selten ist=
in der westlichen Politik ein so zentrales Thema so uncouragiert behandelt=
worden. Aus =84uneingeschr=E4nkter Solidarit=E4t=93 ist uneingeschr=E4nkte=
Unterw=FCrfigkeit geworden, und das ist uneingeschr=E4nkt traurig. Merkt=
niemand, dass wir dabei sind, die milit=E4rische F=FChrung der Welt zu=
gewinnen, die moralische Glaubw=FCrdigkeit aber zu verspielen, ohne die der=
Terrorismus nicht zu besiegen ist?=20
Der Autor war von 1972 bis 1990 entwicklungspolitischer Sprecher der CDU/=
CSU im Bundestag.=20
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