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Es gibt einen Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit
Florian Rötzer 17.04.2002
Oberstes Gericht lehnt Gesetz zum Verbot virtueller Kinderpornographie
als verfassungswidrig ab
Das [1]Oberste Gericht der Vereinigten Staaten hat gestern den
umstrittenen Child Pornography Protection Act (CPPA) von 1996 wegen
seiner Vagheit als verfassungswidrig verworfen, da er die
Meinungsfreiheit beschränken könnte. Das Gesetz hat im Wesentlichen den
Begriff der Kinderpornographie auch auf digital hergestellte Bilder
erweitert, die Minderjährige darzustellen scheinen, ohne dass dabei ein
reales Kind oder ein Bild von einem Kind verwendet wird.
Eingeführt wurde das Gesetz, um ein Problem zu lösen, das erst durch
die digitalen Medien entstanden war. Der Handel mit Kinderpornographie
war schon 1988 verboten worden, jetzt wollten die Gesetzgeber auch
Bilder, die wirkliches repräsentieren, mit Bildern, die nur etwas
simulieren, gleichstellen, da letztere bei Pädophilen ähnliche
Wirkungen auslösen können. Mit der digitalen Technologie kann, so der
neue Tatbestand, Erfundenes so realistisch dargestellt werden, dass es
mit Abbildungen von Wirklichem verwechselt werden kann. Hinzufügen muss
man, dass 1982 der Oberste Gerichtshof entschieden hat, dass
Kinderpornographie im Unterschied zu Pornographie für Erwachsene nicht
vom Ersten Verfassungszusatz als Meinungsfreiheit geschützt ist.
Der Begriff "Kinderpornographie" umfasste im Sinne des CPPA "alle
fotografischen, Film-, Video-, Gemälde-, Computer- und
computererzeugten Bilder", deren Herstellung, Verteilung und Besitz
dann unter Strafe stehen, wenn ein Minderjähriger in einem sexuell
expliziten Verhalten angebildet ist, es so erscheint, als sei ein
solcher in einem sexuell expliziten Verhalten abgebildet, oder ein Bild
so hergestellt oder verändert wurde, dass es so erscheint, als würde
ein identifizierbarer Minderjähriger explizit sexuelle Handlungen
begehen. Unter Strafe steht aber auch, wenn eine solche Darstellung so
beworben, geschildert, präsentiert oder verteilt wird, dass der
"Eindruck entsteht", sie sei eine visuelle Darstellung eines
Minderjährigen mit dem verbotenen Verhalten ( [2]Gleichstellung von
virtuellen und realen Bildern).
Verfassungsklage eingereicht hatte die [3]Free Speech Coalition, ein
Verband von Erotikfirmen. Aber auch Bürgerrechtsorganisationen wie die
[4]ACLU oder das [5]Freedom Forum lehnten das Gesetz ab, weil es zu
weit ginge und auch ernsthafte wissenschaftliche, politische,
künstlerische oder literarische Meinungsäußerungen mit schweren Strafen
bedrohe ( [6]Amerikanische Definition von Kinderpornografie).
Die Verfassung zieht eine scharfe Grenze zwischen "Worten und Taten"
Sechs der Verfassungsrichter lehnten das Gesetz als verfassungswidrig
ab, eine Richterin plädierte dafür, nur einige Passagen herauszunehmen,
zwei Richter wollten das Gesetz beibehalten. In seiner [7]Begründung
des Gerichtsurteils schrieb Anthony Kennedy, dass nur "wenige
rechtmäßige Filmproduzenten oder Verleger" es angesichts der schweren
Strafen riskieren würden, Bilder zu veröffentlichen, "die der
ungewissen Reichweite dieses Gesetzes nahe kommen". Selbst
künstlerische wertvolle Filme wie "Traffic" oder "American Beauty"
könnten womöglich unter den CPPA fallen. Auch "ein Bild in einem
psychologischen Ratgeber oder in einem Film, der den Schrecken des
sexuellen Missbrauchs darstellt", könnte damit geahndet werden.
Das Gesetz verbiete allgemein "die visuelle Darstellung einer Idee,
nämlich von Jugendlichen, die sich sexuell betätigen. Das ist eine
Tatsache der modernen Gesellschaft und war schon immer ein Thema in der
Kunst und Literatur." Besonders paradox sei es, dass nach dem Gesetz
auch Bilder von Personen verboten wären, die jünger als 18 Jahre zu
sein scheinen. In den USA dürfen in 48 Staaten mit elterlicher
Zustimmung Jugendliche ab 16 Jahren heiraten, wodurch sie sich ganz
legal sexuell betätigen. Die Verfassung aber gewährt nach dem
Mehrheitsurteil Schutz vor zu allgemeinen Gesetzen.
Es dürften auch nicht einzelne Bilder also solche beurteilt werden,
sondern wichtig sei bei der Feststellung von Kinderpornographie der
Kontext und die Absicht. Verboten sei Kinderpornographie vor allem
deswegen worden, weil zu deren Herstellung Minderjährige missbraucht
werden. Das Oberste Gericht wies auch die Begründung für das Gesetz
zurück, dass virtuelle Bilder von erfundenen Minderjährigen Pädophile
sexuell stimulieren oder von diesen verwendet werden, um Minderjährige
zu verführen. Vieles wie Computerspiele, Bonbons oder Comics könne auch
einem Missbrauch dienen, ohne dass damit gleich alles verboten werden
dürfte. Inhalte, die an Erwachsene gerichtet sind, dürften nicht schon
deswegen verboten werden, weil sie auch in die Hände von Minderjährigen
gelangen können.
In der Verfassung sei zum Schutz der Meinungsfreiheit eine klare
Grenze zwischen "Worten und Taten, Ideen und Verhalten" gezogen worden.
Und schließlich würde die Verfassung auf den Kopf gestellt, wenn freie
Meinungsäußerung zur Verhinderung von strafbarer Äußerung aufgrund des
Arguments verboten würde, dass Strafverfolger simulierte Bilder nicht
von wirklichen fotografischen Abbildungen unterscheiden könnten.
Links
[1] http://www.supremecourtus.gov/
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/4386/1.html
[3] http://www.freespeechcoalition.com/
[4] http://www.aclu.org
[5] http://www.freedomforum.org/
[6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/11001/1.html
[7]
http://caselaw.lp.findlaw.com/scripts/getcase.pl?court=US&vol=000&invol=
00-795&friend=washingtonpost
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/12342/1.html
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