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[infowar.de] Total Info Awareness: Das Orakel der DARPA
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http://www.telepolis.de/deutsch/special/auf/13074/1.html
Das Orakel der DARPA
Goedart Palm 11.08.2002
Zu den neuen Bespitzelungsfantasmen des "Total Information
Awareness"-Systems
Der 11.September markiert nicht lediglich ein behebbares
Wahrnehmungsleck spätmoderner Überinformationsgesellschaften, er
bestätigt das immergrüne Wissen, dass die Zukunft nicht
prognostizierbar ist. Das soll jetzt indes in Amerika anders werden,
auch die Zukunft hat sich dem manichäischen Kampf gegen das Weltböse zu
unterwerfen.
Die Avantgarde amerikanischer Kriegstechnologie, die "Defense Advanced
Research Projects Agency" ( [1]DARPA), projektiert nun das
technologisch revolutionäre System der "Total Information Awareness (
[2]TIA). Das System mit dem babylonischen Anspruch und dem
Totalitarismus im Namen soll alle Informationen sammeln und rechtzeitig
auswerten, die zwar vor künftigen Terror-Anschlägen verfügbar sind,
aber in der Vergangenheit oft nicht rechtzeitig interpretiert wurden.
Diesen Wettlauf mit der Zeit wollen die Datenherrscher der DARPA
zukünftig um jeden Preis gewinnen. Das würde auch solche politischen
Vorwürfe entsorgen, mit denen die Bush-Regierung nicht nur von der
Opposition konfrontiert wird, die Septemberanschläge nicht rechtzeitig
erkannt zu haben. Zwar war ein Teil der Mosaiksteine der "Intelligence"
bekannt, aber niemand da, sie zu dem Bild des kommenden Schreckens zu
komplettieren.
Nun ist dieser neueste Wunsch nach totaler Informationsherrschaft
wenig originell. Nichts anderes formulieren US-Regierung und die
relativ erfolglosen US-Geheimdienste seit Anbeginn ihrer erregten Hatz
auf echte, potentielle und - last but not least - imaginäre Terroristen
unentwegt. Wie das federführende "Information Awareness Office" (IAO)
der DARPA andeutet, handelt es sich bei diesem
Terroristen-Supervisionssystem aber um ein futurologisches Projekt, das
die gegenwärtigen Intelligence-Infrastrukturen auf das digitale
Altenteil verabschiedet.
Neu sind bislang nur die geplanten Datenspeicher in Petabyte-Größe
Zwar wollen die TIA-Programmdirektoren die eifrig stimulierten
Erwartungen am zukünftigen Erfolg ihrer totalen Informationsdominanz
auch nicht zu hochschrauben. Aber man vertraue auf technische
Entwicklungen, die die künftigen Schnittstellen zwischen Mensch und
Maschine so reibungslos gestalten, dass kompliziertere und komplexere
Problemlösungsansätze für den immerwährenden Antiterror-Weltauftrag der
USA gefunden werden, als sie die bisherigen Eiertänze um die
Neuorganisation der US-Überwachungsagenturen versprechen. Was das
politische System nicht richtet, wird nun also zur Agenda einer
hypertrophen Technologie. Eine bloße Weiterentwicklung existierender
Technologien sollen interessierte Unternehmen daher erst gar nicht
vorschlagen: Geld gibt es nur für den, der eine Terroristen-Mausefalle
entwirft, die rechtzeitig und unwiderruflich zuschnappt.
Die Neuentdeckung der Speicher- und Verarbeitungstechnologien im
Rahmen des Fünfjahresplans der IAO ist so geheim oder aber so diffus,
dass lediglich von Datenspeichern in Petabyte-Größe die Rede ist. Mit
anderen Worten: Der Datenheuhaufen mit jeder Sorte von Informationen
über die Bürger soll in das Unvorstellbare wachsen. [3]Gattaca at hand.
Und dass die Prospekte, den Turm von Babel als panoptisches
Überwachungsbüro in god's own country nachzubauen, sich bei der IAO
längst von der Metapher entfernt haben, dafür stehen auch parallele
Projekte wie etwa [4]Babylon, das den Terroristenbekämpfer in der
fundamentalistischen Fremde multilingual hochrüsten soll.
Kritik am geplanten hyberorwellianischen System
Da die Agentur über ihre Tätigkeit außer ihren visionären
Ankündigungen hinaus wenig mitteilt, regt sich bereits jetzt der
Widerstand der [5]Electronic Frontier Foundation und anderer Vertreter
bürgerlicher Freiheitsrechte. EFF-Vertreter [6]Lee Tien moniert, dass
mit diesem Projekt letztlich eine nationale ID-Card geschaffen werde,
ohne zugleich angemessen über das Verhältnis zum Datenschutz
nachzudenken. Für Tien ist das TIA-System kein einfaches
Identifikationssystem mehr, sondern ein omnipotentes Tracking-System,
um noch jeder blässlichen Datenspur des Bürgers nachzuschnüffeln. Über
Akteneinsichtsrechte oder Berichtigungsansprüche scheint bei dem neuen
Spitzelvorhaben niemand nachzudenken.
Die Einwendungen gegen dieses Fantasma der Informationsherrschaft sind
im Übrigen geläufig: Die Unmengen irrelevanter Informationen könnten
wieder just die kritische Informationsmasse zuschütten ( [7]Der
Schläfer im Datenheuhaufen) - mithin vergrößere man lediglich die
Stecknadelsuche mit anderen, teureren Mitteln. Schließlich würden, so
die Kritiker, doch wieder nur Bürgerrechtsaktivisten ausspioniert,
während die Terroristenfalle im Fall der Fälle klemmt.
Die Angst vor einer Dunkelmännerstrategie des neuen
hyberorwellianischen Systems ist begründet. Denn weder hat die DARPA
das Budget kundgetan, noch sind die Zuständigkeiten klar, ob also eine
bestehende Geheimdienstabteilung den gigantomanischen Schnüffeljob
erledigt oder gar gleich wieder eine neue Spitzelagentur gegründet
wird. In den Ohren der Kritiker reimt sich TIA auf Steven Spielbergs
[8]Minority Report, der Geschichte eines fiktionalen
Überwachungsszenarios im Jahr 2054, in dem Menschen bereits dann aus
dem Verkehr gezogen werden, bevor sie überhaupt ein Verbrechen begehen
konnten. Terrorismus war gestern?
Wer also demnächst bei seinen Emails, Kreditkarten-Legenden,
Bucheinkäufen und den übrigen Spuren seiner Datenexistenz gefährliche
Interessen signalisiert, sich etwa zu auffällig für Amerikas
Antiterrorkampf interessiert, könnte morgen bereits in Sicherungshaft
geraten. Billiger wäre es freilich, das eigene
Superbeobachtungsfantasma mit der widerspenstigen Wirklichkeit kurz zu
schließen. Eine solche Low-Budget-Killerapplikation ist aber in diesen
Tagen so unbezahlbar, dass nur Träumer oder Steuerzahler darauf kommen
könnten.
Links
[1] http://www.darpa.mil/
[2] http://www.darpa.mil/iao/tiasystems.htm
[3] http://www.kinopolis.de/filminfo/g/gattaca.html
[4] http://www.darpa.mil/iao/Babylon.htm
[5] http://www.eff.org/
[6] http://www.eff.org/effector/HTML/effect13.06.html#II
[7] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12269/1.html
[8] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-21.06.02-005/
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