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[infowar.de] Raketenrüstung und internationale Sicherheit



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Tagungsbericht: Die zwei Enden der Parabel - Raketenr=FCstung
und internationale Sicherheit von 1942 bis heute

Historisches Institut und Institut f=FCr Politische Wissenschaft an der
Universit=E4t Greifswald und Forum Peenem=FCnde e. V.
02.10.2002-04.10.2002, Greifswald und Peenem=FCnde

Unter dem Titel "Die zwei Enden der Parabel - Raketenr=FCstung und
internationale Sicherheit von 1942 bis heute" fanden sich in Greifswald
und Peenem=FCnde Forscher zu einem Symposium ein, um anl=E4=DFlich des 60.
Jahrestages des ersten erfolgreichen Starts einer V-2-Rakete (3. Oktober
1942) =FCber die Bedeutung dieses Ereignisses und die Folgen, die sich
durch die Raketentechnik in der Kriegsf=FChrung und in der internationalen
Kr=E4fteverteilung ergaben, zu diskutieren.

Am ersten Tag galt das Interesse dabei zun=E4chst der V 2 selbst und ihren
Entwicklern sowie deren Einfluss auf den Beginn der Raketenforschung in
den USA, der UdSSR, Gro=DFbritannien und Frankreich. Au=DFerdem wurden die
Anf=E4nge der Entwicklung der Sicherheitspolitik unter dem Eindruck der
neuen Waffen behandelt. Der zweite Tag fand in Peenem=FCnde im
historisch-technischen Informationszentrum im ehemaligen Kraftwerk der
Heeresversuchsanstalt statt. Neben einer Besichtigung der Ausstellung
wurde mit Vertretern der an dem Museum beteiligten Institutionen =FCber
die Risiken und M=F6glichkeiten einer musealen Ausstellung an einem "Ort
der T=E4ter" gesprochen, au=DFerdem wurde die Nutzung des ehemaligen
Versuchsgel=E4ndes in der DDR vorgestellt. Abends hielt Bundesminister
a.D. Hans Apel einen Vortrag =FCber Sicherheitspolitik. Abgeschlossen
wurde der Tag mit einem Kulturprogramm. In Greifswald fand dann der
dritte und letzte Tag mit einer Sitzung zur aktuellen Situation der
Raketenproliferation und zur Bedeutung von Interkontinentalraketen und
Nuklearwaffen f=FCr die Strategie der Gro=DFm=E4chte statt.

Am Mittwoch referierte zun=E4chst Jens-Christian Wagner (KZ-Gedenkst=E4tte
Mittelbau-Dora). Im Mittelpunkt seiner Darstellung standen die
Organisation in Peenem=FCnde und sp=E4ter im Mittelbau-Dora sowie die
Arbeits- und Lebensbedingungen der H=E4ftlinge. Er erl=E4uterte u.a.
Rekrutierungszahlen der H=E4ftlinge, die Sterberaten sowie die
=DCberlebenschancen, welche verschwindend gering gewesen seien. Eine
zentrale Frage der anschlie=DFenden Diskussion war die der Schuldzuweisung
an die bei der Raketenentwicklung beteiligten Wissenschaftler.

Den Weg der deutschen Raketenforscher, insbesondere Wernher von Braun,
in den USA und ihre Bedeutung f=FCr die US-amerikanische Raketenpolitik
beschrieb anschlie=DFend Michael Neufeld (Smithsonian Institution
Washington). Er wies darauf hin, dass technische Neuerungen in gro=DFem
Umfang von amerikanischen Firmen entwickelt wurden, w=E4hrend sich die
Rolle der Deutschen zun=E4chst darauf beschr=E4nkte, Technologietransfer zu
leisten. Der Eindruck der V 2 auf die Welt=F6ffentlichkeit sei bedeutender
als die Leistung der Deutschen in Amerika gewesen, die dar=FCber hinaus
unter dem Auseinandersetzungen zwischen den Teilstreitkr=E4ften zu leiden
hatte.

Holger Steinle (Deutsches Technikmuseum Berlin) erl=E4uterte das
sowjetische Pendant zu dieser Geschichte. In der Gegen=FCberstellung zur
amerikanischen Raketenforschung und Entwicklung dieser wurde deutlich,
wie f=FCr beide Weltm=E4chte die Reaktion auf eine technische Neuerung der
jeweils anderen Seite unumg=E4nglich geworden war, und somit die
Aufr=FCstung auf beiden Seiten forciert wurde. Steinles Ausf=FChrungen
basierten vornehmlich auf einer wissenschaftlich-technischen Grundlage.

Die Entwicklung der Raketentechnik in Frankreich vom zweiten Weltkrieg
bis zum Ende des Kalten Krieges wurde anschlie=DFend von Jacques Villain
(Institut Fran=E7ais d`Histoire d`Espace) behandelt. Die Anf=E4nge lagen
demnach in der Zeit vor dem Krieg, allerdings kam es erst nach Beginn
der Feindseligkeiten zu ernsthaften Versuchen, die Technik zu erproben.
Ein daf=FCr in Aussicht genommenes Gel=E4nde in Algerien konnte allerdings
wegen der Kriegshandlungen der Deutschen nicht genutzt werden. Im
weiteren Verlauf seines Referates ging Villain insbesondere auf die
verschiedenen in Frankreich entwickelten Raketentypen ein.

Beatrice Heuser (King`s College London) behandelte die britische Sicht
auf die Raketenforschung und ihre weitere Entwicklung, auch im
Verh=E4ltnis zu den USA und Frankreich. Sie betonte insbesondere den
anderen Weg, den GB mit dem engen Anschlu=DF an die USA im Gegensatz zu
Frankreich, das auf eine eigene Raketenentwicklung setzte, gegangen sei.
Im Schulterschluss mit den USA glaubte man das Ziel (etwa in der
Waffenentwicklung) leichter und schneller erreichen zu k=F6nnen.

Zum Abschlu=DF des Tages gab Thomas Stamm-Kuhlmann (Universit=E4t
Greifswald) einen =DCberblick =FCber die Entwicklung der
Raketenabr=FCstungsversuche von 1970-1990 und der Idee der R=FCstungsparit=
=E4t
als sicherheitspolitischem Instrument. Der Referent gab einen =DCberblick
=FCber die verschiedenen Abr=FCstungsrunden seit 1969 (SALT I, SALT II,
START), die auf der Grundlage er Mutual Assured Destruction als
verteidigungspolitischer Grundlinie beruhten. Allerdings gab es in den
USA seit Mitte der 70er Jahre unter der Carter-Administration Stimmen,
die eine milit=E4rische und technologische =DCberlegenheit der USA f=FCr
notwendig hielten. Diese =DCberlegungen kamen unter Reagan zum Durchbruch.
Entscheidend war jedoch der Machtwechsel in der UdSSR, der Reagan den
letzlichen Erfolg erm=F6glichten.

Der zweite Tag in Peenem=FCnde wurde den heute noch vorhandenen
Hinterlassenschaften der V-2-Produktion ebendort gewidmet. Zun=E4chst
erl=E4uterten Christoph Ehmann und Bernhard Hoppe vom wissenschaftlichen
Beirat die Bedeutung Peenem=FCndes als Museumsstandort. Es wurde deutlich
gemacht, dass sich die Initiative f=FCr das heutige Informationszentrum
entwickelte, nachdem auf private Initiative Anfang der 90er Jahre eine
ungen=FCgende Ausstellung pr=E4sentiert worden war. Auch wurde der Wunsch
sichtbar, Peenem=FCnde in ein Netz der historischen NS-Gedenkst=E4tten (etwa
Prora auf R=FCgen) in Mecklenburg-Vorpommern einzubinden. Klaus Hein,
ehemals Stabschef der in Peenem=FCnde stationierten Luftwaffe, gab einen
=DCberblick =FCber die Nutzung des Gel=E4ndes (Marine, Luftwaffe) in der=
 DDR,
die z. T. unter =E4u=DFerst schwierigen Bedingungen stattgefunden habe.

Anschlie=DFend stellten Dirk Zache und Johannes Erichsen das Museum und
die Ausstellung vor. Das wissenschaftliche Programm wurde mit einem
=F6ffentlichen Vortrag von Bundesverteidigungsminister a.D. Hans Apel
abgeschlossen, der =FCber Erfahrungen mit Sicherheitspolitik in drei
Jahrzehnten berichtetet und dies dazu nutzte, f=FCr eine St=E4rkung der
Bundeswehr zu pl=E4dieren. Bemerkenswert an seinen historischen
Ausf=FChrungen war die Einsch=E4tzung, dass die UdSSR in ihrer
Deutschlandpolitik regelm=E4=DFig gescheitert sei, was M=F6glichkeiten der
Einflussnahme in Mitteleuropa betraf, und dass die Abr=FCstungsgespr=E4che
zwischen den UdSSR und den USA lediglich gut f=FCr das Klima gewesen
seien. Ersteres wurde am Beispiel von Bundeskanzler Schmidts Bem=FChen
erl=E4utert, Breschnew dazu zu bringen, die russischen SS-20-Raketen
hinter den Ural zu verlegen, was im Falle des Erfolgs eine
au=DFerordentliche Machtverschiebung zugunsten der UdSSR - nach Meinung
Apels- zur Folge gehabt h=E4tte. Die Abr=FCstungsbem=FChungen Reagans und
Gorbatschows h=E4tten dann mit der deutschen Einheit an Bedeutung
verloren, ebenso wie die NATO ihre Aufgabe mit dem Zusammenbruch der
UdSSR verloren habe. Zum transatlantischen Verh=E4ltnis bemerkte Apel,
dass die geringe innerdeutsche Bedeutung der Bundeswehr, verbunden mit
der geostrategischen Bedeutungslosigkeit Deutschlands und Europas, eine
Ursache f=FCr die gegenw=E4rtigen Missstimmungen seien, denn die USA fragten
sich zu Recht, warum sie auf die Europ=E4er R=FCcksicht nehmen sollten.
Wolle man mit den Amerikanern auf gleicher H=F6he stehen, sei eine
integrierte europ=E4ische Sicherheitspolitik, mit entsprechender
Verbesserung des Zustandes der Bundeswehr, notwendig.

Der dritte Tag galt der Rolle der Raketenwaffen in der heutigen Welt:
Markus Kaim (Universit=E4t Jena) erl=E4uterte die Raketenproliferation im
nahen Osten, wobei besonders die weite Verbreitung der Raketenwaffen
deutlich wurde und er f=FCr das Verh=E4ltnis von Israel zu seinen Nachbarn
ein lokales Gleichgewicht des Schreckens zu konstatieren glaubte.

G=F6tz Neuneck (Institut f=FCr Friedensforschung und Sicherheitspolitik
Hamburg) sprach =FCber die Verbreitung der Raketen in Korea, Indien, China
und Pakistan und wies besonders auf die technische Seite der Raketen
hin, wobei sich zeigte, dass die meisten der verwendeten Systeme
technisch weitgehend der V 2 entsprechen. Ferner wies er auf die zum
Teil unklaren Kan=E4le hin, =FCber die die Technologie weitergegeben wird,
und zeigte, dass Teststoppabkommen keineswegs einen Entwicklungstopp
bedeuten.

Wilfried von Bredow (Universit=E4t Marburg) schilderte die Auswirkungen
des atomaren Patts auf die Sicherheitsphilosophien der Superm=E4chte in den
Jahrzehnten des Ost-West-Konflikts seit 1945.

Reinhard Wolf (Universit=E4t Greifswald) unterzog in seinem Vortrag die
Politik der Abschreckung und der "Mutual Assured Destruction", wie sie
von den USA und der UdSSR im gegenseitigen Verh=E4ltnis verfolgt wurde,
einer kritischen Bewertung, wobei er zu dem Ergebnis kam, dass - auch
angesichts der teilweise unzuverl=E4ssigen und ungenauen Technik - sie
keineswegs als Garantie f=FCr den Frieden angesehen werden k=F6nne, sondern
auch gro=DFe Risiken beherbergt habe.

Klaus Arnhold (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) sprach
abweichend vom Programm nicht =FCber Raketenabwehrsysteme, sondern nahm zu
einigen Punkten, die ihm im Verlauf der Tagung aufgefallen waren,
Stellung. Er verwies insbesondere noch einmal auf die Bedeutung
psychologischer Momente bei der Einsch=E4tzung von Bedrohungsszenarien,
wie auch zu beachten sei, dass die Raketenproliferation in die dritte
Welt sich nicht im globalen, wie im kalten Krieg, sondern im regionalen
Kontext vollziehe und man bei einer Bewertung jeweils ebendiesen wie
auch den kulturellen Kontext beachten m=FCsse. Arnhold beklagte das Fehlen
einer qualifizierten Expertenkultur zur Sicherheitspolitik in der
Bundesrepublik Deutschland.

Die zum Teil recht lebhaften Diskussionen auf der Tagung entsprangen vor
allem zwei Fragen: Die erste bezog sich auf die Bewertung Peenem=FCndes
resp. der Raketenforschung und inwieweit man diesen technischen
Fortschritt unabh=E4ngig von seinen Folgen (die Nutzung als Raketenwaffe)
und den Umst=E4nden seiner Entstehung und Produktion (mittels KZ und
Zwangsarbeit) w=FCrdigen kann und darf; die zweite kreiste um die Frage
einer Bewertung des ABM-Vertrages heute: Zwar herrschte weitgehend
Konsens, dass er heute gegenstandslos geworden sei. Aber die
Konsequenzen, die daraus zu ziehen seien (etwa inder Frage der
N=FCtzlichkeit und Machbarkeit eines Raketenabwehrsystems), blieben
umstritten.

Zu der Tagung wird ein Tagungsband erscheinen.

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F=FCr Fragen zur Tagung selbst ist Hr. Stamm-Kuhlmann Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann
Historisches Institut
Ernst-Moritz-Arndt-Universit=E4t Greifswald
Domstr. 9a
17487 Greifswald
Tel.: 03834/863328
Fax: 03834/863329
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