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[infowar.de] Wird Bagdad zum Laufsteg für die neue Militärmode des "urban warfare"?
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Zwischen zwei Häuserblocks
Willkommen in "mock city" - oder: Wird Bagdad zum Laufsteg für die neue
Militärmode des "urban warfare"?
Von Jochen Stöckmann
Kommandeure des US Marine Corps hatten wir uns immer als kernige
Haudegen vorgestellt, kaum als eierköpfige think tanks, die eher mit
gewagten Formulierungen denn mit Waffentaten glänzen. Auf genau diesem
akademischen Wege aber dürfte General Charles Krulak in die Annalen
eingehen. Er prophezeite als einer der ersten den kommenden Krieg in den
Städten, rief den "urban warfare" aus und skizzierte mit lockerer Hand
ein für viele US-Militärs apokalyptisches Schlachtengemälde vom "three
block war": Schon im nächsten Feldzug - also doch wohl in Bagdad -
sollen ledernackigen Marines zum Frühstück in der Rolle der
Friedenstifters Seit' an Seit' mit humanitären Hilfsorganisationen
flanieren, nach dem Lunch müssten sie als Polizei zwei verfeindete
Stämme oder Gangs voneinander trennen und vor dem Dinner sei dann
schnell noch ein veritabler Straßenkampf mit einigermaßen tödlichen
Folgen durchzustehen. All das an einem Tag und zwischen drei
Häuserblocks - zumindest aus militärischer Sandkastensicht höchst
"urban".
Bislang galten die Norddeutsche Tiefebene oder arabische Wüsten als
ideales Terrain, auf dem westliche Armeen unter Hubschrauber- und
Kampfjetbedeckung in schnellen Panzerwagen durch Staub und Lehm
pflügten. Dieser technologischen Überlegenheit, so fürchtet nicht nur
General Krulak, werden anonyme Terrorgruppen und die teuflischen
Kleinmeister der "asymmetrischen" Kriegführung begegnen, indem sie den
US Army-Koloss in eine "komplexe, chaotische, ja todbringende Umgebung
locken", an einen Platz, den man "Stadt" nennt.
Verglichen mit Asphalthöllen und Betonlabyrinthen, so diagnostiziert der
Armeechirurg Robert Leitch, sind Steppen, Wüsten und sogar der Dschungel
saubere und angenehme Orte. Aber auch aus sozialhygienischer Sicht kann
Major Mark Sumner vom US Marine Corps der Großstadt als Gefechtsfeld
nichts abgewinnen, weil hier "radikale Ideen gedeihen", der
"multiethnische Mix" allerlei Konflikte hervorruft und "politisch
unzufriedene oder oppositionelle Gruppen" allergrößte
Medienaufmerksamkeit bekommen. Andererseits, so sieht Sumner ein, müsse
die Weltmacht USA ihre Truppen wohl oder übel in die urbanen Zentren
schicken, um befreundete Regierungen zu stabilisieren. Oder, was
Strategen und die neuerdings sehr gefragten "war designer" wohlweislich
verschweigen, um feindliche Regimes zu destabilisieren.
Dazu müsste eine Hauptstadt wie etwa Bagdad eingenommen werden. Das
würde einer jahrzehntelang beherzigten Devise General McArthurs
widersprechen, der im Zweiten Weltkrieg erkannte, dass die Zeiten der
Frontalattacken vorbei und Hindernisse wie etwa Großstädte zu umgehen
seien. Dann aber mokierte sich einige Jahre nach der vor den Toren von
Saddams Hauptstadt verwehten "Operation Wüstensturm" Clintons
Außenministerin Madeleine Albright über eine Armee, die im
entscheidenden Moment ihren technologisch hoch gerüsteten Schwanz
einklemmt. Seither stehen die Ledernacken-Generäle unter dem Pantoffel
politischer Vorgaben.
Zwar hätte der historisch leichtfertige Vergleich von Hitler und Saddam
nahe gelegt, nun auch die irakische Kapitale aus der Luft in die
Steinzeit zurückzubomben. Aber an diesem Punkt haben die Militärs
tatsächlich einmal auf die Experten gehört, auf die
Geschichtswissenschaftler. In seiner Auswertung der Schlacht um
Stalingrad kam Gerhard L. Weinberg zu dem Ergebnis, dass die deutschen
Luftangriffe eine Ruinenlandschaft schufen, in der am Ende die
Verteidiger ihre Vorteile nutzen konnten.
Schließlich führte das russische Vorgehen in Grosny nicht nur aller
Welt, sondern auch den Propagandaexperten der US Army vor Augen, dass
allein der Fernsehbilder wegen - und vielleicht auch im Hinblick auf
einen später fälligen Wiederaufbau - die städtische Bausubstanz nicht
allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen werden sollte. Aber Bürogebäude,
enge Straßenschluchten oder gar Slums und verwinkelte Abwässerkanäle
werden den Bedürfnissen der Militärs nur selten gerecht. Sie schauen
vorzugsweise aus waffenstarrenden Helikoptern auf diese wimmelnden
Ameisenhaufen.
Nach dem Abschuss durch somalische Milizen sind denn auch Black Hawk
down und Mogadischu die Stichworte für eine traumatische Erfahrung der
Orientierungslosigkeit und nicht identifizierbaren Bedrohung von
praktisch allen Seiten, die kein GI, aber auch kein General noch einmal
erleben möchte. Also sollen künftig unbemannte Aufklärungsflugzeuge
anstelle der Hubschrauber durch die Straßen patrouillieren, mit
ferngelenkter Präzisionsmunition werden die regulären US-Streetfighter
sozusagen um die Ecke schießen - und seinen ganz eigenen Weg bahnt sich
der "urban warrior" mit einer Bazooka, die mannshohe Löcher durch jede
Wand sprengt. Denn nach dreimaligem Anklopfen und höflich durch die Tür
wird dieser wie ein mittelalterlicher Ritter eingerüstete und gepanzerte
Soldat der Zukunft nicht eintreten - darauf wartet sein hinter
Schreibtischen und Schränken gut gedeckter, in Kellern verborgener
Gegner ja nur.
Andererseits aber sucht eine keineswegs ausschließlich feindliche
Bevölkerung in ihren Häusern Zuflucht. Und eine noch so avancierte
Luftaufklärung wird vielleicht Regierungsgebäude - und diesmal
hoffentlich auch: die chinesische Botschaft - identifizieren, dürfte
aber kaum unterscheiden können zwischen regimetreuen und oppositionellen
Haushalten. Das bleibt den gemeinen Soldaten und ihrem Gruppenführer
vorbehalten, weshalb die Briten bereits vom "corporal's war" sprechen,
vom Krieg der Unteroffiziere.
Die sollen künftig in Pulverdampf und Elektrosmog die Orientierung
behalten - und werden bereits jetzt mit dem "ganzen weltweiten Spektrum
von Stadtlandschaften" vertraut gemacht: Die "mock cities", ausgedehnte
Stadtattrappen, haben im Häuserkampf geübte israelische Soldaten für die
Marines erst einmal mit Moscheen, über der Straße flatternder Wäsche
und sogar einem durch den Staub trottenden Esel ausstaffiert. Damit
dürfte das nächste Angriffsziel hinreichend definiert sein.
Wer wissen will, welche Schurkenstaaten vom bewaffneten Städtetourismus
aufs Korn genommen werden, der sollte sich in Texas, Kanada oder Europa
umschauen. Dort will die US-Army bis 2009 mehr als 80 "mock cities"
einrichten um "military operations on urbananized terrain" zu
trainieren.
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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 12.12.2002 um 21:06:10 Uhr
Erscheinungsdatum 13.12.2002
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Dirk Eckert
- Freier Journalist und Politikwissenschaftler (M.A.) -
Tel/Fax: 0221/5104183
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