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[infowar.de] Spiegel über EU-Abhörskandal: "Sauerei der Sonderklasse"
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,241722,00.html
"Sauerei der Sonderklasse"
Ein Abhörskandal im Brüsseler EU-Viertel zeigt: Ausländische Geheimdienste
nehmen europäische Spitzenpolitiker ins Visier - womöglich auch in Berlin.
Wenn der neue Chefsprecher der EU-Kommission, der Finne Reijo Kemppinen,
um Worte für die Wahrheit ringt, wird er oft förmlich. Die Abhörsicherheit
der Europa-Behörde sei in den allerbesten Händen, hub Kemppinen vergangene
Woche zu loben an. Weiter aber kam er nicht. Ein Stromausfall just in
dieser Sekunde schaltete ihm das Mikrofon ab, die Lichter gingen aus. Der
Rest blieb im Dunkeln, unausgesprochen.
Ein gespenstisches Menetekel, denn seit vergangener Woche ist auch klar,
dass Europas Spitzenpolitiker in dem mit Zäunen und Bodyguards gesicherten
EU-Ministerratsbau "Justus Lipsius" mit Hightech-Wanzen perfekt belauscht
wurden - ausgerechnet in jenem Gebäude, in dem sich Ende vergangener Woche
die europäischen Staatschefs trafen, in dem sich permanent Botschafter und
Minister austauschen.
Jedes EU-Mitgliedsland hat im Justus-Lipsius-Gebäude, dem Herzen der EU,
seinen eigenen Trakt. Und gleich bei sechs Nationen - in den
Delegationszimmern von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien,
Italien und Österreich - wurden hochmoderne Wanzen gefunden. Überall saßen
die Lauschgeräte gut versteckt in den Zwischendecken.
Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Europäischen Union - und ein
weiteres Indiz für eine Entwicklung, die deutsche Geheimdienstler schon
seit längerem registrieren: Während die Zusammenarbeit innerhalb Europas
relativ gut funktioniert, agieren die Geheimdienste angeblich befreundeter
Staaten immer aggressiver.
Höchstens fünf oder sechs Staaten hätten das Know-how für eine solche
Operation, glauben deutsche Sicherheitsexperten. Weil der Lauschangriff
nach Überzeugung europäischer Geheimdienstler vor allem dem
Wirtschaftsriesen Europa galt, zählen jene Nicht-Europäer zu den
Hauptverdächtigen, die bekanntermaßen Wirtschaftsspionage betreiben: die
USA und Israel.
Dass der Spionageskandal von Brüssel das Werk von Profis war, steht fest:
Die sichergestellten Geräte gehören zum Modernsten, was Nachrichtendienste
weltweit nutzen können - sie sind auch nur von Top-Leuten zu installieren
und zu warten.
Entdeckt worden war das Equipment per Zufall: Am 28. Februar streikte
plötzlich das Telefon in einem Sitzungszimmer. Der hauseigene
Sicherheitsdienst bemerkte bei der Suche nach dem Fehler allerhand
Gerätschaften in der Zwischendecke, die dort nicht hingehören. Überall
verliefen seltsame Leitungen. Wie Parasiten klemmten dosenartige Geräte
auf den Kabeln. Und während auf der übrigen Verkabelung der Staub der
Jahre lag, glänzten einige Teile, als seien sie gerade erst poliert worden
- tatsächlich wurden sie wohl kürzlich erneuert.
Die EU, ohnehin ziemlich hilflos in Fragen des dunklen Gewerbes,
informierte die betroffenen Länder. Otto Schilys Innenministerium ordnete
sofort Fachleute des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik
(BSI) ab, den Fall zu untersuchen. Die kaum bekannte Behörde mit Sitz in
Bonn ist eine Art Ghostbuster-Truppe für Sicherheitsfragen. Mit einem hoch
spezialisierten "Wanzensuchtrupp" überprüfen die Bonner etwa regelmäßig
alle Ministerien in Berlin auf versteckte Lauscheinrichtungen.
Was die BSI-Fahnder in den Zwischendecken des EU-Ministerratsgebäudes
fanden, erinnerte an die finstersten Zeiten des Kalten Krieges. "Das
Gebäude", sagt ein deutscher Sicherheitsexperte, "war verdrahtet wie ein
Flipperautomat." Sender, stark genug, um die Lauschergebnisse
weiterzufunken, klemmten neben den Horchapparaten. Vermutlich wurden die
ersten Wanzen schon 1995 montiert, beim Neubau des Gebäudes. Andere Teile
sind eindeutig jüngeren Datums. Die Typenschilder waren säuberlich
ausgekratzt worden.
Im Geheimdienst-Jargon wird die Methode, einen Bau noch vor der Eröffnung
zu verwanzen, "chinesische Mischung" genannt - man nehme ein paar Sack
Zement und eine Hand voll Wanzen. Lediglich ein stecknadelgroßes Loch in
der Wand brauchen Hightech-Lauschgeräte, um Gespräche aufzunehmen. Ende
der neunziger Jahre hatten deutsche Sicherheitstechniker auf der Suche
nach einer eingemauerten Abhöranlage ganze Zimmerwände eines deutschen
Generalkonsulats in Russland bis auf die Grundmauern abklopfen müssen, ehe
sie fündig wurden.
Die EU-Verwaltung entschied diesmal, den allzu dreisten Spionen eine Falle
zu stellen: Einige Wanzen sollten abgeklemmt werden, Peilwagen der
belgischen Sécurité standen im Europaviertel bereit, um Empfangsstationen
auf die Spur zu kommen. Im Ratsgebäude wartete man gespannt, wer wohl
erscheinen würde, um die Apparaturen wieder in Gang zu setzen.
Doch statt der Spione kam vergangene Woche das französische Blatt "Le
Figaro" - und vermeldete den Skandal. Damit war die Chance vertan, die
Spione zu packen.
Offiziell nahm der amtierende Ratspräsident, der griechische Außenminister
Georgios Papandreou, die Spionage-Attacke mit Humor: "Niemand braucht uns
abzuhören, ich lade alle ein, unsere Websites zu besuchen." Ein deutscher
EU-Diplomat spottet: "Endlich hört uns mal jemand zu."
Doch die Angelegenheit ist brisant, denn die Spione könnten die EU schon
viel gekostet haben: Amerikaner etwa haben, auch zu Friedenszeiten,
allerhöchstes Interesse an Informationen über die EU-Haltung vor einer
Welthandelsrunde. Und die Israelis interessieren sich für
Unveröffentlichtes über geplante Zölle.
Schon einmal war Israel in üblen Verdacht geraten: Kurz nach Einzug in das
Haus stellten Beobachter fest, dass Artikel in amerikanischen und
israelischen Zeitungen seltsam gut zu den Debatten der EU-Botschafter vom
selben Tag passten. Geheimdienstler mussten feststellen, dass die
Raummikrofonanlage im Bau durch eine israelische Sicherheitsfirma
installiert worden war. Eine der Wartungsfirmen des Gebäudes soll auch
jetzt enge Verbindungen nach Israel haben.
Der israelische Geheimdienst Mossad ist berüchtigt für derart unhöfliche
Attacken: 1998 etwa wurden israelische Agenten in flagranti beim Anzapfen
einer Telefonanlage im schweizerischen Bern ertappt. Sie waren hinter
einer Firma her, die im Verdacht stand, an verdeckten Waffengeschäften
beteiligt gewesen zu sein. Der Fall führte zu einem diplomatischen Eklat.
In Berlin war man deshalb über die "Sauerei der Sonderklasse", wie ein
hoher deutscher Beamter den Brüsseler Fund nennt, nicht sonderlich
überrascht. In der Regierung grassiert schon lange die Sorge, dass
ausländische Nachrichtendienste hochrangige Beamte und Minister gezielt
ausspionieren könnten. Neben den Israelis spreche sehr viel für die
Amerikaner, mutmaßen deutsche Geheime.
Für die ohnehin belasteten Beziehungen zwischen Europa und den USA ist der
Brüsseler Skandal Gift - selbst wenn es bislang keinerlei Beweise dafür
gibt, "dass es die Amerikaner waren, aber auch keinerlei dafür, dass sie
es nicht waren", wie ein EU-Sprecher spitz formuliert.
Noch gut in Erinnerung ist den Diplomaten ein geheimes Memorandum der
amerikanischen Lauschbehörde NSA, das Anfang März dem britischen
"Oberserver" zugespielt worden war. Darin ordnete ein ranghoher
NSA-Beamter an, gezielt die in der Irak-Krise noch unentschlossenen
Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats zu überwachen. Er wollte, dass ihm
seine Spitzel alles beschaffen: Telefonate, Gespräche, E-Mails. Es gehe,
so die NSA-Anweisung, um all jene Informationen, "die den US-Politikern
eine Hilfe sein könnten, um Resultate im Sinne der US-Ziele zu erzielen".
Vor allem seit die Deutschen sich bemühten, die USA in der Irak-Frage zu
bremsen, wächst in Berlin die Sorge, dass die Amerikaner im
Spionagegeschäft mehr denn je auf politische Rücksichtnahme verzichten.
Als beide Länder noch engste Freunde waren, versuchten US-Geheime, einen
Top-Beamten im Wirtschaftsministerium anzuwerben - da sorgen sich die
deutschen Dienste nun schon, was die US-Spitzel jetzt alles anstellen
könnten.
Weil das Handy als besondere Schwachstelle gilt, hat die Bundesregierung
für ihre Spitzenkräfte bereits vor Monaten abhörsichere Apparate
angeschafft. Die Geräte, die aussehen wie handelsübliche
Siemens-Mobiltelefone, verschlüsseln die Gespräche mit einem Kryptochip.
Alle Mitglieder des so genannten Sicherheitskabinetts, das in der
vergangenen Woche immer wieder zusammentraf, haben eins in der Tasche: der
Kanzler, sein Staatssekretär Frank-Walter Steinmeier, Außenminister
Joschka Fischer und natürlich Otto Schily. Fischer ist in Berlin für seine
konspirative Art berüchtigt: "Bitte keine Details" oder "das geht jetzt
nicht", pflegt er Gesprächspartner am Telefon abzufertigen. Kurz vor
Weihnachten erteilte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) einen fünf
Millionen Euro schweren Auftrag zur Entwicklung eines neuen Krypto-Handys
für das Militär.
Dass das Regierungsviertel in Berlin ein Selbstbedienungsladen für die
Geheimdienste sein könnte, hat Schily sogar schriftlich bekommen. Bereits
vor zwei Jahren legten Bundesgrenzschutz und Bundesamt für
Verfassungsschutz dem Minister eine streng geheime Studie vor. Ergebnis:
Für Russen und Amerikaner, deren Botschaften nur ein paar hundert Meter
vom Kanzleramt und den wichtigen Ministerien entfernt liegen, sei das
Knacken des Handy-Standards in Deutschland kein Problem.
Nach einer diskreten Beobachtung der Botschaftsdächer warnten die Experten
auch vor seltsamen Spezialantennen - auf der russischen und der damals
noch im Bau befindlichen britischen Residenz.
WINFRIED DIDZOLEIT, GEORG MASCOLO, SYLVIA SCHREIBER, HOLGER STARK
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