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[infowar.de] Jörg Schönenborn über Medien im Irakkrieg



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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taz Nr. 7070
4.6.2003
Seite 18

"Vieles findet im Dunkeln statt"

Welche Bilanz zieht der Chefredakteur des WDR, Jörg Schönenborn, aus der 
Kriegsberichterstattung aus dem Irak?

Ein Gespräch über "eingebettete" Journalisten, mediale Inszenierungen
und 
die wichtige Rolle der arabischen Sender

Kurz vor Beginn des Irakkriegs haben wir mit WDR-Chefredakteur Jörg 
Schönenborn über zu erwartende Schwierigkeiten bei der 
Kriegsberichterstattung gesprochen (taz vom 18. März 2003). Vier Wochen 
nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen blickt Schönenborn zurück.

taz: Herr Schönenborn, sind Sie zum Fan oder zum Gegner von
"eingebetteten" 
Korrespondenten geworden?

Jörg Schönenborn: Ich denke, dass das ganz klar ein zweischneidiges
Schwert 
ist - aber unter dem Strich ein Gewinn für die journalistische
Erkenntnis.

Wieso?

Wir haben ja die Inszenierung gesehen: Walter Rogers auf CNN und die 
Panzerarmeen in der Wüste: Das war das, wovon die US-Generäle geträumt 
hatten. Auf der anderen Seite haben wir so aber auch erfahren, wie 
US-Soldaten Kleinbusse mit Frauen und Kindern stürmen oder britische 
Einheiten eigene Leute unter Feuer nehmen. Ich weiß nicht, ob wir das
ohne 
die Embeddeds erfahren hätten.

Welche Rolle haben dabei denn die arabischen Sender gespielt, die nicht 
"eingebettet" waren?

Da haben wir wohl al-Dschasira etwas überschätzt. Am Ende war al-Arabia 
doch wichtiger. Aber in der Summe waren diese Sender auch eine wichtige
Quelle.

In diesem Krieg sind Journalisten getötet worden - auch westliche
Reporter 
durch US-Truppen. Hat sich für Sie der Beschuss des Palestine-Hotels in 
Bagdad, in dem zahlreiche Journalisten arbeiteten, befriedigend
aufgeklärt?

Dazu kann ich nichts sagen, da hat sich für mich kein komplettes Bild 
ergeben. Ehrlicherweise muss man aber sehen, dass in jedem Krieg 
Journalisten gefährdet sind und auch getötet werden. Im Verhältnis sind
in 
Afghanistan mehr Kollegen ums Leben gekommen. Das war jetzt nicht das 
Furchtbarste, was wir im Irak erlebt haben. Aber es war schlimm genug.

Wie sich jetzt zeigt, hat die US Army manche Ereignisse auch gezielt für 
die Medien in Szene gesetzt - wie die angebliche Befreiung der Soldatin 
Jessica Lynch. Die BBC hat mittlerweile nachgewiesen, dass Lynch gar
nicht 
in unmittelbarer Gefahr war.

Ich habe aber auch viele Inszenierungen gesehen, die sich selbst 
entlarvten. Nehmen Sie die Szene, wo britische TV-Teams vor den Soldaten
in 
einem Palast von Saddam waren und in aller Ruhe zeigen konnten, wie die 
Soldaten stürmen. Allerdings haben wir insgesamt gelernt: Inszenierung 
gehört zur Kriegsführung, Journalisten sollen instrumentalisiert werden. 
Dafür haben sich viele Kollegen, die in solchen Situationen betroffen 
waren, ziemlich gut geschlagen.

Als der US-Vormarsch in den ersten Kriegstagen stockte, macht sich bei 
vielen deutschen Sendern so etwas wie Schadenfreude breit.

Schadenfreude ganz bestimmt nicht. Aber manches Urteil war vielleicht
ein 
bisschen schnell. Vor dem Krieg konnte man klar Position beziehen. Als
der 
Krieg einmal begonnen hatte, konnte man nur hoffen, dass er schnell
vorbei 
ist - letztlich musste man also den Amerikanern die Daumen drücken.
Jetzt 
sind wir in der dritten Phase, und da habe ich noch kein Urteil. Ich bin 
gespannt, wie das in zwei oder drei Jahren aussieht.

Ärgert es Sie, dass sich die amerikanische Administration heute über
jeden 
Zweifel erhaben fühlt, weil da schließlich ein Diktator vertrieben und
ein 
Volk befreit wurde?

Dass muss man trennen: Es war ein Krieg gegen den Mehrheitswillen der 
Völkergemeinschaft. Und daran ändert sich auch jetzt nichts. Aber 
vielleicht muss man irgendwann auch anerkennen, dass im Irak weniger 
Menschen leiden. Das macht den Krieg im Nachhinein nicht richtig, sollte 
einen vielleicht aber vorsichtiger bei vorschnellen Urteilen machen.

Dafür findet Berichterstattung aus dem Irak ja auch im deutschen
Fernsehen 
nicht mehr in der ersten Reihe, sondern wieder auf den hinteren Rängen
statt.

Es gibt ja zwei Kriterien: Das eine ist die Nachrichtenhierarchie, da
steht 
das Thema Irak in der Tat nicht mehr jeden Tag oben. Das ist richtig so, 
wir haben auch andere Probleme. Die zweite Frage lautet: Kann sich jeder 
informieren, der sich informieren möchte? Und da können wir ziemlich 
selbstbewusst sagen: "Weltspiegel" jede Woche, "Tagesthemen" mehrfach
die 
Woche - wir tun genug, dass sich jeder ein Bild machen kann.

Und ist - bzw. war - das ein halbwegs unabhängiges, objektives Bild?

In der Summe sicherlich. Aber es bleibt dabei: Im Krieg findet vieles im 
Dunkeln statt.

INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG

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