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[infowar.de] Spiegel Online über passives Radar
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SPIEGEL ONLINE - 28. Oktober 2003, 10:52
Passives Radar
Lauschangriff im Wellenmeer
Von Markus Becker
Eine neuartige Überwachungs-Technologie lehrt Militärs und Datenschützer
das Fürchten: Passives Radar sendet keine eigenen Signale aus und kann
dennoch Flugzeuge, Schiffe, Autos und Menschen orten - und sogar
"Stealth"-Bombern die Tarnkappe entreißen.
Als der Professor zum Vortrag anhob, spitzten die Geheimdienstler die
Ohren. John Sahr von der University of Washington dozierte unter
Ausschluss der Öffentlichkeit über ein wundersames Gerät, das in der
Lage sei, selbst kleinste Partikel in einer Höhe von 500 Kilometern zu
entdecken - und zwar ohne einen eigenen Suchstrahl in den Äther zu
schicken. Zudem sei das System "unglaublich billig": 20.000 US-Dollar
habe es gekostet - Peanuts im Vergleich zu den 25 Millionen Dollar, die
laut Sahr ein vergleichbares konventionelles Radar verschlungen hätte.
Seattle, vergangene Woche: Handverlesene Experten aus aller Welt,
Rüstungs- und Kommunikationsunternehmen stellten ihre jüngsten
Fortschritte auf dem Gebiet des Passivradars vor. Die westlichen
Militärs und Sicherheitsbehörden kamen mit allem, was Rang und Namen
hat: aus den USA der Militärgeheimdienst DIA, der Nationale
Sicherheitsdienst NSA, die Spionagesatelliten-Betreiber vom National
Reconnaissance Office (NRO), der Überwachungsdienst für feindliche
Bodentruppen NGIC, die Missile Defense Agency und Schlapphüte der
verschiedenen Truppengattungen, dazu die für die Bewertung technischer
Neuerungen verantwortliche Nato-Abteilung C3 sowie Vertreter der
Verteidigungsministerien Großbritanniens und Australiens - um nur einige
zu nennen. Der bemerkenswerte Aufmarsch hatte einen guten Grund: Es ging
um das Ortungssystem der Zukunft.
Radar, kurz für "radio detection and ranging", funktioniert nach einem
einfachen Prinzip: Man sendet ein starkes Signal aus und berechnet
anhand des Echos die Entfernung des Ziels. Fortschrittliche Systeme
können auch die Geschwindigkeit eines Objekts messen, indem sie
Verschiebungen in der Frequenz des Signals auswerten - den so genannten
Doppler-Effekt, der im Alltag hörbar wird, wenn ein Krankenwagen mit
heulender Sirene vorbeirast.
Echos aus der Wellensuppe
Als der Erfinder Christian Hülsmeyer 1904 mit dem ersten
funktionierenden Radar Schiffe auf dem Rhein ortete, war es noch recht
still im Äther. Heute aber überschwemmen Radio- und Fernsehsender,
Satelliten und Mobilfunkanlagen die Atmosphäre mit einer Flut an
elektromagnetischen Wellen. Flugzeuge, Schiffe, Autos, einzelne
Personen: Praktisch jedes Objekt bewegt sich durch die Wellensuppe wie
ein Fisch durchs Wasser - und wirft zwangsläufig messbare Echos zurück.
Schon lange versuchen Ingenieure, sich diesen Effekt für ein
Ortungssystem nutzbar zu machen. Die Vorteile eines solchen passiven
Radars sind verlockend: Man könnte alle möglichen Objekte verfolgen,
ohne sich selbst durch eigene Suchsignale zu verraten. Leistungsstarke
Sendeanlagen wären überflüssig, was die Kosten enorm senken würde.
Allerdings verursachen tausende von Sendern aller Art und Myriaden von
Reflexionen ein Wellenchaos, dessen Entschlüsselung nur mit Hilfe
gigantischer Rechenpower vorstellbar ist.
Die steht nun offenbar zur Verfügung: Nach Jahren der Forschung steht
die Technologie des passiven Radars kurz vor der Serienreife. Gleich
mehrere Unternehmen melden Durchbrüche, die Termine für Feldtests und
Konferenzen häufen sich derzeit auffallend. Roke Manor Research mit Sitz
im britischen Hampshire etwa hat gemeinsam mit BAe Systems ein System
namens "Celldar" ("Cellphone Radar") konstruiert, das die Echos von
Mobilfunk-Sendeanlagen erfasst - und auf eigene Ortungssignale
verzichtet. Die Allianz ist potent: BAe ist ein Gigant in der Luft- und
Raumfahrtbranche, Roke Manor ein Kommunikations- und
Elektronik-Unternehmen mit langer Tradition im Rüstungssektor - und Teil
des Siemens-Konzerns, einem der weltweit größten Hersteller von
Mobilfunk-Technologie.
Roke Manor will dem britischen Verteidigungsministerium die
Leistungsfähigkeit von "Celldar" in diesen Tagen bei einem Manöver in
der Ebene von Salisbury vorführen. Während der Übung soll das System die
Bewegungen von Panzern, Lkw und gepanzerten Truppentransportern
verfolgen. Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin (Motto: "Wir vergessen
nie, für wen wir arbeiten") demonstrierte dem Pentagon bereits im
vergangenen Herbst, dass die dritte Generation des Passivradars "Silent
Sentry" ("Stiller Wächter") den gesamten Luftverkehr über Washington
anhand der Echos von Rundfunksignalen erfassen kann.
Passives Radar ist für Militärs äußerst interessant. Da es kein eigenes
Signal aussendet, sind Anti-Radar-Raketen, die auf dem Ortungsstrahl von
Luftabwehrbatterien "surfen", nutzlos. Kampfjet-Piloten könnten nicht
einmal ahnen, dass ihre Bewegungen überhaupt verfolgt werden. Die
US-Strategen dürften der neuen Technologie mit entsprechend gemischten
Gefühlen entgegen sehen, denn der Himmel über den Krisenregionen der
Welt gehört nahezu ausschließlich amerikanischen Flugzeugen. Es würden
in erster Linie die militärischen Underdogs von der spottbilligen
Passivradar-Technologie profitieren. Ein früher "Celldar"-Prototyp von
1999 etwa bestand aus einem handelsüblichen PC und den Innereien zweier
Handys. Kostenpunkt laut Roke Manor: weniger als 3000 Euro.
Gefahr für die Tarnkappenbomber
Was den Planern im Pentagon aber noch größere Sorgen bereiten dürfte,
ist die Tatsache, dass die sündhaft teuren Tarnkappenbomber vom Typ B-2
und F-117 ihren entscheidenden Vorteil verlieren könnten. Die
"Stealth"-Flugzeuge sind für gegnerisches Radar nahezu unsichtbar, weil
sie keine klaren Echos zurückwerfen. Das Ortungssignal wird durch die
beinahe nahtlose Hülle, die spezielle Lackierung und die besondere Form
der Jets in alle Winde zerstreut. Ein passives Radarsystem, das die
Echos zahlreicher Quellen auswertet, könnte nach Ansicht von Experten
dagegen sehr wohl einen "Stealth"-Bomber orten. Die B-2 und die F-117
besitzen keine Waffensysteme zur Selbstverteidigung und fliegen ohne
Begleitschutz in feindliches Territorium - einzig geschützt durch ihre
Unsichtbarkeit. Wäre sie verschwunden, böten die schwerfälligen
Tarnkappenbomber leichte Ziele.
Die von Lockheed Martin genutzten Rundfunkssender haben zwar mit rund
200 Kilometern eine zehn Mal höhere Reichweite als die "Handy-Spargel",
doch letztere sind wesentlich kleiner und in großer Zahl flächendeckend
über das ganze Land verteilt - was sie für Luftangriffe zu einem
kniffligen Ziel macht. Stattdessen könnten die Kampfflieger selbst zur
Zielscheibe werden, ohne auf die für Anti-Radar-Raketen unsichtbaren
Lauscher feuern zu können.
"Man kann ein ganzes Land überwachen"
Sicherheitsbehörden versprechen sich vom Passivradar den Vorstoß in neue
Dimensionen der Überwachung. Mit einem "Celldar"-System an Bord eines
"Awacs"-Flugzeugs ließe sich nach Worten von Roke-Manor-Entwicklungschef
Peter Lloyd "ein ganzes Land verdeckt überwachen", nur indem man an
seinen Grenzen entlang fliegt. In einer Pressemitteilung behauptete die
britische Firma gar, "Celldar" könne auch einzelne Menschen "auf
militärisch nutzbare Entfernungen" verfolgen. Das Dokument sorgte für
reichlich Wirbel unter britischen Medien und Datenschützern - und wurde
von Roke flugs zurückgezogen.
Die Big-Brother-Szenarien, die bei dieser Gelegenheit beschworen wurden,
könnten allerdings wahr werden. Denn passive Radarsysteme dürften in
absehbarer Zeit selbst für Hobbybastler erschwinglich werden - eben jene
Klientel, die sich heute einen Spaß daraus macht, mit so genannten
Scannern den Polizeifunk und das Schnurlostelefon des Nachbarn
anzuzapfen. Zwar ist die Lauscherei illegal, doch das schert wenige -
man sendet schließlich kein verräterisches Signal. So lange der Lauscher
passiv in seinem stillen Kämmerlein sitzt, wird er unbemerkt bleiben.
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