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[infowar.de] embedded journalism II



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Eine URL-Angabe macht bei dem neuen E-Paper-System der SZ ja keinen Sinn 
mehr. Print-Angaben unten. 

"Neu ist jedoch, dass der irakische Widerstand auch die Kämpfe selbst 
aufzeichnet. Nach dem ersten Kriegsjahr, in dessen Verlauf man sich daran 
gewöhnt hatte, vor allem Schützen, kaum je die Getroffenen zu sehen, 
ändert sich nun das Bild. Das Vakuum, in das die Bomben fielen - von den 
amerikanischen Truppen sorgfältig aufrecht erhalten - füllt sich. Zu sehen 
sind erstmals tote und verletzte GIs, zu sehen sind aber auch tote und 
verletzte Frauen und Kinder in den irakischen Städten."

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Die Augen des Feindes
Point and Shoot: Mit ihren Videos übernehmen die irakischen 
Widerstandskämpfer die Lehren des ¸¸embedded journalism"

Dass die Kamera zu einer der wichtigsten Waffen im Irakkrieg werden würde, 
das wussten die Amerikaner. Die embedded journalists, die vor einem Jahr 
auf US-Panzern gen Bagdad rollten, sollten in packenden Bildern die 
Erfolgsstory des Feldzugs erzählen. Sie sollten nicht nur für das eigene 
Fernsehpublikum die militärische moralische Überlegenheit dokumentieren, 
sondern auch die Zuschauer im Irak überzeugen: Bagdad fällt tatsächlich, 
hier ist der Beweis.

Nicht gerechnet hatten sie offenbar damit, dass die Rebellen in den 
belagerten Städten den Spieß nun umdrehen würden. Kameraleute der 
Aufständischen filmten in den letzten zwei Wochen die Exekution des 
Italieners Fabrizio Quattrocchi und das verzweifelte Statement des als 
Geisel genommenen US-Soldaten Keith Matthew Maupin sowie verletzte Marines 
in Falludscha. Anschließend wurden diese Bilder an die Fernsehsender Al 
Jazira oder Al Arabiya lanciert - mit dem Ziel, zu Nachahmungstaten zu 
motivieren und die Amerikaner zu demoralisieren. Der mediale Krieg wird 
auf beiden Seiten längst ähnlich geführt.

Der Videokrieg begann strenggenommen schon nach dem 11. September, als 
Osama bin Laden die erste seiner zahlreichen pastoral verklärten 
Brandpredigten als home movie an Al Jazira übermittelte. Seitdem ist die 
Videokassette als bevorzugtes, da fernsehgerechtes Medium für 
Terrorwahrnungen fest etabliert. Sie hat das altmodische Bekennerschreiben 
ersetzt. In den Trümmern der Madrider Wohnung der Terroristen vom 11. März 
fand sich ein auf Video aufgezeichnetes Ultimatum an die spanische 
Regierung. Und am Wochenende rühmten sich vermummte Iraker auf demselben 
Wege, 30 Personen unterschiedlicher Nationalitäten im Irak entführt zu 
haben.

In den letzten beiden Wochen haben sowohl Bin Laden als auch die Rebellen 
im Irak medial noch dazu gelernt. Das bizarre ¸¸Waffenstillstandsangebot" 
des Terrorfürsten vom vergangenen Donnerstag war mit einer zwar kruden, 
aber graphisch durchaus professionell aufbereiteten deutschen und 
englischen Übersetzung versehen.

Mit demselben Bewusstsein von der medialen Wirkung ihrer Taten gingen die 
Aufständischen vorletzte Woche in Falludscha vor: Sie ermordeten die vier 
Angestellten einer privaten amerikanischen Sicherheitsfirma nicht nur, 
sondern verstümmelten und verbrannten die Leichen auch noch und stellten 
sie anschließend für die Kameras aus.

So gelang den Kämpfern ein doppelter Schlag: Es war ein Attentat nicht nur 
auf die vier Männer selbst, sondern auch auf das amerikanische 
Kollektivbewusstsein, dem man nun für immer traumatische Bilder 
eingepflanzt hat, die unendlich wirksamer sein werden als die täglich in 
den amerikanischen Medien veröffentlichte Opferstatistik.

Neu ist jedoch, dass der irakische Widerstand auch die Kämpfe selbst 
aufzeichnet. Nach dem ersten Kriegsjahr, in dessen Verlauf man sich daran 
gewöhnt hatte, vor allem Schützen, kaum je die Getroffenen zu sehen, 
ändert sich nun das Bild. Das Vakuum, in das die Bomben fielen - von den 
amerikanischen Truppen sorgfältig aufrecht erhalten - füllt sich. Zu sehen 
sind erstmals tote und verletzte GIs, zu sehen sind aber auch tote und 
verletzte Frauen und Kinder in den irakischen Städten. Da westliche 
Journalisten als Übermittler dort ausfallen, greifen die Rebellen eben 
selbst zu den Kameras.

Wohl auch aus diesem Grund wird der Irakkrieg dieser Tage so oft mit 
Vietnam verglichen: Weil die sorgfältig orchestrierte Fernseh-Oper des 
Bagdad-Feldzugs, bei der die Amerikaner nicht nur militärisch sondern auch 
medial Regie führten, nun einer ikonographischen Kakophonie gewichen ist, 
die fatale Erinnerungen an die späten sechziger Jahre wach ruft. Und wenn 
die Bilder einmal in der Welt sind, lässt sich ihre weltweite Ausbreitung 
nicht mehr verhindern .

Schon im Vietnamkrieg waren es nicht zuletzt Bilder, die die heimische 
Unterstützung für den Krieg brachen. Nick Uts berühmtes Foto der nackten 
Phan Thi Kim Phuc, die ihm nach einem amerikanischen Napalmangriff auf ihr 
Dorf entgegenlief, wurde ebenso zur schockierenden Ikone der 
Antikriegsbewegung wie Eddie Addams Aufnahme von General Nguyen Ngoc Loan, 
der 1968 scheinbar beiläufig einem Vietcong in den Kopf schießt.

Nach der Ausstrahlung des ersten Bin-Laden-Videos erhob sich vereinzelte 
Kritik an den US-Sendern. Seitdem hat man, wohl aus Furcht um die eigene 
Glaubwürdigkeit, vor der Macht der Bilder kapituliert. Sie sind, genau wie 
die eigenen, Propaganda und Dokument zugleich. JÖRG HÄNTZSCHEL

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.91, Dienstag, den 20. April 2004 , Seite 11
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