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Töten aus der Ferne soll verboten werden
... aber nur, wenn man als Zivilist Tiere abschießt. Wie Florian Rötzer
richtig anmerkt, ist selbiges beim Militär mittels bewaffneter Drohnen
(UCAVs) schon seit einer Weile gebräuchlich. Nebenbei ein Anlass, mal
wieder über die Grenzen zwischen dem Realen und dem Virtuellen nachzudenken.
RB
http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19961/1.html
Töten aus der Ferne
Florian Rötzer 04.05.2005
Das Angebot eines Texaners, über das Internet Tiere zu jagen, wird in den
USA von Abgeordneten als barbarisch und unsportlich bezeichnet - mit
Verboten soll das blutige "Computerspiel" verhindert werden
Im März hatte der Texaner John Lockwood die Jagdsaison auf einer Ranch mit
300 Hektar Grund eröffnet. Das wäre natürlich keinen Bericht wert,
schließlich ist die Jagd ein legaler Sport, der auch zur Unterhaltung und
gegen Bezahlung von Vielen ausgeführt wird und gesellschaftlich angesehen
ist. Doch was offline mit Waffen möglich ist, die man auf Tiere richtet
und diese damit mehr oder weniger geschickt tötet, stößt auf Ablehnung,
wenn es mit fernbedienten Waffen über das Internet ausgeübt wird. Genau
dies bietet Lockwood gegen gutes Geld auf Live-Shot.com (1) an und hatte
am 17. März auch einen ersten Kunden das erste Tier, ein Wildschwein,
abschießen lassen (Das erste Tier wurde online zur Strecke gebracht (2)).
Der Kunde traf zwar, verletzte das Schwein aber nur, weswegen Lockwood vor
Ort mit zwei Schüssen nachhelfen musste. Das hätte auch bei einer
"wirklichen" Jagd geschehen können.
Insgesamt sind bislang nur zwei Interessierte mit dem fernbedienten Gewehr
auf die bislang legale Jagd in Texas mit einer texanischen Jagdlizenz
gegangen, die man ohne Schwierigkeiten erwerben kann. Weniger erfolgreich
war der zweite Internetjäger, ein Behinderter, der nach einem Unfall vom
Hals abwärts gelähmt ist. Bei ihm zeigte sich lange kein Tier, als dann
doch in zwei Tagen drei Mal kurz ein Reh auf dem Bildschirm zu sehen war,
schoss er zu seinem Bedauern daneben. Zum Schießen bediente er einen
Joystick mit dem Mund und der Zunge, was nicht ganz einfach sein dürfte.
Der gelähmte Kunde will sich nun einen schnelleren Computer kaufen, um
doch noch ans Ziel zu kommen, für Lockwood ist die vergebliche Online-Jagd
hingegen ein Beweis dafür, dass es sich um eine wirkliche Jagd handelt.
Man muss lange warten, es ist langweilig, gleichzeitig ist der Jäger
gespannt - und es gibt keine Garantie, dass tatsächlich ein Erfolg
eintritt. Alles also, wie im wirklichen Leben bzw. auf der wirklichen Jagd
da draußen, in der Natur ....
Selbst im weit entfernten Deutschland rief das Angebot des Texaners
Ablehnung hervor. Jochen Borchert, Präsident des "Deutsche
Jagdschutz-Verbandes", erklärte entrüstet: "Ein solches Jagd-Spiel mit
lebenden Tieren entspricht in keinster Weise den ethischen und
tierschutzrechtlichen Grundsätzen der Jagd in Deutschland." Man werde
rechtliche Maßnahmen überprüfen, fragt sich nur, ob in Deutschland jetzt
schon ein Telejäger bestraft werden kann, wenn er in Texas rechtlich legal
über Kameras zur Telepräsenz und einem Gewehr, das er über das Internet
bedienen kann, auf die Jagd geht.
Selbst in Texas erregen sich die Experten. "Das ist keine Jagd", meinte
etwa Kirby L. Brown, Vizepräsident der Texas Wildlife Assn., und
bezeichnete den Schuss aus der Ferne als unmoralisch. So verändern sich
die Argumente. War bislang bedenklich, dass die Computerspieler sich in
die Simulation flüchten oder in der Simulation ein Verhalten lernen, das
sie dann in der Wirklichkeit ausführen, so ist nun die Verschmelzung von
Wirklichkeit und Simulation in der Telepräsenz zum Anstoß geworden.
Noch muss der Internetjäger mitunter für den Spaß lange warten - und
entsprechend zahlen -, bis ein Tier auf der Ranch in Schussnähe kommt,
also vor den Kameras zu sehen ist, die beispielsweise mitsamt Gewehr an
Tränken aufgebaut werden. Vielleicht bietet der Nächste, der ein Geschäft
wittert, auch fernsteuerbare Kampfroboter an, mit denen sich aktiv ein
Gelände durchkämmen ließe. Allerdings könnte das dann auch, wenn es keine
hinreichenden Sicherheitsmaßnahmen gibt, gefährlich werden, wenn der
Schütze aus der Ferne auf den Blutgeschmack kommt. Auch jetzt schon
scheint aber vor allem zu beunruhigen, dass das, was man bislang aus
nicht-militärischen Zusammenhängen heraus als Erweiterung des
Computerspiels sieht, neue Grenzen einreißt. Was die Verwendung von
ferngesteuerten Kampfrobotern, beispielsweise bewaffneten Drohnen oder
Landfahrzeugen, betrifft, hält man sich allerdings mit Kritik zurück, so
dass die Moral abhängig zu sein scheint von Zweck und Profession.
"Wo verläuft die Grenze zwischen dem Leben und einem Videospiel?"
Aber obgleich in den USA in weiten Kreisen eine andere Haltung zu Waffen
und Schießen vorherrscht als vielleicht hierzulande, wächst auch dort der
Widerstand gegen den tödlichen Jagdschuss aus der Ferne. In 14
Bundesstaaten wollen Abgeordnete Verbote durchsetzen. Der kalifornische
Senat hat vor kurzem einen solchen Gesetzesvorschlag mit 25 zu 7 Stimmen
angenommen, nach dem die Tele-Jagd kalifornischen Bürger mit einer
Gefängnisstrafe von bis zu sechs Monaten und einer Geldstrafe bis zu 1.000
Dollar verboten wäre, wenn dieses vom Repräsentantenhaus auch gebilligt
würde. Verboten wäre auch das Anbieten einer solchen Internetjagd auf
kalifornischen Boden sowie die Das Gesetz wurde von der demokratischen
Abgeordneten Debra Bowen eingereicht, die erklärt (3):
--Die Internetjagd ist barbarisch, sie ist inhuman und sollte alle
Tierfreunde und wirklichen Jäger aufbringen. Es sind keinerlei
Jagdkenntnisse notwendig und es ist absolut nichts "Sportliches" am
Abschlachten lebendiger Tiere, da es sich nur um eine Hightech-Schießbude
handelt.--
Die Entrüstung und der Abscheu sind hoch, die Argumente allerdings
dürftig. Immerhin fügt Bowen hinzu, dass die Internetjagd nur ein erster
Schritt ist, dem allerdings militärische Anwendungen für ferngesteuerte
Anschläge mittels Drohnen schon vorhergegangen sind, bei denen nicht
Tiere, sondern Menschen zum Opfer wurden:
--Was passiert, wenn diese Technik für andere Zwecke verwendet wird? Das
ist wirklich ziemlich Angst einflößend. Wo verläuft die Grenze zwischen
dem Leben und einem Videospiel? Das hat alles, was einem Videospiel eigen
ist. Es ist ferngesteuert, es ist von seiner Wirklichkeit getrennt, der
Jäger hat nichts zu tun mit Blut, dem Verletzen oder dem Jagen.--
Das sind mögliche Fragen, die interessant und wichtig wären, aber in der
Hitze der politischen Diskussion und dem Beweis von Handlungsfähigkeit
nicht weiter verfolgt werden. Warum soll ein Schuss aus der Ferne
barbarischer sein, weil man ein Gewehr am Computer bedient und nicht in
der Hand hält? Schließlich ist auch schon das Gewehr eine Distanzwaffe.
Bedienen lernen muss man auch das Abfeuern des Gewehrs über den Computer.
Bowen sagt entrüstet, dass es sich doch um keinen Jagdsport handelt, wenn
man im Schlafanzug am Computer sitzt und die Maus bedient, um eine
Antilope über einen halben Kontinent hinweg zu schießen. Im Grunde
schwingt in die Ablehnung eine romantische Vorstellung der wirklichen oder
"echten" Jagd ein, die es gar nicht mehr gibt, während die normale Jagd
damit geadelt wird.
Lockwood selbst rechtfertigt (4) sein Geschäft auch damit, dass er
Menschen, die sonst nicht die Möglichkeit zum Jagen haben, diese
Möglichkeit geben will. Er habe Hunderte von Mails von solchen Menschen
erhalten. Als Beispiel nennt er Behinderte und Soldaten, die sich im
Einsatz im Irak oder in Spanien befinden. Das ist freilich eine
eigenartige Kombination. Behinderte können womöglich nicht auf die Jagd
gehen, Soldaten im Einsatz mögen zwar nicht Tiere in Texas jagen können,
aber brauchen sie unbedingt ein blutiges Ergebnis?
Zur Jagd auf die Jagd mit der Maus blasen auch andere Gesetzgeber in
insgesamt 14 Bundesstaaten. Überdies hat der republikanische Abgeordnete
Tom Davis aus Virginia ebenfalls einen Gesetzesvorschlag in das
US-Repräsentantenhaus eingereicht (5). Der "Computer-Assisted Remote
Hunting Act" ( H. R. 1558) würde gar eine Gefängnisstrafe bis zu fünf
Jahren ermöglichen. Auch für Davis ist die Internetjagd kein Sport und
deswegen nicht akzeptabel. Eine richtige Jagd, die dann auch legal und
moralisch akzeptabel ist, setze voraus, dass man draußen ist und nicht an
einem Bildschirm sitzt. In Virginia ist die Online-Jagd bereits verboten
(6), dem Übeltäter droht allerdings nur der Entzug der Jagdlizenz.
Live-Shot.com ist deshalb wohl für viele verstörend, weil damit die
vermeintlichen Grenzen zwischen Virtualität und Realität einstürzen. Und
wenn dabei Blut fließt und der Tod als irreversibles Ereignis eintritt,
ist dies desto beeindruckender. Tatsächlich aber wird es Zeit, sich von
vereinfachten Weltbildern und Unterscheidungen zu lösen und sich der
Wirklichkeit der digitalen Technik zu stellen. Die Virtualität ist keine
andere Welt, auch wenn dabei kein wirkliches Blut fließt.
LINKS
(1) http://Live-Shot.com
(2) http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19697/1.html
(3)
http://democrats.sen.ca.gov/templates/SDCTemplate.asp?a=2188&z=69&cp=PressRelease&pg=article&fpg=senpressreleases&sln=Bowen&sdn=28
(4)
http://www.latimes.com/news/local/la-me-liveshot21apr21,0,4157569.story?coll=la-home-headlines
(5) http://tomdavis.house.gov/cgi-data/news/files/167.shtml
(6) http://leg1.state.va.us/cgi-bin/legp504.exe?051+ful+CHAP0172
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