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[infowar.de] Die Historiographie der "neuen Kriege" muss Mediengeschichte sein (anschlieÃend an MÃnkler)
Karl PrÃmm
Die Historiographie der "neuen Kriege" muss Mediengeschichte sein
in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History,
Online-Ausgabe, 2 (2005), H. 1,
<http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Pruemm-1-2005>
Das Beschreibungs- und ErklÃrungsmodell der âneuen Kriegeâ, wie es vor
allem der Politologe Herfried MÃnkler entwickelt und publizistisch ÃuÃerst
wirkungsvoll vertreten hat, kommt ohne die BerÃcksichtigung der medialen
Faktoren nicht mehr aus. An wesentlichen Stellen seiner scharfsinnigen
historischen PhÃnomenologie des Krieges, die gerade durch die
Konfrontation der AktualitÃt mit den Erscheinungsformen der vormodernen
Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts ihre besondere PrÃgnanz gewinnt, wird
immer wieder auf die gewandelte Rolle des Fernsehens verwiesen.1 In den
kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten beiden Jahrzehnte werde der
Kampf mit Waffen âzunehmend durch den Kampf mit Bildern konterkariertâ.
TV-Kamerateams seien fÃr die Kriegsparteien inzwischen ein beliebig
handhabbares Instrument der Aufmerksamkeitssteuerung, ja die durch
Fernsehbilder erst hergestellte âWeltÃffentlichkeitâ sei zur âRessourceâ
des Krieges geworden. MÃnklers Argumentation kulminiert dann in der These,
die âVerwandlung der Berichterstattung Ãber den Krieg in ein Mittel seiner
FÃhrungâ bedeute den âwahrscheinlich grÃÃte[n] Schritt bei der
Asymmetrisierung des Kriegesâ. Ein Hauptbefund der Studie, die AblÃsung
der staatlich monopolisierten Kriege durch radikal asymmetrische Formen
der Auseinandersetzung, wird also am Medium Fernsehen festgemacht - alles
deutet darauf hin, dass MÃnklers Konzept der âneuen Kriegeâ eine
umfassende Theorie ihrer medialen ReprÃsentation quasi mitformuliert. Doch
dieser Eindruck tÃuscht. Die medialen Spiegelungen der kriegerischen
Ereignisse und vor allem der audiovisuelle Diskurs des Fernsehens werden
nur am Rande beachtet; MÃnkler belÃsst es bei Anmerkungen und AnfÃgungen.
Nur eingestreut wird der Hinweis, man dÃrfe den âwachsenden Einfluss der
Medien auf die politischen EntscheidungsablÃufeâ nicht unterschÃtzen.
Dabei bietet MÃnklers Konzept der âneuen Kriegeâ eigentlich alle
Voraussetzungen, um eine solche BeilÃufigkeit zu Ãberschreiten, denn
optisch-visuelle Begriffe fungieren als Grundkategorien:
âErscheinungsformenâ und âErscheinungsweisenâ der âneuenâ
RealitÃtsformationen sollen aufgezeigt werden. Alles kreist um die
Problematik der Sichtbarkeit; eine unÃbersichtliche âGemengelageâ wird als
das hervorstechendste Charakteristikum der aktuellen Kriege kenntlich gemacht.
Die Notwendigkeit, die Denkfigur der âneuen Kriegeâ zu einem umfassenden
Modell der medialen Wahrnehmung weiterzudenken, wird dringlicher, wenn man
die Blickrichtung der historischen und aktuellen Analyse zur Perspektive
einer kÃnftigen Historiographie der âneuen Kriegeâ erweitert. Diese
Historiographie muss in ihren wesentlichen Teilen zweifellos - wie die
Zeitgeschichte insgesamt2 - als Mediengeschichte angelegt sein. Vor allem
das Fernsehen fungiert in den neuen Kriegen lÃngst nicht mehr bloà als
Spiegel der Ereignisse, sondern ist zu einem Entscheidungsraum geworden.
Von der ReprÃsentation des Krieges im Raum-Zeit-Kontinuum des
Fernsehprogramms hÃngt ab, ob die Ãffentlichkeit den Einsatz militÃrischer
Gewalt als legitim akzeptiert oder ob der moralische Druck auf die
Regierenden zum Zwang wird, den Krieg baldmÃglichst zu beenden. Gerade das
UnterdrÃcken von Fernsehbildern belegt die Entscheidungsfunktion, die dem
Fernsehen und seinem audiovisuellen Diskurs inzwischen zugefallen ist. Von
den âethnischen SÃuberungenâ, die die Reitermilizen gegenwÃrtig in der
Provinz Darfur im sÃdlichen Sudan vollziehen, gibt es keine Fernsehbilder.
Allein die Bilder des FlÃchtlingselends, dieser Eindruck drÃngt sich auf,
genÃgen wohl nicht, um die WeltÃffentlichkeit auf Dauer zu alarmieren und
die GroÃmÃchte zum Eingreifen zu bewegen.
Der Golf-Krieg von 1991 bedeutete fÃr die mediale ReprÃsentanz des Krieges
eine ZÃsur. Zum ersten Mal stellte CNN als Nachrichtenkanal neuen Typs
eine beinahe lÃckenlose MedienrealitÃt zur VerfÃgung, die den Krieg
beinahe in Echtzeit quasi medial verdoppelte. Diese Konzentration des
Fernsehdiskurses auf den Krieg war zugleich ein Publikumstest. Es stellte
sich heraus, dass die nicht mehr zu steigernde PrÃsenz des Krieges in den
TV-Programmen einem verstÃrkten InformationsbedÃrfnis der Zuschauer
entsprach. Seitdem sind auch die Ãffentlich-rechtlichen Sender bereit, bei
drohenden militÃrischen Konflikten den Charakter eines Nachrichtenkanals
anzunehmen. Die neuen Darstellungsformen, die CNN damals kreierte -
bestÃndige Direktschaltungen zu den OriginalschauplÃtzen, permanente
Befragungen und Kommentierungen von Experten -, sind weltweiter Standard
einer Krisenberichterstattung geworden. Das Fernsehen fÃllt ganz
selbstverstÃndlich die umfassenden Funktionen einer Ãffentlichen
Wahrnehmung, ja einer Definition der Ereignisse aus; es wirkt wie eine
Beglaubigungsagentur. Erst durch seine mediale ReprÃsentation wird das
Ereignis als âwirklichâ verbÃrgt und auf die Agenda der Aufmerksamkeit
gesetzt. Das Fernsehen gewinnt VerfÃgungsmacht Ãber alle anderen Medien,
wird durch die SuggestivitÃt und Allgegenwart seiner globalen BilderstrÃme
zu einem sinnlichen Erfahrungsraum. Die hochwirksame SphÃre der Bilder und
TÃne verweist nicht mehr zeichenhaft auf das Geschehen, sondern wird
selbst zum Ereignis und Ãberformt es. Im Ãffentlichen Diskurs, in den
Reden der Politiker, den vielen Talkshows oder Pressekommentaren machen
sich die Sprecher kaum noch bewusst, wie sehr die Bilder des Fernsehens
Blickrichtung und Wertung vorgeben, wie unmittelbar die Bild- und
Tonfragmente des Fernsehens fÃr das Ganze genommen werden.
2
Nun wÃre es verfehlt, die Zeige- und Erkenntnispotenziale der
Fernsehbilder gÃnzlich zu negieren. Die besondere NÃhe, die die Kamera
herstellt, das KÃrperlich-Physische und die sinnliche PrÃsenz des
Bildhaften erfahren gerade in der Kriegsberichterstattung eine bedrÃngende
Zuspitzung. Im Zeitalter der weltweiten televisionÃren Vernetzung und der
leichten VerfÃgbarkeit von Aufnahmeapparaturen kÃnnen die Bilder der Opfer
und ihrer Leiden nicht auf Dauer unterdrÃckt werden. Der Preis und die
Konsequenzen des militÃrischen Handelns werden dadurch permanent auf den
Bildschirmen in aller Welt sichtbar gemacht. Es ist ein immer noch weit
verbreitetes MissverstÃndnis, die Bilder der zivilen Opfer oder der
âKollateralschÃdenâ allein als einen oberflÃchlichen und folgenlosen Reiz
zu bewerten. Dies unterschÃtzt das moralische Empfinden der Zuschauer und
das moralische Urteil, das diese Bilder nach sich ziehen.3 In liberalen
und postheroischen Gesellschaften bleibt die UnterstÃtzung der
Ãffentlichkeit fÃr die militÃrischen Aktionen der Exekutive eine hÃchst
labile Angelegenheit. Die Fernsehberichterstattung gleicht daher einem
alltÃglichen plebiszitÃren Test, bei dem die politischen und moralischen
Legitimationen des Krieges bestÃndig ÃberprÃft werden. Unversehens
Ãbernimmt das Fernsehen die Funktion eines Kontrollmediums, das seine
Kontrollkameras Ãberall verteilt hat. Im fortdauernden Irak-Krieg wurde
dies Ãberdeutlich: Die offiziÃsen KriegsgrÃnde der Bush-Regierung
kollabierten vor aller Augen, weil die Belegbilder fehlten und die
Erfolgsmeldungen durch die internationale Berichterstattung widerlegt wurden.
Eine Historiographie der âneuen Kriegeâ verfehlte ihr Objekt, wenn sie
diese fundamentalen Funktionen der Fernsehbilder ignorierte. Das Fernsehen
ist nicht nur BÃhne und AusdrucksflÃche, sondern ein eigenstÃndiger
Akteur, mit dem von Anfang an kalkuliert wird. Bereits in der Vorphase des
Krieges fÃllt dem Fernsehen eine Hauptrolle zu: In den
Nachrichtensendungen wird der Gegner definiert, werden KriegsgrÃnde und
Kriegsziele ausgesprochen, wird ein Kriegsklima erzeugt. Mit der
VerkÃndung eines Ultimatums wird schlieÃlich eine Dramaturgie etabliert,
die dem Zeitmedium Fernsehen auf ideale Weise angepasst erscheint. Die
Kriegspolitik erhÃlt die Aura des Unausweichlichen und Alternativlosen.
Seit dem Golf-Krieg von 1991 gehÃrt das vom Fernsehen proklamierte, durch
Fernsehbilder rezent gehaltene Ultimatum zum Grundrepertoire der moralisch
legitimierten militÃrischen Interventionen.
Besonders bemerkenswert ist fÃr die Historiographie, dass die Phasen und
Etappen der neuen Kriege hochgradig von TV-Bildern abhÃngig sind.
Fernsehbilder markieren ZÃsuren und lÃsen dramatische UmschwÃnge aus. Die
Schreckensbilder der FlÃchtlinge, die zu Tausenden das Kosovo verlieÃen,
und die unmenschlichen Bedingungen in den mazedonischen Auffanglagern
lieÃen den Krieg in ein neues Stadium treten; fÃr die kriegfÃhrende NATO
entstand ein enormer Handlungsdruck. Die Fernsehbilder waren ein
Beschleunigungsfaktor hin zu einem schnellen Kriegsende. SchlieÃlich wird
die wachsende Durchdringung von Kriegsereignis und
Fernsehberichterstattung an den Schlusseinstellungen besonders markant.
Die weltweit zirkulierenden Triumphbilder, der Sturz der Ãberdimensionalen
Saddam-Statue in Bagdad,4 das Aufziehen der eigenen Hoheitszeichen, das
Durchstreifen der PalÃste durch die StoÃtrupps, das Eindringen in das
Interieur der Macht vor den Augen der Kameras - all dies erscheint beinahe
schon als ein vorrangiges Kriegsziel. Die Sieger nehmen die
Definitionsmacht des Fernsehens in ihre eigenen HÃnde, greifen auf
traditionelle Muster der Kriegsfotografie zurÃck und schreiben dem Medium
so seine Inszenierung vor, die jedoch nur den faden Eindruck eines dÃjà vu
hervorruft. Vielleicht sind die âgloriosenâ Schlusstableaus des
Irak-Krieges (die sich inzwischen jedoch als trÃgerisch erwiesen haben),
auch eine Reaktion auf den Golf-Krieg und den Kosovo-Krieg, bei denen die
Akteure solche medialen Schlussgesten versÃumten.
3
Eine Historiographie der âneuen Kriegeâ muss zwischen den
Medienintentionen und den Medieneffekten prÃzise unterscheiden. Im
Irak-Krieg tat die âKoalition der Willigenâ alles, um die
MedienreprÃsentation im eigenen Sinn zu modellieren. Zahllose
Pressekonferenzen boten Perspektiven und Bilder an, die den Krieg als
perfekt organisierte, zielgenaue Aktion belegen sollten, die die eigenen
Opfer auf ein Minimum reduzierte. Die âembedded correspondentsâ lieferten
mitreiÃende Aktionsbilder eines schier unaufhaltsamen, rasanten
Vormarsches und schÃpften die faszinierende OberflÃche des
hochtechnisierten Krieges ab. Vor allem in den ersten Tagen des Krieges
tauchten Aufnahmen von massenhaft kapitulierenden irakischen Truppen auf,
die in der fast kÃnstlerischen Ausnutzung der BildrÃume inszeniert und
manipuliert wirkten. So ausgeklÃgelt dieses Bildprogramm des
asymmetrischen Krieges auch sein mochte: Die Bilder entwickelten ihre
eigene Dynamik und verkehrten die Intentionen in ihr Gegenteil. Das
Ausspielen einer uneinholbar Ãberlegenen Waffentechnik und das Feiern der
eigenen StÃrke brachten auÃerhalb der USA ganz andere Medieneffekte
hervor, wurden als unertrÃgliche Arroganz und rÃcksichtslose ZerstÃrung
gesehen. Als die Folterbilder von Abu Ghureib publik wurden, waren die
Bildprogramme der amerikanischen Armee vollends diskreditiert. Was hier
sichtbar wurde - die krude Sexualisierung der militÃrischen Gewalt, die
DemÃtigung wehrloser Gefangener -, zerstÃrte wohl endgÃltig das Wunschbild
eines Krieges, der im Zeichen der HumanitÃt und der Demokratie gefÃhrt
werden sollte. Auch solche Bildwechsel muss eine Historiographie der
âneuen Kriegeâ registrieren und nachzeichnen.
Anmerkungen:
1 Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf Herfried MÃnkler, Die neuen
Kriege, Reinbek bei Hamburg 2002. Verwiesen sei auch auf sein Buch Der
neue Golfkrieg, Reinbek bei Hamburg 2003, wo MÃnkler im 1. Kapitel kurz
auf die âRolle der Medienâ eingeht. Als kritische Auseinandersetzung mit
MÃnkler und anderen Autoren vgl. Martin Kahl/Ulrich Teusch, Sind die
âneuen Kriegeâ wirklich neu?, und Sven Chojnacki, Wandel der Kriegsformen?
- Ein kritischer Literaturbericht, beide in: Leviathan 32 (2004), S.
382-401 bzw. S. 402-424. Die Medialisierung von Kriegen wird dort nicht
berÃcksichtigt.
2 Thomas Lindenberger, Vergangenes HÃren und Sehen. Zeitgeschichte und
ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien, in: Zeithistorische
Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 72-85.
3 Vgl. dazu den Essay von Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten,
MÃnchen 2003.
4 Vgl. dazu den Beitrag von Lars Klein in dieser Ausgabe. Zu den
fotografischen Triumphbildern der modernen Kriege, die durch ihre
vielfache Verbreitung zu Ikonen wurden, vgl. Gerhard Paul, Bilder des
Krieges - Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges,
Paderborn 2004.
Angaben zum Autor:
Prof. Dr. Karl PrÃmm
Prof. Dr. Karl PrÃmm
Philipps-UniversitÃt Marburg
Fachbereich 09: Germanistik und Kunstwissenschaften
D-35032 Marburg
Telefon: 06421/28-24991
E-Mail: pruemm -!
- staff -
uni-marburg -
de
Position/TÃtigkeit: Professor fÃr Medienwissenschaft
Forschungs- und Interessengebiete: Theorie und Geschichte der
audiovisuellen Medien (insbesondere Fotografie, Film und Fernsehen)
wichtigste VerÃffentlichungen:
(Hg., mit Helmut Kreuzer) Fernsehsendungen und ihre Formen, Stuttgart 1979
Walter Dirks und Eugen Kogon als katholische Publizisten der Weimarer
Republik, Heidelberg 1984
(mit Barbara Felsmann) Gefeiert und gejagt. Kurt Gerron â das Schicksal
eines deutschen UnterhaltungskÃnstlers, Berlin 1992
(Hg., mit Silke Bierhoff und Matthias KÃrnich) Kamerastile im aktuellen
Film, Marburg 1999
(Hg., mit Michael Neubauer und Peter Riedel) Raoul Coutard â Kameramann
der Moderne, Marburg 2004
(Stand: Januar 2005)
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