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[infowar.de] Galtung vs. Münkler: "Terrorismus funktioniert nur bei hoher Mediendichte"



http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21475/1.html

"Terrorismus funktioniert nur bei hoher Mediendichte"
Stefan Hackl 01.12.2005

Auf einer Medientagung über Kriegs- und Krisenjournalis ging es um
Berichterstattung der Medien im Irak-Krieg, Friedensforscher Galtung
sparte nicht an Kritik am "faschistoiden Angreiferstaat USA" und lobte
die neue spanische Regierung

Eigentlich sollte sich das Symposium ja mit  Kriegs- und
Krisenjournalismus (1) beschäftigen. Die Wiener Forscher hatten auch
eine Menge empirisches Material über die Irak-Berichterstattung
gesammelt, das so manches Klischee auf den Kopf stellt. Aber Stargast
Johan Galtung, der alternative Nobelpreisträger aus Norwegen, landete
in seinen Ausführungen über die Medien bald beim grundsätzlichen
Problem: dem herrschenden Diskurs der Politik.

Johann Galtung liebt die überraschende Argumentation. "Ich finde die
Berichterstattung über die Vogelgrippe sehr gut", sagte er. Warum?

--Wir könnten ja sagen: Diese Vögel sind Instrumente des Teufels oder
wütend ausrufen: We will crush them, wie Colin Powell das nach 9/11
getan hat. Aber wir tun das nicht. Vielmehr sehen wir, dass ein Virus
dahinter steckt und dass vielleicht eine Impfung die Lösung des
Problems sein könnte.--

Das, so Galtung, wäre der richtige, der rationale Diskurs. Die Medien
würden jedoch in den meisten Fällen einer anderen Logik gehorchen,
jener von George W. Bush ("Es gibt irgendwo auf der Welt ganz böse
Menschen. Man muss sie eliminieren, dann bekommt man Sicherheit.")

Das liege auch daran, dass Kriegsjournalisten wie ihre Kollegen vom
Sport der Frage "Wer gewinnt?" nachhecheln: "Diese Berichterstattung
ist eine Beleidigung der Intelligenz der Menschheit", so der
75-Jährige, "wir können nicht über Terrorismus reden, ohne über
Staatsterrorismus zu sprechen, der für 99 Prozent der Opfer
verantwortlich ist." Friedensjournalismus wie auch Friedenspolitik
müsse Lösungen aufzeigen. So wie es etwa der spanische Premier José
Luis Rodríguez Zapatero macht:

--Er hat nach den Anschlägen von Madrid vieles richtig getan: Er zog
die spanischen Truppen aus dem Irak ab und machte seine erste
Staatsreise nicht nach Brüssel oder Washington, sondern nach Marokko.
Gleichzeitig verbesserte er die Integration der Marokkaner in Spanien
und erkannte, dass das Problem auch ein religiöses ist. Mit dem
türkischen Ministerpräsidenten Erdogan läutete er daher eine Allianz
der Zivilisationen ein. Der hat dabei so schnell gearbeitet, dass sich
die Opposition noch mit Punkt eins beschäftigt. Und was machen die
Medien? Sie thematisieren nur das angeknackste Verhältnis zum
transatlantischen Partner USA. Ich wage hingegen zu prognostizieren:
Auf spanischem Boden wird es keine Anschläge von islamistischen Gruppen
mehr geben.--

Für Galtung, der sich selbst einen "Heiden mit buddhistischen
Fleckchen" nennt, ist Friedensarbeit keine akademische Sache, sondern
gar nicht so schwer zu verwirklichen:

--Es gibt Lösungen, man muss sie nur suchen. Aber man muss das
Gegenüber ernst nehmen. Das nennt man Demokratie, meine Freunde.--

Warum David immer sympathischer als Goliath ist

Weniger optimistisch zeigte sich die zweite wissenschaftliche
Zelebrität der Veranstaltung, der Politologe Herfried Münkler. Der
Berliner Wissenschaftler hatte schon vor Jahren den Begriff des
asymmetrischen Krieges geprägt und erkannt, dass Medien immer mehr zur
Waffe werden, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen:

--Kriege haben ihren Charakter geändert und damit die Medien heraus
geworfen aus der Äquidistanz, hinein in die Parteinahme. Die
Journalisten greifen qua Beobachtung in den Gewaltkonflikt ein.--

Was er damit meint: Früher standen sich zwei in etwa gleich starke
Kriegsparteien gegenüber (Idealform: das Duell), dies erst ermöglichte
dem Berichterstatter neutral zu berichten: "Wenn jedoch David gegen
Goliath antritt und der Schwächere vom anderen chancenlos verprügelt
wird, dann ist jede neutrale Beobachtung zynisch." Die Warlords in
Afghanistan wüssten das zu nutzen: "Sie aktivieren Bilder des Elends
und werfen damit die Mitleidsmaschine an." Die Spendenfreudigkeit des
Westens werde somit instrumentalisiert, nicht zuletzt, in dem NGOs
bedroht werden: "Der afghanische Warlord Dostum hat Unmengen damit
verdient, dass seine Leute die Ärzte ohne Grenzen nicht angriffen."

Ähnlich sei es beim Terrorismus: "Er funktioniert nur, wo hohe
Mediendichte herrscht." Das heißt: Indem sie die Medien anzapfen,
machen Terroristen die technologische Nachteile wett. Das gelte aber
auch für andere asymmetrische Konflikte. Münkler illustrierte das mit
einem etwas älteren Beispiel aus dem Irak-Krieg 1991:

--Saddam zog schon bald die Luftabwehr ab und zeigte stattdessen dem
CNN-Mann Peter Arnett die Wehrlosigkeit der irakischen Bevölkerung.
Arnett wurde dadurch die irakische Luftabwehr.--

Die Verbreitung der Bilder sei selbst eine - dem Reporter und seinem
Medium unbewusste - Kriegshandlung gewesen. Wie könnten Medien dieser
Instrumentalisierung entgegnen? "Die Journalisten müssen die
Rationalität der politischen Akteure mehr beachten."

"Pauschale Abqualifizierung der US-Presse nicht zulässig"

Spannende empirische Ergebnisse präsentierten indes die Wiener
Kommunikations-Wissenschaftler Jürgen Grimm, Roland Burkart und Peter
Vitouch auf dem Kongress: Bei einer vergleichenden Untersuchung nahmen
sie die Berichterstattung über den Irak-Krieg 2003 in acht Ländern
unter die Lupe. Ihr Ergebnis: "Die viel gescholtene US-Presse war
erstaunlich nüchtern und nicht patriotisch-überschwänglich. Dass allzu
klischeehafte Bild, dass sich alles um den US-Präsidenten scharrte,
kann nicht aufrechterhalten werden." Die englische Presse, so die
Forscher, sei da viel emotionaler gewesen. Haken an der Untersuchung:
Die Zeitungen des heftig die Kriegstrommel rührenden Medienmoguls
Rupert Murdoch wurden nicht miteinbezogen.

Im Vergleich zur ersten Irak-Invasion sei in den USA viel mehr Wert auf
die Darstellung von Opfern gelegt worden. Ingesamt befürworteten die
US-Medien jedoch den Krieg: "Die Argumentation der Regierung wurde nur
ganz selten hinterfragt. Das macht uns nicht Mut hinsichtlich der
kritischen Position der Journalisten", so Jürgen Grimm. Gezeigt habe
sich, dass vor allem die New Yorker Medien den Krieg im Irak begrüßten:
"Das hängt wohl auch mit dem 11. September zusammen."

Die deutschen Journalisten, das wurde durch den Ländervergleich
deutlich, orientierten sich sehr stark an ihren US-Kollegen. Grimms
Interpretation: "Obwohl es auch in der Bevölkerung einen Konsens gegen
den Krieg gab, waren die Zeitungen sehr zurückhaltend. Offensichtlich
wollten sie den Anti-Kriegs-Kurs Schröders konterkarieren, um die
transatlantischen Beziehungen nicht zusätzlich zu verschlechtern."
Klarer Ausreißer war die "Bild": "Sie übertrifft in der
Berichterstattung über gewalttätige Konflikte im Irak die gesamten
untersuchten Zeitungen in Serbien." Kaum Überraschungen bot hingegen
die Einteilung in tendenzielle Kriegsbefürworter (FAZ, Welt) und
Kriegsgegner (Bild, Süddeutsche, taz, Frankfurter Rundschau). Die
stärkste Ablehnung des Irak-Kriegs wiesen übrigens die türkischen
Medien auf.

Und das Internet?

Das Internet blieb in der Untersuchung der Wiener Forscher außen vor.
Sie entdeckten bei Leserbefragungen jedoch, dass "in der Krise die
Presse häufiger in Anspruch genommen wird als das Fernsehen. In punkto
Orientierungsfunktion sind die Zeitungen dem Bildmedium überlegen."
Grimm attestierte gar eine "Krise der Bildkommunikation".

Einzig Johan Galtung, mit 75 Jahren der wohl älteste Teilnehmer der
Tagung, dachte in seinen Ausführungen auch das Internet mit: "Ich setze
große Hoffnungen in das Netz und die Lokalradios." Er verdeutlichte das
mit einer Anekdote: Gilt es Medienleute von seiner Art des
Friedensjournalismus zu überzeugen, dann wendet er sich nicht an die
Chefredakteure ("alte Männer mit roten Stiften"). Vielmehr seien junge
Leute, und da vor allen Dingen Frauen, von einer neuen Sicht zu
überzeugen.

--Es ist nicht schlau, ein Bollwerk anzugreifen. Man muss die
Schwachpunkte finden. Das ist eine alte Guerilla-Methode.-- Johan
Galtung
 LINKS

(1) http://www.krisenjournalismus.at



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