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[infowar.de] 22C3: "Wir haben den Krieg verloren"



Frank Rieger, ehemaliger Sprecher des Chaos Computer Clubs: "Wir haben einen Polizeistaat". Das erzeugte interessante Diskussionen hier in Berlin. Ein langer Text von Frank, der die Grundlage für den Vortrag bildet, ist in der Kongress-Datenschleuder erschienen, aber leider noch nirgendwo online zu finden.
Kritisches dazu gab es natürlich auch: <http://usrportage.de/archives/484-22C3-Wettbewerb-der-Plattitueden.html>
RB


http://www.heise.de/newsticker/meldung/67796

28.12.2005 12:24

22C3: "Wir haben den Krieg verloren"

Vertreter der Hackerszene zogen am gestrigen Dienstagabend auf dem 22.
Chaos Communication Congress (22C3[1]) in
Berlin ein ernüchterndes Resümee ihres Einsatzes für eine
bürgerrechtsfreundliche Technikgestaltung. "Wir leben jetzt in der
dunklen Welt der Scifi-Romane, die wir niemals wollten", erklärte Frank
Rieger[2], ehemaliger Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC[3]). "Wir
haben einen Polizeistaat". Es sei nicht mehr zu leugnen, dass ein
Großteil der Privatsphäre und anderer grundrechtlich geschützter Werte
in den letzten Jahren verloren gegangen seien. Unter der Flagge der
"Terrorismus-Bekämpfung" würden momentan großflächige
Überwachungsinfrastrukturen aufgesetzt, etwa mithilfe des Anbringens
von Videokameras an Verkehrsknotenpunkten und öffentlichen Plätzen oder
mit der ungebändigten Jagd der Sicherheitsbehörden nach persönlichen
Daten für die Erstellung von Profilen und zum Schürfen in den
anfallenden Informationsbergen. Diese Trends zeigen laut Rieger die
Richtung, "in die wir gehen: in ein neues dunkles  Zeitalter".

Die Politiker selbst sehen laut dem Hacker eine mit der Globalisierung
geschaffene gigantische Krise auf sich zukommen, die vom Klimawandel
getrieben und einen gewaltigen Immigrationsdruck in westliche Länder
auslösen werde. Um sich dafür zu wappnen, würden sie mithilfe von
"Terror on Demand" und der damit erzeugten Verunsicherung der
Bevölkerung
Kontrolltechnologien im großen Maßstab ausrollen, begab sich Rieger in
der Veranstaltung, die mit dem Titel "Wir haben den Krieg verloren"
überschrieben war, auf den Pfad von Verschwörungstheoretikern. Die
entsprechenden Richtlinien entstünden nicht mehr in einem normalen
demokratischen Prozess, sondern würden in Brüsseler Hinterzimmern mit
Vertretern von Konzernen und Sicherheitsbehörden ausgehandelt. Die
Folge ist für Rieger nicht nur das Aus für die Demokratie, sondern auch
das Ende der Gerechtigkeit und des traditionellen Justizwesens: "Dem
Staat wird es möglich sein, unbeliebte Menschen selektiv zu verfolgen",
prognostizierte der Aktivist. "Algorithmen werden darüber entscheiden,
gegen wen strafrechtlich vorgegangen wird".

Eine entsprechende Tendenz für die Verlagerung grundsätzlicher
Entscheidungen auf das Data Mining der Sicherheitsbehörden konstatiert
Rob Gonggrijp[4], Gründer des Amsterdamer Providers XS4ALL[5] und
Herausgeber des Magazins Hack-Tic[6], bereits in ihren Anfängen in den
Niederlanden. Viele geängstigte Bürger würden dort für die Aufstellung
von Überwachungskameras an ihre Straßen in Abständen von hundert Metern
plädieren, während der Staat die Apparate zur Videoaufzeichnung
gleichzeitig an sämtlichen Verkehrsadern installiere. Durch die
Auswertung all der anfallenden Daten wolle die Polizei eine aktive
"Präventionspolitik" fahren,
durch die bereits potenzielle Verbrecher "frustriert" werden sollen.
Ziel des Systems sei es, die menschliche Interpretation der Daten
soweit wie möglich zurückzuschrauben.

Frustration sei angesichts dieser Lage aber nicht das Gebot der Stunde,
postulierten die Aktivisten. Ihre Antwort auf das skizzierte
Grundrechtsfiasko liegt zum einen traditionell in der Suche nach
technischen Abhilfen zum Schutz persönlicher Daten. "Wir müssen Krypto
bauen, und zwar schnell", forderte Gonggrijp unter dem Applaus der
versammelten Hackergemeinde. Zudem seien die Möglichkeiten zur anonymen
Nutzung des Internet auszubauen, ergänzte Rieger. "Wir müssen davon
ausgehen, dass jede verschickte Datei heute ein ganzes Jahrhundert lang
vorgehalten wird", unterstrich er die Dringlichkeit des Einsatzes
datenschutzfördernder Techniken.

Auch bei der Öffentlichkeitsarbeit sehen die Hacker deutlichen
Optimierungsbedarf. "Wir dürfen sie nicht bei dem Gefühl belassen, dass
sie die Guten sind", betonte Rieger in Bezug auf die Lauscher. "Sie
spionieren uns aus" und das müsse auch entsprechend als
"Datenverbrechen" gebrandmarkt werden. "Es ist ein krankes Hobby, sich
die Telefongespräche anderer Leute reinzuziehen", empörte sich der
ehemalige Pressearbeiter. Die Ermittler müssten sich daher "wie
Abschaum" fühlen. Angesichts der Empörung über die
CIA-Verhörmethoden[7] unter dem Einsatz von Folter sowie über die
Ausschnüffelung[8] auch der US-Bürger durch den gewaltigen
Echelon-Lauschapparat der National Security Agency (NSA) sehen die
Aktivisten die Zeit reif für einen Umschwung der öffentlichen Meinung.
"Dafür müssen wir einen Plan B in der Tasche haben", sagte Rieger unter
Verweis auf die Tatsache, dass die Terroranschläge vom 11. September
die Bürgerrechtler im Gegensatz zu den Sicherheitsbehörden völlig
unvorbereitet getroffen hätten.

Für erforderlich hält Rieger ferner eine verstärkte Kollaboration mit
ehemaligen Hackern, die "zur dunklen Seite der Macht" übergelaufen
seien und bei Geheimdiensten beschäftigt seien. Gespräche mit ihnen
könnten hilfreich sein, um mehr über die Überwachungsinfrastrukturen
herauszufinden. Generell gab Gonggrijp die Parole aus, sich nicht in
belanglosen Kämpfen zu verzetteln, sondern bestenfalls "mit Humor" und
Spaß am Aktivismus gezielte Schlachten gegen besonders verheerende
Projekte zu schlagen. Die Kräfte der Zivilgesellschaft müssten sich auf
Auseinandersetzungen konzentrieren, die auch zu gewinnen seien.

Zum 22. Chaos Communication Congress (22C3) und zur Veranstaltung 21C3
im vergangenen Jahr:

22C3: Mehrklassengesellschaft durch Gesundheitskarte[9]
22C3: Hacker machen gegen massive Überwachung der Telekommunikation
mobil[10]
22C3: Hackern droht zunehmende Kriminalisierung[11]

22C3: Hack the System[12]
22C3: Hackerethik-Hotline soll Massen-Cracks verhindern[13]
22C3: Spaß am Gerät mit Xbox-Hacking, VoIPhreaking und
Entschwörungstheorien[14]
22C3: Private Investigations[15], Website zum 22C3

Hackertreffen endet mit Besucherrekord[16]
AVIT^C3: "Frame für Frame Aktion" bei den VJs[17]
Hacker erwarten auch 2005 viele "Spielplätze"[18]
Demokratie-Hacks, Weblogs und freie Meinungsäußerung[19]

Massenhack löst Welle der Empörung aus[20]
Riesige Datenschutzlücken im elektronischen Gesundheitswesen[21]
Hacker erinnern nachlässige Web-Admins an Backup-Pflichten[22]
Wikipedia soll schneller werden und kommerzfrei bleiben[23]

Blooover demonstriert schwere Sicherheitslücken bei
Bluetooth-Handys[24]
Hacker fürchten Orwellsche Zensurmöglichkeiten durch Trusted
Computing[25]
Entwickler freier Software setzen GPL-Rechte durch[26]
Nur das Chaos lebt[27]

(Stefan Krempl) /
 (thl[28]/c't)

Links in diesem Artikel:
  [1] http://events.ccc.de/congress/2005/
  [2] http://events.ccc.de/congress/2005/fahrplan/speakers/9.de.html
  [3] http://www.ccc.de/
  [4] http://events.ccc.de/congress/2005/fahrplan/speakers/235.de.html
  [5] http://www.xs4all.nl/
  [6] http://www.hacktic.nl/
  [7] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21652/1.html
  [8] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21650/1.html
  [9] http://www.heise.de/newsticker/meldung/67795
  [10] http://www.heise.de/newsticker/meldung/67793
  [11] http://www.heise.de/newsticker/meldung/67791
  [12] http://www.heise.de/newsticker/meldung/67788
  [13] http://www.heise.de/newsticker/meldung/67786
  [14] http://www.heise.de/newsticker/meldung/66567
  [15] http://www.ccc.de/congress/2005/
  [16] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54699
  [17] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54706
  [18] http://www.heise.de/security/news/meldung/54694
  [19] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54686
  [20] http://www.heise.de/security/news/meldung/54684
  [21] http://www.heise.de/security/news/meldung/54673
  [22] http://www.heise.de/security/news/meldung/54671
  [23] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54666
  [24] http://www.heise.de/security/news/meldung/54659
  [25] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54655
  [26] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54645
  [27] http://www.heise.de/newsticker/meldung/54640
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