Suche innerhalb des Archivs / Search the Archive All words Any words

[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[infowar.de] Hirnzellen in Nährstofflösung lernen, wie man ein Kampfflugzeug fliegt



http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21739/1.html

Fliegende Rattengehirne
Hans Boës 14.01.2006

Nervenzellen aus Rattenembryonen lernen in einem Flugsimulator ein
Kampfflugzeug zu steuern

Das ist eigentlich der Stoff aus dem üblicherweise
Science-Fiction-Filme gedreht werden: Hirnzellen in einer
Nährstofflösung lernen, wie man ein Kampfflugzeug fliegt. Sie reagieren
mit der Zeit schneller und besser als ihre menschlichen Kollegen.
Alsbald erwachen diese lebenden Gehirne dann plötzlich aus ihrem
unbewussten Dornröschenschlaf und übernehmen in einer dramatischen
Wendung der Geschichte die Herrschaft über ihre Erschaffer, indem sie
sich mit allen verfügbaren Computernetzwerken des Militärs
kurzschließen und ein neues "Superhirn" bilden

Zumindest der Anfang dieses Science-Fiction-Thrillers ist seit kurzer
Zeit Realität: Wissenschaftler an der University of Florida haben einem
künstlich gezüchtetem Netzwerk aus embryonalen Rattennerven in einem
Flugsimulator das Fliegen eines virtuellen Kampfflugzeugs gelehrt (
Chip im Gehirn oder biologisches Gehirn in der Maschine (1)).

Zunächst hatten die Ratten-Neuronen natürlich Mühe, das Flugzeug
überhaupt in der Luft zu halten. Aber mit der Zeit lernt das Neuronale
Netz, den virtuellen Flieger zu steuern. Inzwischen sind diese
"fliegenden Rattengehirne" in der Lage, einen militärischen F-22 Jet
selbst bei Hurricane-Windstärke sicher zu steuern.

Die Idee zu dem liebevoll "the brain" genannten Versuchsaufbau hatte
Prof.  Thomas DeMarse (2) am  Department of Biomedical Engineering der
University of Florida (3)

Die Arbeiten von DeMarse sind insofern bahnbrechend, als es der
Forschung bisher nur gelungen ist, einige wenige vernetzte Gehirnzellen
mit elektronischen Kontakten zu verknüpfen. DeMarse dagegen hat gleich
25.000 Neuronen aus einem Rattenembryo extrahiert und über ein Gitter
von 60 Elektroden zu einem selbsttätig agierenden Mini-Hirn zusammen
wachsen lassen. Damit ist er fähig, einen Computer mit dem künstlichen
Rattengehirn kommunizieren zu lassen.

Auch scheint diese Methode sehr vielversprechend, da er inzwischen über
eine standardisierte Petrischale verfügt, mit der er relativ preiswert
gleich mehrere derartiger künstlichen Gehirne erschaffen kann und so in
der Lage ist, die Reaktion verschiedener Hirne auf verschiedene
simulierte Umgebungen zu studieren.

DeMarse schreibt auf seiner  Website (4) zu dem Versuchsaufbau:

--We begin by growing living rat cortical neurons on multielectrode
arrays (MEA) from MultiChannel Systems which consist of 60 electrodes
arranged in an 8x8 grid. (...) These arrays are covered with
approximately 25,000 neurons which rapidly begin to re-establish
connectivity within a few hours of being placed on the MEA. These
arrays can both record and stimulate the action potentials of neurons
near each electrode (electrical signals between neurons) as they
communicate within these dense networks. This enables us to establish a
bi-directional communication channel where we can listen to and analyze
the activity of a living neural network (a brain in a dish if you will)
while we simultaneously measure the effects of inputs to study how the
network encodes and computes information.--

Mit anderen Worten: Die neuronalen Zellen aus den Rattenembryonen
werden einfach in die Petrischale mit einem elektronischen Gitternetz
von 8 x 8 Elektroden gegeben und verknüpfen sich innerhalb von Stunden
ganz von alleine zu einem kleinen selbsttätig arbeitenden "Gehirn in
der Schüssel". Mithilfe der Elektroden werden jetzt nicht nur
verschiedene stimulierende Impulse in das Neuronen-Netzwerk
eingebracht, sondern die Reaktion des künstlichen Mini-Hirns auf diese
Impulse kann gleichzeitig auch gemessen und aufgezeichnet werden. Der
Wissenschaftler erhofft sich dadurch ein wesentlich verbessertes
Verständnis von den komplexen Abläufen in derartigen biologischen
Kleincomputern.

Ein weiterer Durchbruch des Teams um DeMarse gelang mit einem einfachen
Trick. Bisher war es nicht gelungen, die Nervenzellen-Kulturen über
längere Zeit am Leben zu halten. Vor allem die Verdunstung der
Nährflüssigkeit und die damit verbundene Änderung der osmotischen
Eigenschaften sowie Probleme mit der Kontamination der Flüssigkeit
durch die Umgebung haben bisher derartige Zellkulturen oft schon nach
wenigen Wochen absterben lassen. Für die Verwendung als Rechenmaschine
ist das natürlich etwas unpraktisch.

DeMarse hat nun einfach die Petrischalen mit einer transparenten
hydrophobischen Membran luftdicht abgeschlossen. Diese Membran ist
selektiv durchlässig für Sauerstoff und Kohlendioxid, sodass die
Sauerstoffversorgung der Zellen gewährleistet ist. Damit wird die
Verdunstung und Kontamination der Nährflüssigkeit verhindert und seine
Zellkulturen haben bisher schon mehr als ein Jahr überlebt. Dadurch
kann er die Entwicklung und das Verhalten seiner Kulturen über einen
längeren Zeitraum beobachten, was einen erheblichen Fortschritt zu
früheren Versuchen darstellt.

Die US National Science Foundation hat dem Team um Prof. DeMarse dann
auch gleich eine Förderung von 500.000 Dollar zur Verfügung gestellt,
um ein verbessertes mathematisches Modell der Funktion der künstlichen
Gehirne zu kreieren. Außerdem wird seine Erforschung der Ursachen von
Epilepsie vom US National Institute of Health finanziell unterstützt.

Demnächst werden die elektrischen Kontaktnetze zu den Neuronen jedoch
noch sehr viel feiner. Forschern am Berkeley National Laboratory haben
im Jahr 2005 einen  Preis (5) dafür erhalten, dass sie mit einer neuen
Technologie Millionen von kleinen elektrischen Kontakten auf einem Chip
unterbringen, mit dem die kleinen biologischen Mini-Gehirne noch
wesentlich genauer analysiert und stimuliert werden können. Mit diesem
Neural Matrix CCD  lassen sich nicht nur die Aktivitäten fast jeder
einzelnen Nervenzelle verfolgen, sondern es wird künftig auch möglich,
derartige Rechner-Nerven-Verbindungen zur Herstellung künstlicher
Augen, Ohren oder zur Steuerung sonstiger künstlicher Körperteile
einzusetzen.

Die Forscher erhoffen sich darüber hinaus alsbald Lösungen für die
Integration biologischer Komponenten in sogenannte Hybrid-Computer, die
die Vorteile beider Technologien in einem einzigen Rechner integrieren.
Denn Neuronale Netze spielen schon länger in bestimmten Gebieten eine
herausragende Rolle. Allerdings werden derartigen Neuronen-Rechner
bisher immer noch auf der Basis herkömmlicher Rechenmaschinen simuliert
( Neuronales Upgrade (6)).

Zahlreiche Anwendungen

Die neuen Forschungen geben nun zu der Hoffnung Anlass, dass bald echte
biologische Nervennetze diese Aufgaben übernehmen. Durch die Verwendung
von embryonalen Nervenzellen, könnten diese Rechner mit ihren Aufgaben
buchstäblich wachsen. Außerdem sind die Algorithmen der lebenden
Neuronennetze im Gegensatz zu Computern extrem Fehlertolerant. Im
menschlichen Gehirn beispielsweise sterben täglich Hunderte von Zellen
ab. Passiert etwas Vergleichbares in einem herkömmlichen Computer, ist
die Folge der komplette Systemausfall. Im Unterschied dazu werden bei
Nervennetzen die fehlenden Verbindungen einfach durch neue ersetzt.

Auch in der Mustererkennung scheinen Neuronale Netze den traditionellen
Rechenmaschinen deutlich überlegen. So haben Neuronale Netze - bisher
auf Basis von elektronischen Neuronen-Simulatoren - in den letzten
Jahren zunehmend Verbreitung bei der Bewältigung der ungeheuren
Datenmengen von Suchmaschinen gefunden. Sie helfen den herkömmlichen
Prozessoren bei der Sortierung der Suchergebnisse nach Prioritäten. Das
hilft die Qualität der Suchergebnisse zu steigern. MSN hat kürzlich
bekannt gegeben (7), dass sie eine auf Neuronalen Netzen basierende
Suchstrategie in ihre Suchmaschine integrieren werden.

Auch Kreditinstitute zeigen vermehrt Interesse an der inzwischen
einsatzreifen Technologie. So will VISA in den kommenden Jahren ein
System auf Basis Neuronaler Netze  einführen (8), dass
Kreditkartenbetrug schneller und sicherer erkennt als bisherige Systeme
und dadurch Millionen spart. Andere Banken, wie die Londoner HSBC
folgen dem Beispiel. Und vor allem Marketing-Strategen zeigen vermehrt
Interesse an den neuen Möglichkeiten der prospektiven Mustererkennung.
Denn genauso, wie man das Verhalten von Kreditkartenbetrügern an ihrem
Verhalten erkennen kann, lässt sich auch das Kaufverhalten jedes
Konsumenten mit den bio-logischen Algorithmen erkennen. So erhoffen
sich die Firmenstrategen, dass es demnächst möglich wird, einem Kunden
ein Produkt genau dann anzubieten, wenn er danach sucht.

Aber auch für wissenschaftliche Zwecke lassen sich diese Methoden
einsetzen. So  bauen (9) britische Forscher am Natural History Museum
in London gerade ein Erkennungssystem mit dem hübschen Namen DAISY (
Digital Automated Identification System (10)) für alle Lebensformen der
Welt auf Basis eines Neuronalen Netzwerkes auf. Alles was man künftig
dann noch tun muss, um eine Lebensform zu identifizieren, ist ein
Digitales Bild eines Tieres oder einer Pflanze an das DAISY-Portal zu
schicken und der Rechner erkennt das Muster aus Abermillionen von
bereits eindigitalisierten Bildern.

Das Team um DeMarse hat zunächst sehr viel einfachere
Einsatzmöglichkeiten für ihre "fliegenden Rattengehirne" im Sinn. Eines
der angestrebten Ziele ist der Einsatz in unbemannten
Aufklärungsdrohnen der US-Armee. Damit wären wir dann auf dem Weg zum
automatischen Krieg mal wieder einen Schritt näher am Ziel ( An der
Schwelle zum automatischen Krieg (11)). Vielleicht wird ja doch noch
der zweite Teil des eingangs erwähnten Science-Fiction Thrillers bald
Wirklichkeit. Wie es scheint, arbeiten viele mit Hochdruck daran.

Bei all dem bleibt die Hoffnung, dass vielleicht auch positive
Entwicklungen aus der Verbindung von lebenden Gehirnen und
Rechenmaschinen folgen: Mithilfe Neuronaler Netze werden künftig
geniale Lösungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit unserer
Gesellschaft gefunden. Neuronale Netze haben das Potential unser Leben
durch die Verbindung von Maschinenlogik und Bio-Logik erheblich zu
verändern. Wir stehen mal wieder an einem Wendepunkt zu einer neuen
Entwicklung: Der Computer wird kreativ.

 LINKS

(1) http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18644/1.html
(2) http://www.bme.ufl.edu/people/detailperson.php?PEOPLE_id=2
(3) http://www.bme.ufl.edu/
(4) http://www.bme.ufl.edu/research/projects/detailproject.php?RP_id=
(5) http://www.lbl.gov/Science-Articles/Archive/TT-R&Dawards-2005.html
(6) http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20332/1.html
(7) http://www.searchenginejournal.com/index.php?p=1842
(8)
http://www.bankingtech.com/ipi/bankingtech/indextemplate.jsp?pageid=arti
cle&contentid=20017304815
(9)
http://www.nhm.ac.uk/about-us/contact-enquiries/press-office/press-relea
ses/2005/press_release_6706.html
(10) http://chasseur.usc.edu/pups/projects/daisy.html
(11) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21121/1.html



---------------------------------------------------------------------
To unsubscribe, e-mail: infowar -
de-unsubscribe -!
- infopeace -
de
For additional commands, e-mail: infowar -
de-help -!
- infopeace -
de