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[infowar.de] (Fwd) Tagber: Krieg und Militaer im Spannungsfeld zwischen Ver



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Datum:   	Thu, 8 Jun 2006 20:12:48 +0200
Antwort an:     	H-NET Liste fuer Sozial- und Kulturgeschichte <H-SOZ-U-KULT -!
- H-NET -
 MSU -
 EDU>
Von:            	"HSK (Karsten Borgmann)" <hsk -
 mail -!
- GESCHICHTE -
 HU-BERLIN -
 DE>
Betreff:        	Tagber: Krieg und Militaer im Spannungsfeld zwischen Verstaatlichung und Privatisierung. Die Entwicklung vom 16. Jahrhu
An:             	H-SOZ-U-KULT -!
- H-NET -
 MSU -
 EDU

From:    Markus Pöhlmann <superpoehl -!
- hotmail -
 com>
Date:    30.05.2006
Subject: Tagber: Die Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär im
         Spannungsfeld zwischen Verstaatlichung und
         Privatisierung. Die Entwicklung vom 16. Jahrhundert
         bis zur Gegenwart
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Arbeitskreis Historische Friedensforschung; Arbeitskreis
Militärgeschichte; Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen
Neuzeit; Hamburger Institut für Sozialforschung; Militärgeschichtliches
Forschungsamt; Bonn International Center for Conversion
12.05.2006-14.05.2006, Potsdam

Bericht von:
Markus Pöhlmann, München
E-Mail: <superpoehl -!
- hotmail -
 com>

Mit der Privatisierung ist es so eine Sache: Nicht nur in den Bereichen
Kommunikation, Verkehr und Energiewirtschaft begibt sich der Staat heute
seiner Aufgaben, ja selbst bei der Kriegführung scheint zusehends ein
internationaler Gewaltmarkt das gute alte Gewaltmonopol in Frage zu
stellen. Ob es sich hierbei um ein historisch neuartiges Phänomen
handelt oder ob sich nicht Prozesse der Verstaatlichung und
Privatisierung schon in früheren Epochen finden, darüber wurde in
letzter Zeit wiederholt in den Feuilletons diskutiert ¯ an Herfried
Münklers Beitrag zu den ?Neuen Kriegen? sei in diesem Zusammenhang
erinnert. Ein derart Epochen übergreifendes und Interdisziplinarität
einforderndes Thema ruft natürlich nach einer ebensolchen
wissenschaftlichen Herangehensweise, und die Veranstalter der hier zu
besprechenden Tagung hatten diesen Ruf erhört.

Noch vor wenigen Jahren hätte man die folgende Liste der Mitveranstalter
schlicht für inkompatibel gehalten: Arbeitskreis Historische
Friedensforschung, Arbeitskreis Militärgeschichte, Arbeitskreis Militär
und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Hamburger Institut für
Sozialforschung und Militärgeschichtliches Forschungsamt, sowie
unterstützend das Bonn International Center for Conversion. Im
Tagungshotel am Templiner See wurde also auch im Hinblick auf die
Kooperationsmöglichkeiten der im weiteren Sinne mit akademischer
Militärgeschichte befassten Institutionen in Deutschland ein
Versuchsballon gestartet. Nach der Begrüßung durch Hans Ehlert (Potsdam)
und der Einführung durch Corinna Hauswedell (Bonn) wurden in der ersten
Sektion zunächst einige Langzeitperspektiven erörtert: Martin Zimmermann
(München) führte in einer Tour d?Horizon durch die griechische und
römische Geschichte, die er als Prozess der Durchsetzung des
Gewaltmonopols beschrieb, der nur in Krisenphasen und an den Peripherien
der Reiche durch parastaatliche Gewaltakteure (Piraten) retardiert
blieb. Martin Hoch (St. Augustin) stellte kurz die Gewaltverhältnisse in
den mittelalterlichen Kreuzfahrerstaaten vor, um hiervon ausgehend
Entwicklungsbrüche hin zur Moderne und auch einige als ?mittelalterlich?
konnotierte Trends in der modernen Privatisierung aufzuzeigen. Herbert
Wulf (Pinneberg) argumentierte, dass sich die Privatisierung von Gewalt
zunächst einmal aus den dominierenden Wirtschaftslehren und -ordnungen
(Merkantilismus versus Liberalismus) ergäbe. Christopher Daase (München)
schließlich behandelte das durch die von beiden Parteien im ?Krieg gegen
den Terror? definitorisch verunklarte Verhältnis von Terrorismus und
Krieg.

Die zweite Sektion vertiefte die Untersuchung der Ökonomie als
Triebkraft militärischen Handelns. Dabei stellte Uwe Tresp (Leipzig)
Böhmen als Söldnermarkt im 15. und 16. Jahrhundert vor. Demnach hätten
hier nicht demographisch-ökonomische Zwänge zum Entstehen der
Söldnertums beigetragen. Vielmehr konnten die regionalen
Kriegsunternehmer aus einem Reservoir an taktisch geschulter, gut
geführter und gleichzeitig preiswerter Infanterie schöpfen, das sich im
Zuge der Hussitenkriege herausgebildet hatte. Jutta Nowosadtko (Essen)
hinterfragte in ihrem Beitrag die historische These von der Überwindung
der vermeintlich anachronistischen frühneuzeitlichen Kompaniewirtschaft
durch die scheinbar effizientere Heeresverwaltung und interpretierte
Erstere als Beispiel für die heutzutage in Wiederkehr begriffene
Selbststeuerung der Verantwortlichen durch betriebswirtschaftliche
Budgetierung. Marc von Boemcken (Bonn) stellte den boomenden und
mittlerweile internationalisierten Markt privater Sicherheitsfirmen vor.
Durch die Fokussierung des Medieninteresses auf den Sonderfall Militär-
und Söldnerfirmen bestünde die Gefahr, die mit der Privatisierung von
Sicherheitsfunktionen einhergehenden gesellschaftlichen Implikationen
und strukturellen Rahmenbedingungen zu übersehen. Genau diese erwähnten
Private Military Firms (PMF) untersuchte Andrea Schneiker (Münster) am
Beispiel der Verpflichtung der südafrikanischen PMF Executive Outcomes
in Sierra Leone 1995/96. Die PMF habe den Bürgerkrieg zwar rasch
zugunsten ihres Auftraggebers, der Regierung, beendigen können.
Allerdings sei es zu keiner nachhaltigen Befriedung des Landes gekommen.
Die Abhängigkeit der Regierung von der PMF habe vielmehr den weiteren
Staatsverfall gefördert.

Unter dem Titel ?Ordnungen der Gewalt? befasste sich die dritte Sektion
mit den europäischen Kriegen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Dabei trat
Reinhard Baumann (München) mit seiner Untersuchung des
Kriegsunternehmertums deutscher Condottieri erstmals dem titelgebenden
Akteur der Tagung näher. Als Voraussetzung für dessen Erfolg im
frühneuzeitlichen Gewaltmarkt nannte er ein solides Eigenkapital,
militärischen Erfolg und die Fertigkeit, innerhalb kurzer Frist Truppen
aufstellen zu können. Einschränkend stellte Baumann fest, dass das
Kriegsunternehmertum in Deutschland letztlich immer eingeschränkt blieb:
So sei ein Engagement gegen den Kaiser aufgrund der Lehens- und
Treueverpflichtungen undenkbar gewesen.

Marian Füssel (Münster) stellte dann eine Truppengattung vor, die sich
in einer Epoche zunehmender Reglementierung und Hegung des Krieges durch
ethnische Alterität und irreguläre Kampfweise auszeichneten: die
russischen Kosaken und Kalmyken des Siebenjährigen Krieges. Eine Tendenz
zur Verstaatlichung des ?Kleinen Krieges? und seiner Akteure machte
anschließend Martin Rink (Potsdam) für die Ära zwischen dem
Österreichischen Erbfolgekrieg 1740-1748 und den preußischen
Befreiungskriegen 1813-1815 aus. Im einzigen Beitrag zur
Marinegeschichte zeichnete Jann M. Witt (Eckernförde) die Entwicklung
der Kaperei in der europäischen Seefahrtsgeschichte auf. Wie der Pirat
sei auch der Kaperer privat organisiert gewesen, habe aber primär nicht
zur persönlichen Bereicherung sondern im staatlichen Auftrag geraubt.

Thema der vierten Sektion war der ?Export europäischer Gewaltstrukturen?
nach der kolonialen Peripherie. Anja Bröchler (Köln/Düsseldorf)
definierte dabei zunächst die spanischen Konquistadoren als private
Unternehmer und schilderte dann die Bemühungen um eine Hegung des von
diesen entfachten Eroberungskrieges in Spanisch-Südamerika. In der
Hispanidad blieb auch der Beitrag von Ludolf Pelizaeus (Mainz)
angesiedelt, der sich mit dem Entstehen der Guerilla und
paramilitärischer Verbände in Spanien und Südamerika im 19. Jahrhundert
befasste. Die Violenz des antinapoleonischen Krieges erklärte er dabei
mit einer spezifischen Gewaltkultur, die vom regellosen Krieg gegen die
Mauren und den Kampf der Konquistadoren in Südamerika geprägt gewesen
war. Mit den Cazadores de Valmaseda stellte Andreas Stucki (Bern) ein
internationales Söldnerbataillon vor, das zwischen 1868 und 1898 auf
Kuba als Schocktruppe für Counterinsurgency operierte. Mit der
Entwicklung der Militärverhältnisse in der Kolonie Deutsch-Ostafrika
zwischen 1885 und 1918 befasste sich das Referat von Tanja Bührer
(Bern), die, vom eigentümlichen Beginn der Kolonisierung durch eine
private Chartergesellschaft ausgehend, den Aufbau einer regulären
Schutztruppe 1891 schilderte, die sich aber 1914 nach dem Abriss der
Verbindungen zum Mutterland zu einem in Taktik und soldatischen
Mentalitäten ?afrikanisierten? Verband aus Schutztruppe, Siedlermiliz,
afrikanischer Hilfstruppe und zeitweise verbündeten indigenen Alliierten
entwickelte. Von einem bloßen ?Export? von Gewaltstrukturen nach Afrika
könne daher keine Rede sein.

Die fünfte und letzte Sektion behandelte private Akteure, die auf
unterschiedliche Weise unter Bedingungen des staatlichen Gewaltmonopols
arbeiteten. Heinrich Lang (Bamberg) untersuchte die italienischen
Condottieri im 15. und 16. Jahrhundert mit dem Fokus auf ihr Bemühen,
Geld und militärische Fähigkeit in politische Herrschaft zu
transformieren, wodurch diese privaten Kriegsunternehmer letztlich zu
?Katalysatoren staatsgenetischer Prozesse? werden konnten. Eine ganz
heterogen motivierte, private Rebellion gegen den italienischen Staat
seit dem 19. Jahrhundert versuchte Christian Jansen (Bochum) in den
Garibaldinern, den Briganten, der faschistischen Squadre, dem
antifaschistischen Widerstand, der Mafia und der Roten Brigaden
auszumachen. Über den Einsatz weißer Söldner im kongolesischen
Bürgerkrieg 1964 berichteten Torsten Thomas und Gerhard Wiechmann
(Oldenburg), wobei sie auch auf die Rezeption des Söldnermythos in den
populären Medien, etwa in Filmen wie ?Katanga? oder ?Die Wildgänse
kommen?, eingingen. Corinna Hauswedell (Bonn) schloss die Sektion mit
ihrem Überblick über die Entwicklung des Paramilitarismus in Nordirland,
der in seiner charakteristischen Überschneidung von politischen und
konfessionellen Konfliktlinien zu einer friedenshemmenden
soziokulturellen Absicherung lokaler Gewaltordnungen geführt habe.

An der von Andreas Gestrich (Hamburg) geleiteten Schlussdiskussion
nahmen Stig Förster (Bern), Bernd Greiner (Hamburg), Beatrice Heuser
(München), Lothar Höbelt (Wien) und Peter Waldmann (Augsburg) teil. Da
aber einige der Diskutanten die vom Moderator vorgeschlagene
Strukturierung souverän ignorierten, hielt sich hier der Erkenntniswert
in Grenzen. Fasst man aber die Diskussionen zu den Sektionen und des
Schlusspanels zusammen, so ergibt sich gleichwohl eine Reihe
interessanter Fragen respektive Ergebnisse: So wurden als Ursachen von
Verstaatlichungs- bzw. Privatisierungstendenzen vornehmlich statische
Friedensstrukturen wie politische Verfasstheit oder Wirtschaftsordnung
ausgemacht. Bis auf einzelne Beiträge zu Kriegen an der kolonialen
Peripherie blieb dagegen unterbelichtet, welche dynamischen Prozesse im
Verlauf von Kriegen selbst die bestehenden Gewaltverhältnisse ¯ auch
über die Dauer der Kriege hinaus ¯ verändern könnten.

Mit Blick auf die Akteure privater Militär- und Kriegsorganisation ergab
sich als Epochenunterscheidung, dass die Protagonisten der Frühen
Neuzeit vornehmlich charismatische Unternehmerpersönlichkeiten waren.
Die Condottieri agierten in einem Umfeld, in dem der Staat und sein
Gewaltmonopol tendenziell im Aufschwung begriffen war, und konnten davon
unter Umständen sogar profitieren. In der Neuzeit, konkreter noch: in
der Gegenwart, handelt es sich bei den privaten Gewaltakteuren um
korporative Organisationen, die von der Schwäche des Gewaltmonopols
profitierten. Beide Akteurstypen weisen aber interessanterweise durchaus
Bindungen auf, die über die formalen Konditionen des Kontrakts, der die
ökonomische Grundlage und militärische Legitimation darstellt,
hinausgehen. Die Lehensbindung deutscher Kriegsunternehmer an den
Kaiser, die kontrovers diskutierte Interpretation Garibaldis als
?modernen Condottieri? und das Selbstbild der Kongosöldner der 1960er
Jahre vor Augen, fasste Michael Sikora (Münster) diese Problematik dann
auch in der Pointe zusammen: ?Wie viel Idealismus darf man haben, um
noch Söldner sein zu dürfen??

Bei der Bewertung der Folgen von Privatisierung ergab sich ein fast
schon verdächtig einheitliches Meinungsbild. So wurde die Gleichsetzung
von ?privat? ist gleich ?gefährlich? zurückgewiesen, zumal diese Annahme
die Gefahr einer Idealisierung zwischenstaatlicher Kriegführung in sich
bürge. Vielmehr wurde am Beispiel der Interventionen von Privaten
Militärfirmen in Afrika darauf hingewiesen, dass die Alternative der
Intervention interessierter Staaten oder internationaler Organisationen
nicht gegeben gewesen sei bzw. kaum nachhaltigere Resultate gezeitigt
hätte.

Wenngleich das tatsächliche Ausmaß der heutigen Krise des Fürsorge- und
Verfassungsstaates umstritten blieb, war doch unstrittig, dass diese
zwangsläufig in einer Krise des Gewaltmonopols resultieren müsse. Bei
der Frage nach dem erforderlichen Umgang des Staates mit den
Privatisierungstendenzen gewann in der Diskussion die Erkenntnis Raum,
dass es sich in vielen Fällen nicht um einen Verlust des Gewaltmonopols
an die privaten Akteure des Krieges handelt, als vielmehr eine mehr oder
weniger kontrollierte Delegierung von militärischer Gewalt. In diesem
Falle wäre allenfalls noch kritisch zu prüfen, inwieweit hierdurch
etablierte kriegsvölkerrechtliche Normen gefährdet würden und sich die
Bereitschaft, Krieg als Instrument der Konfliktlösung einzusetzen, zum
Nachteil verändere. Die durch Delegation von Gewaltorganisation und
-ausübung an Private erhöhte ?Deniabilty? des Staates bürge überdies die
Gefahr, dass Krieg als Konfliktlösungsstrategie der Öffentlichkeit
gegenüber weniger dringend legitimiert werden müsse und dies wiederum
auf Seiten der Öffentlichkeit in einer eingeschränkten Wahrnehmung des
Phänomens Krieg resultieren könne.

Im Ergebnis kann der Versuch einer mehrere Mitorganisatoren umfassenden
militärgeschichtlichen ?Großtagung? jenseits der Tagung der
Internationalen Kommission für Militärgeschichte (CIHM) als guter Erfolg
gewertet werden. Das Thema erwies sich als überaus geeignet für den
interdisziplinären und Epochen übergreifenden Zugriff; die Diskussionen
waren weitgehend zielführend, streckenweise lebendig und erfreulich
undogmatisch. Eine wie immer gestaltete Institutionalisierung dieses
Veranstaltungstyps ¯ vielleicht mit einer etwas stärkeren Einbindung
internationaler Teilnehmer und eines prägnanten und stärker Thesen zur
Diskussion stellenden Einführungsreferats ¯ wäre also rundum zu
begrüßen.

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Mit freundlichen Gruessen

Oliver Benjamin Hemmerle



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