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[infowar.de] Weizenbaum bezeichnet "Sicherheitsgesellschaft" als Katastrophe



http://www.heise.de/newsticker/meldung/78831

28.09.2006 18:07

Weizenbaum bezeichnet "Sicherheitsgesellschaft" als Katastrophe

Joseph Weizenbaum hat im Vorfeld der am morgigen Freitag in Berlin
beginnenden Tagung "Informatik und Rüstung[1]" vor einer hauptsächlich
vom Militär geförderten Forschung in den Bereichen Computertechnik,
Biotechnologie und innere Sicherheit gewarnt. "Die Entwicklung der
Informationsverarbeitung ruft die Frage der Verantwortung hervor",
forderte der Computerpionier[2] eine strengere Ethik in diesen
Wissenschaftsgebieten bei einem Pressegespräch ein. Während seiner Zeit
als Professor am renommierten MIT in Boston habe er seine Studenten
schon immer dazu angehalten, auf die mögliche Endnutzung ihrer Arbeiten
zu achten. Abgeraten habe er etwa von Projekten, mit denen Computer
gleichsam das Sehen beigebracht werden sollte. Dabei sei schließlich
davon auszugehen, dass die entsprechenden Rechner in Raketen eingebaut
und für den Abgleich von eingespeicherten Landkarten zur "Verbesserung"
der Zielgenauigkeit verwendet werden.

"Fast die Hälfte der Ingenieure und Naturwissenschaftler in den USA
arbeiten direkt oder indirekt für das Militär", zeigte sich der 1923 in
Berlin geborene kritische Denker empört über das Primat der
Waffenentwicklung jenseits des Atlantiks. Er erinnerte daran, dass der
"in gewissem Sinnen unvorstellbare" Fortschritt in der
Computerentwicklung mit einer hundertfachen Steigerung der Speicher-
und Rechnerkapazitäten in den vergangenen zehn Jahren letztlich "vom
US-Militär erzwungen" worden sei. Noch heute würde der allergrößte Teil
der Forschung in den US-Universitäten vom Pentagon oder vom an
Atomreaktoren interessierten Energieministerium finanzielle
unterstützt, führte Weizenbaum aus. Dazu kämen Gelder von Konzernen wie
Lockheed, die ihrerseits vom Militär bezahlt würden.

"Wir sollten uns aber nicht verführen lassen zu der Annahme, dass die
Militärforschung das einzige Problem ist", weitete der Informatiker
seine Bedenken auf die im Kampf gegen den Terrorismus rasant
wachsenden[3] Budgets für die Entwicklung von Sicherheitstechniken aus.
"Wenn wir zu einer Sicherheitsgesellschaft werden, ist das auch eine
riesige Katastrophe", urteilte Weizenbaum. In diesem Forschungsbereich
müssten dieselben Fragen rund um die letztendlichen Einsatzzwecke der
Technologie gelten wie bei der allgemeinen Informatik. Der Vordenker
verwies dabei etwa auf die Spracherkennung durch Computer, die er als
"sehr gefährlich" bezeichnete. Denn "jeder Fortschritt in dieser
Richtung wird von den Geheimdiensten benutzt." So höre der technische
Geheimdienst der USA, die NSA, inzwischen[4] die Telefonanschlüsse der
gesamten Bevölkerung ab, was ohne die entsprechende
Software-Entwicklung nicht möglich gewesen wäre.

Als "Waffe" seien zudem die "Budgets für Entertainment" zu sehen, ging
Weizenbaum zur spezielleren Medienkritik über. Vor allem das Fernsehen
führt seiner Ansicht nach zur "Verblödung" und behindere das Denken. Im
Bereich der biologischen Kriegsführung könnten die Forscher ihre Suche
nach einer "Dummheitspille" somit wieder einstellen. Trotzdem macht
sich Weizenbaum über die Biotechnologie die meisten Sorgen: Als wohl
"größten Fehler" in der Menschheitsgeschichte bezeichnete er die
Wiederherstellung der DNA des Pestbakteriums durch eine Gruppe von
Wissenschaftlern in den vergangenen zwölf Monaten. Dafür gebe es
vielleicht gute medizinische Gründe. Aber darüber hinaus seien die
Informationen auch in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht
worden. Man brauche nur die Liste der Interessenten ansehen, die Kopien
davon verlangt hätten: "Das sind böse Leute und böse Regierungen",
beklagte Weizenbaum, "die jetzt in der Lage sind, diesen Bazillus
herzustellen."

Reiner Braun, Geschäftsführer der International Association of Lawyers
against Nuclear Arms (IALANA[5]) und Mitorganisator der Konferenz,
zeigte zudem auf, inwieweit die Informationstechnologie an den
aktuellen Szenarien rund um die netzgestützte Kriegsführung[6]
beteiligt ist. So sollen Soldaten auf dem digitalen Schlachtfeld
befähigt werden, untereinander und mit der Leitstelle besser mit Hilfe
von Satelliten, tragbaren Mini-Computern oder Displays am Helm zu
kommunizieren. Generell komme es den Militärs auf die Punktgenauigkeit
in der Zielforschung, die Miniaturisierung der Waffensysteme sowie die
Sicherung der eigenen Kommunikationsfähigkeit und der Zerstörung der
entsprechenden Möglichkeiten der Gegenseite an. Mit der Konferenz hofft
er nun, den 15-jährigen "Dornröschenschlaf" des Themas in der
wissenschaftlichen Analyse zu beenden. Dabei gehe es aber nicht um
"l'art pour l'art" der Forscher. Vielmehr kämen auch Datenschützer oder
Betroffene zu Wort.

Auf dem Kongress, der im Rahmen des Informatikjahres stattfindet und
ohne Tagungsgebühr besucht werden kann, werden am ersten Abend
Weizenbaum und Klaus Brunnstein, Professor für IT-Sicherheit an der
Universität Hamburg, über aktuelle sicherheitspolitische
Herausforderungen diskutieren. Am zweiten Konferenztag stehen Themen
wie zivile Überwachungstechnologien, historische Entwicklungen oder die
Entstehung ziviler Gegenöffentlichkeiten auf dem Programm. (Stefan
Krempl) /
 (vbr[7]/c't)

Links in diesem Artikel:
  [1] http://www.einstein-weiterdenken.de/Informatiktext.html
  [2] http://www.heise.de/ct/03/03/076/
  [3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/72377
  [4] http://www.heise.de/newsticker/meldung/74984
  [5] http://www.ialana.net/
  [6] http://www.heise.de/newsticker/meldung/40061
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