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Re: [infowar.de] Wired News U.S.: Fear Countries, Not Hackers



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Ralf Bendrath wrote:

>
> Hallo,
>
> ein Bericht von einer Kongressanhörung zu Cyberwar, bei der anscheinend
> die Position, dass Staaten viel gefährlichere Cyberangreifer sein
> könnten als Teenager, sich durchgesetzt hat.
>

Die Position, dass "foreign actors", also nicht der heimische Hacker, die
grössere Gefahr darstellt, hat die amerikanische Diskussion um
Informationsangriffe schon seit Jahren geprägt. Interssanter an der
Darstellung von Gershwin finde ich, dass als besonders bedrohlich nun nicht
mehr unkalkulierbare "rogue states", sondern Russland und China, mithin
"rationale" Akteure, ausgemacht werden. Rationale Akteure sind bekanntlich
gut abschreckbar.

>
> Ein paar schnelle Gedanken dazu:
> Mir scheint, die Debatte auch im Geburtsland des Cyberwar-Hypes wird
> inzwischen etwas realistischer. Aber noch ist sie in der Phase
> "Bedrohung konstruieren" - jetzt eben Staaten statt Teenagern. Dass die
> einzigen, die bisher so etwas im Kontext eines Krieges eingesetzt haben
> und funktionierende Einheiten dafür haben, die USA selber sind, sieht
> man offenbar immer noch nicht. Die Konstruktion des Gegners/der
> Bedrohung findet also nicht wie von den radikalen Konstruktivisten
> modelliert, nur im Diskurs statt (das ist intendiert, um Legitimation zu
> erzeugen), sondern ironischerweise auch real (das ist nicht intendiert,
> führt aber zu der als Rüstungsspirale bekannten Feedbackschleife). Die
> selbstbewusste (im Wortsinne) Reflexion der eigenen Position wäre aber,
> notwendig für ernsthafte internationale Gespräche über dieses Thema,
> also Phase zwei, vor einer möglichen politischen Regelung und Einhegung,
> also Phase drei. Die zukunftsorientierte und normativ im Rahmen des
> eigenen Gesellschaftsmodells stehende Position wäre natürlich,
> Cyberangriffe nicht zu wollen.

Die "Konstruktion" von Bedrohungen kann "innenorientierten" Akteuren,
solchen mit "domestic interests", dazu dienen, finanzielle Mittel für sich
selbst zu sichern (keine neue Erkenntnis) oder "aussenorientierten", d.h.
solchen, die mit Rüstung militärisch-politische Ziele erreichen wollen,
Legitimation für das eigene Handeln schaffen (full spectrum dominance). Hier
müsste genau untersucht werden, wer warum was "konstruiert". Meine These:
Den politischen Entscheidungsträgern in den USA ist schon bewusst, dass die
USA als einzige in der Lage sind, "cyberweapons" einigermassen wirkungsvoll
einzusetzen. Solange sie sich politische und militärische Vorteile davon
versprechen, sind sie nicht bereit, über diese Waffen zu verhandeln - und
dies selbst dann nicht, wenn der Vorsprung nur temporär ist (dafür gibt es
in der Rüstungskontrollgeschichte genügend Beispiele. Das schlagenste: die
Nichteinbeziehung von Mehrfachsprengköpfen in SALT I).

> Frage: Ist dieser Wandel in der Debatte kognitiv fundiert (sprich:
> liegen den Geheimdiensten wirklich neue Erkenntnisse vor?), oder ist er
> epistemisch erklärbar (liegt diese Entwicklung an der Mannschaft von
> Bush, die als Vertreter der "realistischen Schule" nur Staaten als
> Akteure wahrnehmen)? Dann wäre der Paradigmenwandel, den Georg
> Schöfbänker hier mehrfach konstatiert hat, allerdings keiner im
> Kuhn´schen Sinne (aus einer Krise des alten Paradigmas heraus zur
> theoretischen Innovation), sondern eher Rückschritt oder bestenfalls
> Stagnation. Das würde ich aber nicht als "Paradigmenwandel" bezeichnen,
> sondern eher als autopoietische Kommunikation des internationalen
> Systems auf der Basis des Codes "Staat". Für letzteres spricht, dass
> Kenneth Minihan vor Staaten als Haupt-Gefahren schon 1998 als NSA-Chef
> gewarnt hat
> (http://www.defenselink.mil/speeches/1998/s19980624-minihan.html), aber
> damals niemand - und besonders nicht der stellvertretende
> Verteidigungsminister John Hamre - darauf eingegangen ist.
>

Schweres wissenschaftstheoretisches Gerät. Dass "fremde Staaten"
Vorbereitungen für den Informationskrieg treffen, ist keine neue
Geheimdiensterkenntnis. Ob die entdamatisierende Aussage Gershwins zu
Terroristen wirklich einen neuen Trend darstellt, bleibt abzuwarten. Ob alle
anderen Institutionen der Intelligence Community mitziehen, muss sich erst
zeigen. Genausowenig wie die Clinton-Leute Institutionalisten waren, sind
die Bush-Leute Realisten reinsten Wassers. Mich sollte es wundern, wenn die
Gefahren durch nicht-staatliche Akteure nun keine Rolle mehr spielen
sollten. Auch nach dem Amtsantritt von Bush jun. hat es ja bereits genügend
Hinweise auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus gegeben.
Vor drei Jahen hätte man im übrigen auch die "vereinzelte" Aussage von
Minihan bereits als "Paradigmenwechsel" bezeichnen können. Darüber hinaus
gibt es ja nicht nur Kuhn's Modell, sondern auch die These von Reinhard
Meyers, dass Paradimen nicht einander ablösen, sondern Theorien sich
"verzweigen", d.h. neue Annahmen differenzieren sich aus den bereits
bestehenden heraus und treten einfach  n e b e n  die alten.

Auch nur ein paar schnelle Gedanken, Martin


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