Suche innerhalb des Archivs / Search the Archive All words Any words

[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[infowar.de] FAZ 26.9.01: Wie Cyberterroristen CNN anpeilten



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
-------------------------------------------------------------
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.09.2001, Nr. 224 / Seite 58

Nicht geschäftsmäßig
 
Wie Cyberterroristen CNN anpeilten / Von Chris Cramer

Während die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sich auf ihren Krieg gegen den Terrorismus vorbereiten, droht bereits der nächste gefährliche Konflikt: Wenige Stunden nach der Entführung von vier Flugzeugen durch Terroristen und den Angriffen auf Washington und New York kam es zu einer weiteren, äußerst besorgniserregenden Entführung, diesmal geschah sie im Internet und per E-Mail. Angesehene Nachrichtensender und Nachrichtenagenturen wie CNN und Reuters waren das Ziel des Angriffs, der in diesem Fall von einer Universität in Brasilien ausging (F.A.Z. vom 17. September). Wahrscheinlich ist dies das ernsteste Beispiel einer Aktion, bei der skrupellose Leute die Möglichkeiten des E-Mail-Verkehrs für ihre eigenen zynischen Zwecke mißbrauchten.

Nach den Anschlägen auf das Pentagon und das World Trade Center sendete CNN wie andere Sender eine kurze Filmsequenz mit Bildern von Palästinensern in Jerusalem, darunter auch Kinder, die das tragische Geschehen bejubelten. Dieses schockierende Video stammte von der Reuters Television Agency und beleuchtete offensichtlich die dunklere Seite der internationalen Reaktionen.

Was zunächst wie eine einfache, wenn auch naive Meinungsäußerung eines Studenten von der Universidade Estadual de Campinas (Unicamp) in São Paulo erschien, der in einem Chatroom ernste Zweifel an der Echtheit der Bilder äußerte, verwandelte sich sehr schnell in einen gezielten Angriff auf die Reputation unseres Senders. Schockierend und verbitternd am Mißbrauch seines Kommentars durch andere, die weitaus bösartigere Absichten verfolgen, war die vollkommene Mißachtung einfachster journalistischer Grundsätze durch Gruppen, die von sich behaupten, die "alternativen Medien" zu sein, aber bedenkenlos zuließen, daß die Äußerungen des Studenten weitergegeben wurden, obwohl sie es unterlassen hatten, die Anschuldigungen durch eine Anfrage bei CNN oder Reuters zu überprüfen.

Auf der Website von "indymedia.org" fand sich am 12. September, einen Tag nach den Anschlägen, die Behauptung, CNN zeige Bilder mit jubelnden Palästinensern, die nicht aktuell seien, sondern aus dem Jahr 1991 stammten. Eine Dozentin der Universität meine sich zu erinnern, genau diese Bilder vor zehn Jahren schon gesehen zu haben. Ausführlich erging sich der Verfasser in Klagen über die vermeintliche Manipulations und Propaganda von CNN. Von einem "Verbrechen an der öffentlichen Meinung" war bei "indymedia" die Rede. Das sind starke Worte. Wenn man bedenkt, daß ihnen Glauben geschenkt wurde, als man sie ohne jede Nachprüfung weitergab, kann man sich leicht vorstellen, welchen Schaden falsche, haltlose Gerüchte anrichten, welchen Zorn sie auslösen und welche Gefahr sie darstellen können.

CNN erfuhr am Freitag, dem 14. September, von dem Anwurf. Erst am Nachmittag des 19. September, eine Woche nach der Verbreitung des Kommentars, hielt "indymedia.org" es für nötig, bei CNN nachzufragen. Inzwischen aber waren aus Fiktionen Fakten geworden: CNN wurde überflutet mit Anrufen von Zuschauern und Journalisten, die E-Mails mit den falschen Anschuldigen gegen den Sender erhalten hatten. CNN stellte internationale Nachforschungen an und gelangte in kürzester Zeit zu dem Ergebnis, daß die Aufnahmen echt waren. Noch am 14. September erklärten wir, die Anschuldigungen seien "haltlos und lächerlich". Reuters (das sich zuvor in dieser Zeitung geäußert hatte) folgte am 20. September mit einer eigenen offiziellen Stellungnahme, in der die Anschuldigungen ebenfalls "als vollkommen haltlos" zurückgewiesen wurden: "Die Aufnahmen wurden am 11. September, unmittelbar nach den Angriffen auf die Vereinigten Staaten, von einem Reuters-Kamerateam gemacht". Reuters begrüßte denn auch eine ausführliche Stellungnahme von Unicamp, in der es hieß, der Student habe eine Aussage seines Lehrers an den Chatroom weitergegeben. Als sich zeigte, daß die Behauptung nicht zutraf, habe er die Anschuldigungen zurückgenommen. Der Student habe gegenüber Unicamp erklärt, er glaube, seine Domain sei von Hackern angegriffen worden, die in seinem Namen E-Mails mit falschen Darstellungen versendeten.

Als die Flut der Anrufe bei CNN abebbte, sorgte eine neue, gleichermaßen undurchschaubare Wendung nochmals für Auftrieb. Es wurde berichtet, ein leitender Vertreter der BBC habe die Anschuldigung unterstützt. Als CNN bei ihm nachfragte, erklärte er, sein Name, seine Adresse und seine E-Mail seien von Unbekannten mißbraucht worden.

Die Tragödie in Amerika gab auch den Anstoß zu anderen haltlosen Anschuldigungen gegen die Medien, bei denen das Internet als Waffe eingesetzt wurde. In den letzten Wochen tauchten falsche CNN-Websites auf, und in Südafrika wurden E-Mails versendet, in denen die Behauptung aufgestellt wurde, CNN habe berichtet, die Anschläge seien in Südafrika geplant worden. Daß Interessengruppen aller Art die Sender mit E-Mails bombardieren, ist längst zur Regel geworden. Viele Mitarbeiter ändern deshalb regelmäßig ihre E-Mail-Adressen, um sich vor der Überflutung mit solchen E-Mails zu schützen. Aber diesmal war es anders: Dies war ein konzertierter Angriff auf das Nachrichtenwesen insgesamt und nicht nur, wie bei den Interessengruppen, auf einzelne Aspekte. Der Cyberterrorismus gehört inzwischen wie der Terrorismus in den Städten zum Alltag, und auch vor solchen Angriffen aus dem Cyberspace können wir uns nur sehr schwer schützen.

Eine bittere Ironie, wenn man bedenkt, daß amerikanische Militärs einst das Internet erfanden, unter anderem um die Unruhe in der Bevölkerung bei katastrophalen Kriegen in Grenzen zu halten.

Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff.

Chris Cramer ist Präsident von CNN International Networks und als solcher zuständig für zweiundzwanzig verschiedene Nachrichtendienste. Vor seiner Zeit bei CNN war Cramer 25 Jahre lang bei der BBC. Er ist Autor des Buches "Hostage", eines Augenzeugenberichts über die Erstürmung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1980, in der er selber als Geisel festgehalten worden war.


---------------------------------------------------------------
Liste verlassen:
Mail an infowar -
 de-request -!
- infopeace -
 de mit "unsubscribe" im Text.