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[infowar.de] ZEIT: Krieg der Kanäle



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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DIE ZEIT Nr. 43/2001, 18.10.2001
Rubrik Leben, Medienseite
http://www.zeit.de/2001/43/Media/200143_medien_bendrath.html

Krieg der Kanäle

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Im Kampf gegen den Terror setzen die USA auf eine gezielte
Desinformationskampagne. Der Erfolg scheint fraglich.
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: Haben die Gegner die
Kommunikation besser im Griff?

von Ralf Bendrath

Wenn der Krieg tatsächlich eine Bedeutung hat für unsere Zivilisation,
dann sicher diese: Was Qualität und Quantität der öffentlich verfügbaren
Informationen angeht, ist dieser Konflikt ein historischer Tiefpunkt.
Die vom Pentagon vorproduzierten Videos startender US-Kampfjets kannten
wir bereits aus dem Golfkrieg. Doch dass die US-Regierung nun sogar
versucht, dem Kongress keine Hintergründe mehr zu liefern und
Fernsehsender an der Ausstrahlung unerwünschter Videos zu hindern, ist
neu. Hinter dieser Nichtinformation wird vielfach eine kohärente
Strategie der US-Regierung vermutet. So betonte George W. Bush in einer
seiner Ansprachen, Wissen sei »Macht im Krieg gegen den Terrorismus«.
Immer wieder deutet der Präsident an, dass seine Regierung alle
relevanten Informationen besitzt und beschaffen kann - und das nach
Plan. 

Ideengeber aus dem achten Jahrhundert 

Es deutet tatsächlich einiges darauf hin, dass der infowar nach zehn
Jahren intensiver Debatte eine zentrale Rolle im strategischen Denken
der amerikanischen Militärs eingenommen hat. Genau eine Woche vor Beginn
der Angriffe, am 1. Oktober, wurde vom Pentagon die Quadrennial Defense
Review veröffentlicht, eine Art Weißbuch der US-Militärstrategie. Klar
heißt es dort: »Die Fähigkeit, Informationsoperationen durchzuführen,
ist eine Kernkompetenz für das Verteidigungsministerium geworden.«
Ebenfalls Anfang Oktober wurde mit Richard B. Myers ein Mann neuer
Generalstabsvorsitzender, der für den Kampf an der Informationsfront
geeignet scheint wie kaum ein anderer. Er war bis Februar letzten Jahres
als Chef des Weltraumkommandos auch für die Entwicklung des
Informationskrieges in den US-Streitkräften zuständig. Unter ihm
erhielten die USA eine eigene Doktrin für »Informationsoperationen«, die
im Jahr 1998 als Dokument JP 3-13 veröffentlicht wurde. Darin heißt es:
»Informationsoperationen beinhalten die Beeinflussung gegnerischer
Informationen und Informationssysteme, während die eigenen Informationen
und Informationssysteme verteidigt werden.«

Die Informationskrieger von heute beziehen sich gerne auf die Ideen des
chinesischen Militärtheoretikers Sun Tsu. Von ihm ist aus dem 8.
Jahrhundert der Satz überliefert ist, es sei »die höchste Kunst, den
Gegner ohne Kampf zu bezwingen«. Doch wer ist überhaupt der Gegner?

Bisher ist der globale Krieg gegen den Terrorismus ein regional
begrenzter gegen Afghanistan. Trotz der Beteuerungen, nach dem 11.
September sei (auch militärstrategisch) nichts wie zuvor, setzt das
Pentagon wenig mehr als seine klassischen Instrumente der
Informationskriegführung ein: Die Luftwaffe bombardiert
Kommunikationszentralen. Transportmaschinen werfen Flugblätter und
Lebensmittelrationen ab, die in alle Richtungen guten Willen
kommunizieren sollen. Gleichzeitig senden »Commando Solo«-Flugzeuge der
US-Einheiten für psychologische Kriegführung Radionachrichten, damit die
Empfänger der »kulturell neutralen« Nahrungsmittelpakete auch wissen,
wem sie zu danken haben. Die eiligen Forderungen aus dem Washingtoner
Kapitol, das ehemalige Radio Free Europe/Radio Libertyfür ein Radio Free
Afghanistan zu nutzen, sind ein weiteres Zeichen dafür, dass die USA
noch in Kategorien des Kalten Krieges und zwischenstaatlicher Konflikte
denken.

Haben die USA in diesem Krieg den eigentlichen Gegner aus dem Blick
verloren? Dieser sollte doch gerade der globale Terrorismus mit seinen
Netzwerken sein, nicht ein zerschundenes Land. Noch einmal Sun Tsu:
»Wenn du den Gegner kennst und dich selbst, dann brauchst du hundert
Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst  kennst, aber nicht
den Gegner, wirst du für jeden errungenen Sieg eine Niederlage
erleiden.« Die USA betreiben viel Aufklärung, um langsam ein Bild von
den Netzwerken des transnationalen Terrorismus zu erlangen. Hoch
technisierte Spionagesysteme helfen dabei nicht viel. Entscheidend wäre
es, zu verstehen, wie die Denkstrukturen des Gegners beschaffen sind.
Kulturelle Kompetenz ist hier gefragt, nicht nur der
militärisch-technische Blick. Doch dafür seien die US-Geheimdienste
kulturell nicht qualifiziert, so Jörg Becker, Professor für Politik und
Medienforschung der Universität Marburg.

Die Kommunikationsstrukturen der Terroristen basieren auf einfachen
Mitteln wie E-Mail-Adressen bei Hotmail und Yahoo. Wer sie angreift,
kann nicht verhindern, dass sofort neue entstehen. Auch Osama bin Ladens
Rolle war bisher die eines Diplomaten und Vermittlers zwischen den
verschiedenen autonomen Terroristengruppen in aller Welt, nicht die
eines zentralen Kommandeurs. Dieser Gegner ist Teil eines Netzwerks, das
keine Zentrale hat, die vernichtet werden könnte.

An der Konzentration auf bin Laden zeigt sich das Dilemma der
Informationsfronten, an denen die amerikanische Regierung kämpft. Die
afghanische Front hat sie nicht verstanden, die Heimatfront glaubte sie
dagegen zu kennen. Die US-Medien hatten sich nach dem 11. September
freiwillig in den Dienst der Nation gestellt, so dass
Verteidigungsminister Rumsfeld den Vorschlag seiner PR-Chefin Victoria
Clarke für unnötig hielt, eine Medienkampagne zu lancieren. Man war sich
am heimatlichen Ende der Informationsstrategie sicher - und rechnete
nicht mit dem Gegner. Doch dann platzte in die ersten Live-Berichte zum
Thema »America strikes back« das Video von bin Laden, das der arabische
TV-Sender Al-Jazeeraan CNN verkauft hatte. Alle Versuche, die
Medienattacke zu vereiteln, schlugen fehl. In einer Zeit, in der
Nachrichtenmoderatoren mit dem Sternenbanner wedeln, ist es nicht
schwierig, die eigenen Medien zur Zurückhaltung anzuhalten. Im globalen
Maßstab funktioniert dies jedoch nicht. Nun müssen die US-Strategen des
Informationskriegs nicht nur fürchten, dass die Tricks, die sie zur
Überlistung des Gegners entwickelten (wie die Instrumentalisierung von
TV-Programmen) gegen sie selbst gerichtet werden.

Die USA, die stets stolz waren auf die Meinungsfreiheit, werden nun mit
den Mitteln der freien Berichterstattung in die Enge gedrängt. Henry
Hyde, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus,
ist verzweifelt: »Wie ist es möglich, dass die Regierung des Landes, das
Hollywood und die Madison Avenue erfunden hat, seine Geschichte nicht in
Übersee erzählen kann?« Ganz einfach: Man hatte sich zu sehr darauf
verlassen, dass die USA weltweit der Content-Provider Nummer eins sind
und die Vertriebskanäle beherrschen - eine Logik, die nun nicht mehr
uneingeschränkt gilt. Der arabische Sender Al-Jazeera wird weltweit
täglich von 20 Millionen Menschen eingeschaltet.

Informationskanäle nutzen - nicht zerstören 

Diese dritte Informationsfront ist die eigentlich entscheidende. Hier
bieten sich Ansätze, um dem Terrorismus seine Anhängerschaft zu nehmen.
Dazu müsste man Bilder und Deutungsmuster erzeugen, die anschlussfähig
sind an die Denkstrukturen fanatischer oder amerika-kritischer Muslime.
Direkt nach dem 11. September bestand dazu eine einzigartige Chance: Sie
lag in der eindringlichen Macht der Fernsehbilder, die eine globale
Betroffenheit erzeugten. Wie in Washington und Berlin, so waren sich
auch die TV-Zuschauer in Amman, Kairo, Damaskus - und sogar in Teheran -
einig, dass der Massenmord Tausender Zivilisten ein Verbrechen ist.
Diese Synchronizität öffentlicher Meinung hat die große
Antiterrorkoalition erst möglich gemacht. Aber offenbar wurde von den
Protagonisten des infowars vergessen, dass ein Krieg das Potenzial hat,
diese Koalition zu zerstören. Man hatte sich darauf verlassen, dass CNN
nicht in Kabul vor Ort sei und moderne Distanzwaffen eine
Kriegsberichterstattung durch amerikanische Medienvertreter ohnehin
unmöglich machen würden. In diesem Kalkül wäre es möglich gewesen, die
unangenehmen Bilder getöteter Zivilisten zu kontrollieren oder gar zu
vermeiden. Doch Al-Jazeera schickt täglich Bilder aus Afghanistan um den
Globus, zuerst von den Angriffen und später von Leichen und weinenden
Frauen. Sie lassen in der arabischen Welt die alten Deutungsmuster
wieder hochkommen, die Amerika als selbstsüchtigen Cowboy
interpretieren, der in fremden Ländern Krieg führt.

Informationen strategisch zu nutzen heißt gerade nicht, die Kanäle zu
zerstören - weder mit Bomben noch mit Störsendern, Hackern oder Zensur.
Der infowar-Vordenker John Arquilla, der seit Jahren das Pentagon in
diesen Fragen berät, warnt vor solchen Fehlern. Informationskrieg
bedeutet für ihn, die andere Seite zu verstehen und, daran anknüpfend,
die eigene Sicht der Dinge zu kommunizieren. Das Fernsehen kann hier
eine wichtige Funktion übernehmen - ähnlich wie früher diplomatische
Vertretungen. Nachdem das US-Außenministerium noch kurz vor Beginn der
Angriffe auf Afghanistan versuchte, Al-Jazeera schließen zu lassen, hat
man in der Zwischenzeit offenbar dazugelernt. Das Weiße Haus
signalisierte, dass der Präsident interessiert sei, dem Sender ein
Interview zu geben. Vielleicht liegt hierin eine Chance, die
Informationssphäre nicht als Raum des Kriegs, sondern der Verständigung
anzusehen. In einem solchen Interview wäre George W. Bush nämlich
gezwungen, die arabische Version der Wahrheit wenigstens zur Kenntnis zu
nehmen. Tony Blair hat ihm da eine Erfahrung voraus. Als er Al-Jazeera
vor wenigen Tagen ein Interview gab, behauptete Blair, er lese den
Koran.

Der Autor ist Geschäftsführer der Forschungsgruppe
Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik (www.fogis.de) in
Berlin.

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