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[infowar.de] ZEIT: Bin Laden und TV-Ästhetik
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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http://www.zeit.de/2001/43/Kultur/200143_interview_leder.html
DIE ZEIT 43/2001, 18.10.2001
Feuilleton
Die Macht des Mikros
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Bin Laden verbreitet Furcht per Videoclip - mit den Mitteln moderner
TV-Ästhetik. Ein Gespräch mit dem Medienwissenschaftler Dietrich Leder
von Sabine Etzold
die zeit: Seit seinem Videoauftritt wird Osama bin Laden immer
häufiger das Attribut "charismatisch" beigegeben.
Entsteht da eine Legende?
Dietrich Leder: Natürlich. Dieses Gesicht eignet sich zum Mythos. Das
Charismatische in der Max-Weberschen
Definition hat auch etwas damit zu tun, dass scheinbare Gegensätze in
der Figur aufgehoben sind. Diese ruhige
Stimme, die Ungeheuerliches sagt, was man normalerweise bebend sagt.
Das zieht die Massen an, macht ihn so
attraktiv. Er verkörpert das absolut Böse, aber auch einen sanften,
vergeistigten Menschen. Das ganze Video hat
etwas Chiffreartiges, samt der Attitüde: Ich bin als Person
vollkommen unwichtig, ich bin reine Erfüllung, reine
Botschaft. Aber gleichzeitig ist dieser Auftritt perfekt inszeniert.
zeit: Aber das sah doch eher improvisiert und wenig vollkommen aus.
Leder: Im Gegenteil. Alle Bildbestandteile waren durchgestylt: die
Tarnuniform als Zeichen der militärischen
Disziplin, die Waffe griffbereit für die Gewalt, Kopftuch und Bart
für die religiöse Überzeugung, die Armbanduhr,
um zu signalisieren: High-Tech, der Felsen im Hintergrund als der
unbekannte Ort des Unterwegsseins und das
Mikro in der Hand als Mittel der Todespredigt.
zeit: Und das war alles in Szene gesetzt?
Leder: Sicher. Das Mikrofon zum Beispiel: Normalerweise werden heute
Ansteckmikros gebraucht. Aber in
Nachmittagsshows halten die Moderatoren ein Mikro ins Publikum, und
wenn ihnen die Antworten nicht gefallen,
nehmen sie es einfach weg. Wer das Mikro hat, hat die Macht. Bin
Ladens Signal war: Ich bestimme nicht nur die
Botschaft, ich bin die Botschaft, und ich bin derjenige, der sie in
ihrem kompletten Design beherrscht. Er gibt eine
Antwort auf eine Aktion, die er selbst noch gar nicht kennt. Womit er
dann - wie beim Schach - dem Gegner
signalisiert: Ich kann zwei, drei Züge weiter als du denken. Dazu
benutzt er genau die Mittel, die in Ansprachen des
amerikanischen Präsidenten verwendet werden, und lädt sie mit seinen
Mitteln auf.
zeit: Soll das heißen, bin Laden hat Bush imitiert oder vielleicht
sogar parodiert?
Leder: Das war ganz eindeutig eine Coverversion des Auftritts des
amerikanischen Präsidenten: George W. Bush,
eingerahmt von Flaggen, und im Hintergrund sah man aus einem Fenster
den amerikanischen Alltag brausen.
zeit: Aber das Video wurde doch vorher gemacht. Wie konnte bin Laden
da eine Coverversion erstellen? Meinen
Sie, so raffiniert sind westliche Medieninszenierungen am Ende nun
auch wieder nicht?
Leder: Im Fall der Attentate vom 11. September jedenfalls nicht. Es
fehlte ein Bekenntnis. Es fehlten politische oder
militärische Reaktionen. Wir hatten eigentlich nur Bush und konnten
zusehen, wie er in sechs oder sieben
Ansprachen übte, Präsident zu werden. Das war ja sensationell, wie
man der Verfertigung eines Politikers zusehen
konnte, von der Hilflosigkeit der ersten Reaktion bis zum Höhepunkt
beim Auftritt vor dem Volk, wo er endlich ein
Kommunikationmittel hatte, das seiner einfachen Redeweise gemäß ist,
nämlich das Megafon. Damit kann man nur
ganz knappe Hauptsätze rüberbringen.
zeit: Wie funktioniert das - gebrauchen oder missbrauchen
Terroristen, Revoluzzer, Attentäter die Medien für ihre
Zwecke, oder werden sie umgekehrt von den Medien dazu gemacht?
Leder: Das ist häufig viel weniger zielstrebig, als es den Anschein
hat. Jeder, nicht nur Terroristen, sondern wir alle
reagieren auf die mediale Welt. Ich glaube, dass die charismatischen
Figuren des 20. Jahrhunderts immer auch
diejenigen waren, die eine Affinität zu den jeweiligen bahnbrechenden
Massenmedien besaßen.
zeit: Bei den Nazis zum Beispiel das Radio und die Massenaufmärsche.
Leder: Hitler und Goebbels haben sich in Wahrheit nicht übers Radio
verbreitet. Das ist eine Mär. Wir kennen von
Hitler nur drei oder vier große Parteitagsreden, die immer wieder
vorgespielt werden. Hitler wie Goebbels sind die
Live-Redner gewesen mit diesen sich überschlagenden Stimmen, die ohne
Mikrofon einen Saal in Raserei bringen
und akustisch füllen konnten.
zeit: Aus heutiger Sicht wirkt das manchmal fast komisch. Und Charlie
Chaplin hat ja schon damals mit seinem Film
Der große Diktator eine Parodie darauf gemacht.
Leder: Ja, Hitler hat sich ja vor den Spiegel gestelllt und Gesten
trainiert. Wenn da die Kamera ganz nah dran ist,
sieht das sehr chaplinesk aus. Sonderbar ist: Die Nazis waren in
ihrer zusammengebackenen Ideologie immer sehr
technikorientiert. Sie haben Medientechnik vorangetrieben, auch aufs
Fernsehen haben sie gesetzt. Aber als
Auftrittsmedium haben sie es nie in ihre Pläne einbezogen - so als ob
sie instinktiv wussten, dass sie vor einer
Kamera, die ganz nah dran ist und Telepräsenz verlangt, die Falschen
waren.
zeit: Wenn man sich diese Auftritte heute anschaut, erinnern sie an
alte Filme.
Leder: Ja, sie orientieren sich am Stummfilm und natürlich an der
Wochenschau. Das hatte übrigens damals schon
Tradition: Kaiser Wilhelm Zwo wurde mal als der erste Filmstar
bezeichnet, diese pompösen Auftritte hatten was
sehr Filmisches.
zeit: Ein Charisma der etwas anderen Art hat ja dann Ché Guevara
verbreitet.
Leder: Das war der mediale Chic der Avantgarde. Ché hatte das große
Glück, dass diese Avantgarde einen
vollkommen maroden Staat aushebeln konnte. Er hatte dann auch das
Glück, nicht alt zu werden.
zeit: Das legendäre Foto von Ché Guevara war ja einmal das Kultobjekt
einer ganzen revolutionär gestimmten
Generation.
Leder: Dieses Foto und auch die anderen von Ché Guevara und Fidel
Castro hatten ja was von jugendlichem
Charme und Machismo, wozu eine kecke Mütze oder das Armeehemd gehörte
oder auch der Bart. Jede Avantgarde
inszeniert sich immer auch ästhetisch. Da wird so ein bestimmter
Radikalschick vorgegeben.
zeit: Und auch solche Modemätzchen werden nicht immer bewusst
inszeniert, behaupten Sie?
Leder: Nein, das ist ganz instinktiv. Wir wurden ja alle in den
letzten 30, 40 Jahren durch die Massenmedien
sozialisiert. Ich weiß, dass mein Fernsehbild ganz anders ist als
mein Spiegelbild, meine Stimme auf dem Tonband
anders klingt als in Wirklichkeit, dass ich anders real gehe, als ich
meinen Gang spüre. Und wir haben auch ein
Gefühl dafür entwickelt, dass es Medien gibt, in denen man sich
besser artikuliert oder schlechter. Das umgekehrte
Drama kennen wir ja leider auch, dass sich Menschen zu ihrem eigenen
Unglück im falschen Medium darstellen
wollen. Viele Politiker, etwa Rudolf Scharping, können dafür als
Beispiel dienen.
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