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[infowar.de] NZZ zum Cyberwar
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Neue Zuercher Zeitung, 9. November 2001
Der Kleinkrieg gegen Viren, Würmer und Trojanische Pferde
Der Gegner ist unsichtbar, seine Motive sind unklar, seine Waffen
unkonventionell
Cyberterrorismus, Datenvandalismus, gezielte und blindwütige Attacken auf
Server und Websites haben das Internet zu einem Ort gemacht, der dem Rest
der Welt verzweifelt ähnlich sieht. An die einstige Vision, im Cyberspace
entstehe ein Raum der freien geistigenEntfaltung und der weltweiten
Verständigung, glaubt heute kaum mehr jemand. Der Kleinkrieg mit Viren,
Würmern und Trojanischen Pferden fordert keine Todesopfer, aber er kostet
Zeit und Nerven und viel Geld.
Eine Woche nach dem Terroranschlag in New York infizierte das Virus Nimda
das Internet, «rasend schnell», wie die Medien meldeten. US-
Justizminister John Ashcroft liess umgehend verlauten, es gebe «zum
gegenwärtigen Zeitpunktkeine Beweise» dafür, dass Nimda mit den Anschlägen
gegen das World Trade Center und das Pentagon in Zusammenhang stehe. Nimda
ist die Umkehrung von Admin, was auf die US-Administration als Ziel des
virtuellen Anschlags hindeuten könnte.
Von Ashcroft angetrieben, hat inzwischen der US-Kongress die
Antiterrorgesetze auch für Cyberterror verschärft. Denn dass der Feind in
Zukunft auch auf den Datennetzen zuschlagen wird, vielleicht sogar im
Multipack mit konventionellen Attacken, ist so gut wie sicher. «Durch
Infokrieg haben ärmere Länder mit kleinen Armeen im Kampf gegen eine hoch
technisierte Grossmacht wie die USA nicht nur eine Chance», prophezeite
schon der Zukunftsforscher Alvin Toffler, «sie sind sogar im Vorteil, weil
sie wegen ihres geringeren Technikstandards selbst weniger verwundbar
sind.»
Unsichtbar, unfassbar und vernetzt
In der Schweiz legte das Nimda-Virus das Finanzportal der Post für einige
Stunden lahm. Sein Vorläufer Code Red griff im Juni die Website des
amerikanischen Präsidenten an, infizierte nach Schätzungen weltweit 350
000 Computer und verursachte mehrere Milliarden Dollar Schaden. Auf Nimda
folgte das WTC-Virus, angehängt an eine E-Mail mit der Botschaft «Peace
between America and Islam». Und Ende Oktober meldete das Online-Magazin
«Information Security», die pakistanische Hackergruppe G-Force habe die
Homepage der National Oceanic and Atmospheric Administration angegriffen
und drohe, geheime Regierungsdaten an bin Ladin zu liefern, falls die
Angriffe auf Afghanistan nicht eingestellt würden.
Mit dem Terrorakt in den USA haben die Cyberattacken eines gemeinsam: Der
Gegner ist unsichtbar und vernetzt, er kann sich an irgendeinem Ort auf
der Welt aufhalten, und seine Motive sind meist unklar. Es kann sich auch
bloss um einen Jux eines Computerfreaks handeln. Wie der erste
Internet-Worm der Geschichte, den im November 1988 der Informatikstudent
Robert Tappan Morris aus reiner Experimentierlust losschickte und der
Tausende von Computern lahmlegte. Seit Anfang der neunziger Jahre begann
das Pentagon Cyberwaffen und Abwehrsysteme für Information-Warfare zu
entwickeln. Der Medienrummel um die Nachricht, dass im Golfkrieg einVirus
die irakische Luftabwehr ausser Gefecht gesetzt habe, erwies sich jedoch
als Aprilscherz. Auf dem Netz verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit
und Fiktion.
Bomben aus Bit und Byte
Die Zeitung «USA Today» löste vor der Jahrtausendwende eine ziemliche
Aufregung aus mit der Enthüllung, ein grosser Teil der Software-
Korrekturen für den Millennium-Bug werde in Indien, Pakistan, Indonesien
und Irland gemacht - also in Ländern mit terroristischem Potenzial. Die
Zeitung behauptete, Programmierer im Sold von bin Ladin würden Falltüren
in die Software einbauen und sie später für Anschläge auf Rechenzentren
der USA benutzen.
Der Film «War Games» erzählte schon 1983 die Story eines Computerfreaks,
der ins Frühwarnsystem der USA einbricht, eine russische Raketenattacke
vortäuscht und dabei beinahe den dritten Weltkrieg auslöst. Eine eher
harmlose, aber verbreitete Form von Cracking begnügt sich damit, Webseiten
des Gegners abzuändern, wie etwa mit Israel sympathisierende Cracker, die
eine Website der palästinensischen Hizbullah mit dem Davidsstern
«besetzten». Palästinenser bombardierten im Gegenzug die Homepages des
israelischen Aussenministeriums, der Armee und der Knesset im Oktober 2000
mit Hunderttausenden von Zugriffen und legten sie für dreissig Stunden
lahm.
Seit Februar 2001 werden die Computer mehrerer Schweizer Hochschulen
täglich mit Hunderttausenden von Werbemails aus den USAbombardiert. Die
ETH Zürich schätzt den Schaden auf eine halbe Million Franken. Innerhalb
eines Jahres habe sich die Zahl der Attacken auf Webserver verdoppelt, hat
das Magazin «Information Security» nach einer Umfrage bei
2500Sicherheitsfachleuten festgestellt. Fast jedes zweite Unternehmen sei
von Angriffen betroffen.
Strategien aus Antike und Mittelalter
Ob es jemals zu einem Cyberkrieg in grossem Stil kommen wird, einem Cyber
World War I, ist unter Experten umstritten. Geheimdienste, Computerfreaks,
Sicherheitsexperten, Witzbolde, Hacker und Cracker liefern sich jedoch
heute einen unablässigen Kleinkrieg auf dem Netz. Dabei werden die Viren
immer intelligenter und anpassungsfähiger. Gegenwärtig ausserordentlich
fruchtbar sind Würmer, die über das Adressbuch des Mailprogramms Outlook
eines infizierten Computers selbständig E-Mails mit ihren Ablegern
verschicken. Die Microsoft-Monokultur fördert die Verwurmung des Netze
genauso, wie biologische Monokulturen die Verbreitung von Ungeziefer
begünstigen.
Die Abwehrstrategien erinnern schon sprachlich ans Mittelalter: Man
errichtet um die Computerzentren einen Firewall. Ans Tor pflanzt manWachen
mit Fahndungslisten, das heisst aktualisierten Filtern der
Virenschutz-Software. Selbst das Trojanische Pferd kommt wieder zu Ehren,
etwa eingebaut in ein Spielprogramm, das im Bauch eine bösartige Funktion
mit sich trägt, die zu einer bestimmten Zeit losgeht. Zum Beispiel jeden
Freitag, der auf einen 13. fällt, wie beim berüchtigten Jerusalem-Virus.
Im Fall einer logischen Bombe kann das auch auf ein ferngesteuertes
Kommando hin geschehen.
Das Ende einer Vision
«Mit Gesprächen am runden Tisch» will Infosurance in der Schweiz den
Cyberterrorismus inden Griff bekommen. Die Stiftung, zu deren Trägern
Banken, Handels- und Industrieunternehmen gehören, will während der
nächsten MonateDiskussionsrunden zur Sicherheit der elektronischen
Infrastruktur durchführen. Im vergangenenJuni haben 150 Vertreter von Bund
und Wirtschaft im Rahmen der strategischen Führungsübung Informo 2001 ein
Cyberwar-Szenariodurchgespielt und dabei einen Sonderstab
Informationssicherheit getestet. Eine Erkenntnis im letzthin
veröffentlichten Bericht ist, dass eine Trennung von zivilen und
militärischen Bereichen im Informationskrieg nicht mehr möglich ist -
genau wie im realen Krieg. Die Frage, wer bei Krisen die Führung
übernimmt, die Generäle oder die Programmierer, steht noch im Raum.
Auch die Friedensforscher haben sich des Themas angenommen. Eine Konferenz
der Heinrich-Böll-Stiftung versammelte Ende Juni Wissenschafter, Militärs
und Regierungsvertreter in Berlin, die sich Gedanken über eine
«Rüstungskontrolle im Cyberspace» machten. Dabei warnte man allerdings vor
«militärischer und medialer Panikmache». Georg Schöfbänker von der
Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik
beruhigte: «Bis heute ist kein Fall eines Cyberangriffs bekannt geworden,
bei dem jemand Schaden an Leib oder Leben genommen hätte.»
Panik ist vorderhand fehl am Platz. Doch Cyberterrorismus,
Datenvandalismus, gezielte und blindwütige Attacken auf Server und
Websites haben das Internet zu einem Ort gemacht, der dem Rest der Welt
verzweifelt ähnlich sieht. Wer sich freut, sind sicher die Hersteller von
Security-Systemen und Virenschutz-Programmen. Ihr Geschäft blüht, während
die «New Economy» dümpelt. An die einstige Vision, imCyberspace entstehe
ein Raum der freien geistigen Entfaltung, der Offenheit und der weltweiten
Kommunikation und Verständigung, glaubt heute kaum mehr jemand.
Emil Zopfi
Vom 21. bis zum 23. November findet in Luzern ein internationales
Information-Warfare-Symposium statt. Es wird von der Gesellschaft der
Offiziere der Luftwaffe organisiert und von in der Sicherheitstechnologie
tätigen Unternehmen gesponsert ( www.sympinfowarfare.ch).
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