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[infowar.de] Kriegsberichterstattung: Radio schlägt Fernsehen



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Frankfurter Rundschau 3.01.2002

Nichts zu sehen 

Im Jahr 2001 schlug die Stunde des Wort- und Informationsradios: Es
stach in der Terror-Berichterstattung das Fernsehen aus 

Von Eike Wenzel 

Nicht immer lässt sich der Schrecken in Bildern zeigen. Am 11. September
2001 war das anders. Die mediale Inszenierung gehörte zum Kalkül der
Terroristen. Wer allerdings geglaubt hatte, damit sei die Stunde des
Fernsehens angebrochen, wurde im Verlauf der Krise enttäuscht.
Wochenlang zeigte das Fernsehen wahlweise grün eingefärbten
Bildschirmschnee oder die Landschaften Afghanistans. Bilderrauschen im
Kanal. Wer nach Erklärungen und Zusammenhängen suchte, schaltete am
besten das Radio ein.

Klaus Kreimeier, Medienwissenschaftler an der Gesamthochschule Siegen,
geht so weit, die Flimmerkiste nicht mehr als Informationsmedium zu
begreifen: "Fernsehen ist weniger ein Medium der Berichterstattung als
eine Erregungs- und Transmissionsmaschine zwischen Weltgeschehen und
öffentlicher Aufmerksamkeit." Mit Berichterstattung im klassischen Sinne
der Publizistik habees immer weniger zu tun. In den ersten Stunden nach
den Terroranschlägenvermochte das Fernsehen die schockierenden Bilder
nicht mit Informationen zu unterfüttern. Und im Verlauf der Krise, beim
Gegenangriff der USA, scheiterte es an dem Zwang, Bilder zeigen zu
müssen, wo es aber keine gab.

Das war die Stunde des Radios. Trotz der dürftigen Nachrichtenlage war
es dank der ausführlich einvernommenen Korrespondenten schnell auf der
Höhe des Geschehens und nah beim Hörer. Die Renaissance des Wortfunks in
der Krise hat gezeigt: Radio kann selbst dort Orientierung und
Zusammenhänge stiften, wo die Nachrichtenlage unübersichtlich ist.
Ulrich Manz, Redakteur der Hintergrundsendung "Der Tag" im Hessischen
Rundfunk, erläutert das Erfolgsrezept: "Wir haben gelernt, zuzuhören und
nachzufragen. Und unsere Hörer möchten genau hinhören. Wenn das
Weltgeschehen kompliziert wird, muss man zuhören." Darin unterscheide
sich das Radio vom Fernsehen, sagt Manz: "Wer hört denn noch im
Fernsehen zu. Beim Fernsehen geht's ums Umschalten."

Kaum jemand hätte es für möglich gehalten, doch die Kolosse der
öffentlich-rechtlichen Sender zeigten sich im Krisenfall beweglich und
boten ein schnelles und vor allem verlässliches Informationsangebot. Ein
Beispiel: Nachdem die Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers
gestürzt waren, hatte die Wellenleitung bei SWR 1 schnell den Entschluss
gefasst, das planmäßige Programm zu kippen. Zuerst flog die Werbung
raus. Da die emotionale Ansprache im Hörfunk hauptsächlich über Musik
funktioniert, wurde schnell die Musik gewechselt. Ruhigere Titel wurden
gespielt, was das Publikum honorierte. "Die Hörer haben sich für die
angemessene Reaktion in langen Briefen bedankt", erzählt SWR
1-Moderatorin Petra Klein. 

Nach wie vor ist das Radio der mediale Tagesbegleiter Nummer eins. Die
Deutschen hören zwischen 6 und 18 Uhr durchschnittlich 164 Minuten
Radio. Dagegen schalten sie in der gleichen Zeit nur 26 Minuten lang den
Fernseher ein. Das Manko des treuen Tagesbegleiters Hörfunk: Er ist
aufgrund seiner Flexibilität so zur Gewohnheit geworden, dass keinem
mehr die Vorzüge des Mediums auffallen.

Als das Fernsehen in seiner Hilflosigkeit nur noch afghanische Erdhügel
abfotografierte, erhielt der gute alte Hörfunk neuen Auftrieb. Ein
Vorteil des Radios ist das billige und unkomplizierte Arbeiten.
Hörfunkkorrespondenten stellen einfach ihre Funktelefone in die Wüste
und berichten. Das Fernsehen muss erst mal umständlich den
Übertragungswagen ausladen. Ein anderer Vorteil ist die fast schon
intime Nähe des Radios zu den Hörern. Denn, so glaubt SWR 1-Moderatorin
Klein: "Im Radio kann man genau die Fragen stellen, die die Leute auch
stellen würden. Man kann direkter und spontaner sein. Im Fernsehen wird
es schnell staatsmännisch."

Um einen schnellen Informationsfluss für alle Landesfunkhäuser der ARD
zu gewährleisten, richteten die Öffentlich-Rechtlichen ein zentrales
Krisenstudio ein. In den Tagen nach dem 11. September und knapp einen
Monat später noch einmal anlässlich der US-amerikanischen Gegenschläge
in Afghanistan liefen alle Informationen zentral bei einer ARD-Anstalt
ein. Für Wolfgang Eigner, Wellenchef des Informationsprogramms Bayern 5,
war das ganz wichtig: "Auf diese Weise konnten alle Stationen schnell
reagieren und die Nachrichtenlage war einigermaßen übersichtlich."

Der Deutschlandfunk, der hier zu Lande meistgehörte Informationssender,
sendet jeden Tag zwanzig Stunden Information. Doch in der Nacht vom 11.
auf den 12. September legten auch die Wortspezialisten aus Köln eine
Sonderschicht ein. Ohne Pause informierte und analysierte der
Deutschlandfunk mit insgesamt 160 Berichten aus aller Welt. Der Hörfunk
sei für kompetente Information geeigneter als das Fernsehen, meint Ernst
Elitz, der Intendant des Deutschlandfunks: "Bilder stehen einer
schnellen und präzisen Nachrichtenvermittlung oft im Wege. Da ist das
Radio ein wesentlich mobileres und deswegen zuverlässigeres Medium." 

Daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern, prognostiziert der
Siegener Medientheoretiker Kreimeier. Im Fernsehen gehe nun mal nichts
ohne einigermaßen aussagefähige Bilder. Und auch dem Internet werde es
nicht gelingen, die intime Nähe des Radios zum Geschehen in der Welt
ebenso wie zu den Nutzern zu Hause, im Büro und unterwegs herzustellen.
Kreimeier kommt zu dem Fazit: "In diesem Punkt wird das Radio noch auf
längere Sicht unschlagbar sein, auch gegenüber dem schnellsten und
modernsten Medium, dem Internet, denn das funktioniert auf Grund seiner
Angebots- und Nutzungsstruktur ganz anders."



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