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[infowar.de] Medien im Krieg: Israel



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Frankfurter Rundschau 9.1.2002 

An der Nachrichtenfront 

David Witzthum, Anchorman des israelischen Fernsehens, über sein Medium
in Zeiten von Terror und Krieg 

Von Sebastian Engelbrecht 

Im Regieraum herrscht Aufregung. Vor einer Stunde hat sich ein
palästinensischer Selbstmordattentäter in einem Bus in die Luft
gesprengt, in der Nähe der "grünen Grenze" zwischen Westjordanland und
Israel. Das israelische Fernsehen sendet Bilder von dem zerfetzten Bus,
von den Rettungseinsätzen der Krankenwagen. Ein Israeli ist tot, einer
schwer verletzt. David Witzthum, der Wolf Lojewski des israelischen
Fernsehens, steht gelassen in der Tür zum Regieraum, das Hemd bis zum
dritten Knopf geöffnet, und erklärt, warum die Kollegen durcheinander
rufen und gestikulieren. 

Er selbst muss an diesem Abend nicht moderieren. "Es dauert bei uns
ungefähr zehn Minuten, bis wir im Studio sind", sagt Witzthum. Alles ist
für die Katastrophenmeldung vorbereitet, und da Katastrophen in Israel
nicht selten sind, könnte man sagen: Das Nachrichtenteam des ersten
öffentlichen israelischen Fernsehprogramms ist bestens eingespielt für
diesen Fall. Ein Redakteur, ein Regisseur und ein Moderator sitzen
ständig im Studio, um aus dem Stegreif mit der Sendung zu beginnen.
"Wenn etwas passiert, machen wir auf", sagt Witzthum auf Deutsch. 

David Witzthum, 53 Jahre alt, war von 1982 bis 1985 Korrespondent des
öffentlichen israelischen Hörfunks und Fernsehens in der BRD, und
spricht fließend Deutsch. Er wurde Moderator der Hauptabend-Nachrichten
um 21 Uhr im ersten Programm und damit eine Institution in Israel. Heute
präsentiert er die Abendnachrichten um 23.30 Uhr. Wenn er über seine
Arbeit redet, dann mit kritischer Distanz zu sich selbst und seinem
Arbeitgeber, der Israel Broadcasting Authority, ohne jedes "Wir-Gefühl",
das man sonst in Israel häufig trifft. Das ist nicht ganz zufällig, denn
Witzthum arbeitet auch als Dozent für Politikwissenschaft und Geschichte
an den Universitäten von Tel Aviv und Jerusalem. 

Die Nachrichtenredaktion habe es sich abgewöhnt, nach den Anschlägen
allzu brutale Bilder von herumliegenden Körperteilen zu zeigen, wie es
zum Beispiel noch 1994, nach dem Anschlag auf einen Bus der Linie 5 im
Zentrum von Tel Aviv geschah. Auch erlaube man Politikern nicht mehr,
sich in Imperatorenmanier vor das Bild der Zerstörung zu stellen und
Rache zu schwören. Der Hörfunk verzichte inzwischen auf die
sensationslüstern wirkenden Reportagen hetzender, hechelnder Reporter in
den ersten Minuten nach einer Detonation. 

Das Fernsehen beginnt die Sendungen meistens mit Interviews per
Funktelefon. Der Moderator interviewt Augenzeugen, Polizisten und
Rettungskräfte. Nach einer halben Stunde gehen in der Regel die ersten
Bilder vom Tatort über den Sender, ein erstaunliches Tempo. Aber das
Fernsehen muss schnell sein in diesem Land. Direktübertragungen und
Live-Interviews mit Studiogästen sind ohnehin, auch in weniger
aufregenden Momenten, üblich. Alles gehe viel weniger geordnet zu als im
deutschen Fernsehen. So werde während der Nachrichtensendungen oft auch
live in Pressekonferenzen, Kabinettssitzungen, Parteikonferenzen, in
Ministerien und Streikzentralen hinein geschaltet. 

Das erste Programm des israelischen Fernsehens sendet Nachrichten in den
drei offiziellen Staatssprachen, am späten Nachmittag auf Arabisch und
auf Englisch, zur Hauptsendezeit ausschließlich auf Hebräisch, um 19.30
Uhr fast eine Stunde, um 21 Uhr eine halbe Stunde und um 23.30 Uhr noch
einmal bis zu 45 Minuten. Israel ist ein nachrichtenhungriges Land.
Informiert zu sein über die Lage im Land ist hier überlebenswichtig.
Auslandsnachrichten werden von den Redaktionen deshalb an den Rand
gedrängt und auf das Nötigste beschränkt. 

Den ganzen Tag über hört man zur vollen Stunde die Zeitsignale der
Radionachrichten aus Geschäften, Wohnungen und Bussen. Abends sitzt das
Volk vorm Fernseher, in diesen Wochen umso mehr, denn vielen Israelis
ist nach den Anschlagsserien die Lust am Ausgehen vergangen - trotz des
Bekenntnisses der Hamas, man werde künftig auf Anschläge verzichten. 

Seit der Al-Aksa-Intifada der Palästinenser, die im Oktober 2000 begann
und eine Welle der Gewalt brachte, habe sich auch das Fernsehen
verändert, meint Witzthum. Überraschenderweise beobachtet er auch eine
Wende zum Besseren. 

Vorher sei es üblich gewesen, arabische Politiker als Studiogäste
einzuladen, "damit der Moderator auf sie schimpfen kann". Diese
Verständigung von Vertretern beider Seiten sei inzwischen "viel besser
geworden". Man wisse, was die Palästinenser wollen, und die
Palästinenser wüssten, was Israel will. Seit den Verhandlungen zwischen
Arafat und Barak in Camp David im Sommer 2000 sei immerhin "alles auf
dem Tisch". 

Zugleich sieht Witzthum allerdings auch negative Folgen der zweiten
Initifada für die israelischen Medien. Die israelische Gesellschaft
stehe zurzeit fast wie ein Block hinter der Politik von Premierminister
Ariel Scharon. Wer von links den Mund aufmache, gelte in der
öffentlichen Meinung rasch als "Kollaborateur der Palästinenser". Und so
sei auch sein Medium zum "Konsensfernsehen" geworden.

Man könne im öffentlichen Fernsehen nicht gegen die Mehrheitsmeinung von
80 Prozent der Bevölkerung opponieren. Auf palästinensischer Seite werde
dieser Konsens ganz anders empfunden: als "Polarisierung",
"Radikalisierung" und "Verhärtung der Fronten". 

Glücklicherweise schafft es die Militärzensur unter den gegenwärtigen
kriegsähnlichen Bedingungen nicht, ihre Informationssperren
durchzuhalten. Das dichte Netz alternativer Informationsquellen
verhindert häufig den Erfolg der Zensoren. Denn arabische
Korrespondenten und ihre Nachrichtendienste veröffentlichen schnell ihre
Version eines Geschehens, und Reporter aus dem Ausland sind in Israel so
stark vertreten wie an kaum einem Ort der Welt. 

Nicht zuletzt erschwert die Konkurrenz der israelischen Medien, zwischen
zwei großen öffentlichen Fernsehprogrammen, den zwei wichtigsten
Radio-Nachrichtensendern und drei großen Tageszeitungen jede Zensur. Auf
Äußerungen der Armee verlasse sich das israelische Fernsehen nicht, sagt
Anchorman Witzthum. Denn "die Glaubwürdigkeit der Armee ist schwach".
Ihre Informationen verbreite man nur, wenn es dazu noch eine zweite
unabhängige Quelle gebe, die die Armee-Angaben bestätige. 

Witzthums Sender könnte im kommenden Jahr übrigens möglicherweise neben
der politischen Entwicklung noch von anderen unwägbare Faktoren
erschüttert werden: Er erwartet die Gründung eines dritten privaten
großen Fernsehkanals und eines privaten Nachrichtensenders, der sich mit
CNN oder n-tv vergleichen ließe. "Das wird dramatisch", prophezeit David
Witzthum.

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