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[infowar.de] TELEPOLIS: In den Krieg mit Reality TV



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 In den Krieg mit Reality TV
 
 Florian Rötzer   25.02.2002 
 
 Wenn die Nachrichtenredaktionen nicht an die Front dürfen, springen 
die für Unterhaltung zuständigen Redaktionen ein und sorgen für die 
Bewerbung des spannenden Kriegs 
 
 Die US-Regierung und das Pentagon haben offenbar Schwierigkeiten, ihr 
militärisches Vorgehen und ihre weiteren Pläne in der Welt an die Frau 
oder den Mann zu bringen. Journalisten und damit Öffentlichkeit 
verbannt man weitgehend aus dem Kriegsschauplatz, damit vornehmlich 
keine Bilder in den Umlauf kommen, die für kritische Stimmungen sorgen 
könnten. Auch wenn das Pentagon eine PR-Firma engagiert hat und 
überhaupt an der Propaganda im Rahmen der Informationsoperationen mit 
gemischten Erfolg weiter arbeitet ( [1]Das Pentagon will für bessere 
Propaganda sorgen), so sind bereits einige Rückschläge geschehen. 
US-Fernsehsender, die Reality TV Folgen von Einsätzen in Afghanistan 
zeigen sollen, erscheinen zwar als bessere, weil von unabhängiger Seite 
produzierte Werbung, sie könnten aber auch nach hinten losgehen 
 
 Die [2]Veröffentlichung der Bilder von den Häftlingen in Kuba durch 
das Verteidigungsministerium darf man wohl kaum als gelungenen 
Propagandacoup werten. Möglicherweise aber diente dies auch - wer weiß 
das schon? - dazu, die Regierung zu einer Entscheidung über die 
Behandlung der Gefangenen zu bringen. Die blieb allerdings in der 
Schwebe, festlegen will man sich nicht, um freie Hand zu behalten. Ob 
das Durchsickern der Informationen über die zu Beginn des Krieges 
gegründete Abteilung für strategische Informationen glücklich war ( 
[3]Rumsfeld: Pentagon lügt nicht), darf ebenso bezweifelt werden wie 
das Bekanntwerden von manchen Fehlleistungen des Militärs. Dass 
ausgerechnet bei einem Vorfall Mitglieder der Nordallianz erschossen 
und andere womöglich ziemlich unsanft behandelt wurden, ist ebenso 
peinlich wie die zweifelhaften Tötungsangriffe mit bewaffneten Drohnen, 
bei denen zunächst immer hohe al-Qaida-Mitglieder, wenn nicht gleich 
Mullah Omar oder Bin Ladin erlegt worden sein sollen, es sich dann aber 
vielleicht nur um Plünderer oder ganz Unbeteiligte handelte ( 
[4]Ferngesteuerte Waffensysteme senken die Angriffsschwelle). In einem 
Land wie Afghanistan, in dem viele bewaffnet sind und uneindeutige, 
schnell wechselnde Fronten verlaufen, ist ein eindeutiges Feindbild für 
die Präzisionswaffen und verdeckt operierenden Spezialtrupps 
wahrscheinlich tatsächlich schwer zu bilden, aber verdeckte Aktionen 
und ferngesteuerte Waffensysteme laden zu Missbrauch geradezu ein. 
 
 Bei den neuen "low intensity conflicts" handelt es sich nicht mehr um 
die Massenkriege der früheren Zeiten, bei denen es auch bei der 
siegreichen Partei meist große Verluste gab. Kriege, die fern der 
Heimat und dank der Telekommunikationsverbindungen von einem Tausende 
von Kilometern entfernten Hauptquartier geführt werden können, 
ersticken den Pathos in der Technik. Doch Erfolge brauchen Bilder - von 
besiegten Gegnern, gefangenen Bösewichtern, Menschenmassen, die die 
Befreier bejubeln, glorreichen Einmärschen in Städte, Todesmut und auch 
Bedrohung. Kaum etwas davon war in Afghanistan zu sehen, der 
asymmetrisch geführte Krieg glich schon eher der Vernichtung von 
Ungeziefer. Überdies arbeiteten die am Boden operierenden 
Spezialeinheiten verdeckt, Journalisten waren nicht zugelassen. Da 
nähern sich "Arbeitsweisen" des Militärs und von Terroristen einander 
an, um sich der Verantwortung zu entziehen und unvermittelt zuschlagen 
zu können. 
 
 Aber mit dem strategischen Aufstieg der Spezialeinheiten 
individualisiert sich der Krieg, wird er auch wieder bilderfreundlich, 
weil es im Prinzip einzelne "Helden" geben kann, die kenntlich werden 
und nicht in der Masse verschwinden, auch wenn sie über alle modernen 
technischen Informations- und Kommunikationsmittel sowie die neuesten 
Waffen verfügen. 
 
 Das Verteidigungsministerium sprach denn auch davon, dass in diesem 
Krieg die neueste Hightech mit der Verwendung von herkömmlichen Waffen 
und Mitteln wie Pferden, Schwertern und Pistolen zusammen ging. 
Amerikanische Soldaten von Spezialeinheiten haben, so Rumsfeld, beim 
Angriff auf die nordafghanische Stadt Masar-e Scharif mit Kämpfern der 
Nordallianz zusammen gearbeitet. Die US-Soldaten seien wie die Afghanen 
auf Pferden geritten und hätten den Piloten genaue Angaben machen 
können, welche Stellungen sie mit Präzisionsbomben zerstören sollten. 
Der Sieg in der Schlacht sei einer Kombination aus dem 
"Einfallsreichtum der US-Spezialeinheiten, den neuesten 
Präzisionswaffen im US-Arsenal ... und der Tapferkeit der beherzten 
afghanischen Kämpfer auf dem Pferderücken" zu verdanken. Diese Mischung 
aus Kavallerie und Hightech-Waffen, bei der das 19. Jahrhundert auf das 
21. Jahrhundert gestoßen sei, könne eine Vorstellung darüber gehen, wie 
sich das Militär in Zukunft verändern müsse ( [5]Rechtzeitiger Angriff 
ist manchmal die beste Verteidigung). Natürlich kommen einem da Filme 
wie Rambo oder James Bond in den Sinn, aber die von Rumsfeld 
militärromantisch geschilderte Revolution in der Kriegsführung kann 
auch direkt an den Kult der Westernhelden anschließen, die einsam oder 
zu wenigen gegen das Böse kämpfen. Die in vielen Hollywoodfilmen 
dargestellte und in die Köpfe eingeprägte Dramaturgie des auf sich 
selbst gestellten guten Helden, der zur Not auch gegen die gesamte Welt 
das Böse jagt und schließlich mit Waffengewalt besiegt, ließ sich kaum 
auf die modernen Kriege übertragen, sehr viel besser aber schon wieder 
auf den neuen Krieg, der mit Spezialeinheiten geführt wird. 
 
 Letzte Woche wurde bekannt, dass ABC für eine 13-teilige Reality TV 
Serie "Profiles From the Front Line" amerikanische Truppen in 
Afghanistan begleitet. Überdies ist geplant - und ebenfalls vom 
Pentagon genehmigt worden -, dass der Musikkanal VH1 eine Reihe von 
gefilmten "Tagebüchern" zeigen wird. Für das "Military Diaries Project" 
sollen an 60 Soldaten Digitalkameras ausgegeben werden, um "die 
Geschichte zu erzählen, wie das Leben eines jungen Mannes oder einer 
jungen Frau in den Streitkräften derzeit aussieht", so der Produzent R. 
J. Cutler. Damit auch das Interesse der Zuschauer wach bleibt, sollen 
die Selbstdarsteller sich gut artikulieren können, einen Sinn für Humor 
besitzen und natürlich gute Soldaten sein. Das Pentagon hat in beiden 
Fällen aufgrund des Schutzes der nationalen Sicherheit das Recht, sich 
das Ergebnis vor dem Senden anzusehen, die Produzenten betonen aber, 
dass die inhaltliche Kontrolle bei ihnen bliebe. Zu offensichtlich darf 
die Werbung für das Pentagon schließlich nicht sein, da dies weder dem 
Verteidigungsministerium noch den Sendern dienen würde, gleichwohl wird 
es sich um eine gereinigte Realität handeln, in der nur enthalten ist, 
was den eigenen Interessen dient und das Handeln der Soldaten 
glorifiziert. 
 
 Die Idee des Reality TV Projekts, solche kleinen Gruppen von Soldaten 
im Einsatz von einem Fernsehteam begleiten zu lassen, kann daher dem 
Pentagon nur Recht sein, wenn er denn die Möglichkeit der Kontrolle 
besitzt, um unerwünschte Szenen zu zensieren. Schon die Perspektive, 
den Einsatz aus der Sicht der Spezialeinheit und nicht der Gegner zu 
drehen, dürfte wohl in den USA zur erwünschten Identifizierung mit den 
Soldaten führen, die die Bösen jagen oder von diesen bedroht werden. 
 
 Die ABC Reality TV Serie wird von Bertram van Munster, der bislang 
ähnliche Erfahrung mit Polizei-Einsätzen gesammelt hat, und Jerry 
Bruckheimer produziert, der gerade eben seine schon prä-11.9. 
patriotische Gesinnung mit dem zuerst verschobenen und dann doch wegen 
nationaler Eignung passendem Film "Black Hawk Down" oder "Pearl Harbor" 
demonstriert hat ( [6]Retuschierung im 35mm Format). Solche Männer 
braucht das Land derzeit, um die "mitreißenden persönlichen Stories von 
Frauen und Männern des US-Militärs" zu erzählen, die, wie ABC schreibt, 
"die Last dieser Kämpfe tragen". Munster [7]freut sich denn auch, dass 
sowohl Vizepräsident Cheney als auch Verteidigungsminister von dem 
Projekt angetan sind. Das verlangt natürlich gegenseitige Anerkennung, 
weswegen auf Kritik auch verzichtet wird: "Obviously we're going to 
have a pro-military, pro-American stance. We're not going to 
criticize." Und Munster lässt sich die Chance auch nicht entgehen, die 
Illusion des Reality TV noch einmal zu bewerben: "Wir haben den Zugang 
zu allem eröffnet erhalten, und wir können uns diese Chance nicht 
entgehen lassen. Wir werden die Zuschauer zu den wirklichen Männern und 
Frauen, zu den Helden brigen, die den Krieg gegen den Terror kämpfen." 
Da wäscht wie so oft eine Hand die andere. 
 
 Wenn schon nicht die Journalisten mit an die Front dürfen, so dürfen 
also jetzt die zumindest die Unterhaltungsabteilungen den Stoff für 
"enduring freedom" liefern. Man muss ja nicht unbedingt Informationen 
an die Bürger des eigenen Landes über die Nachrichtenredaktionen 
liefern, sagte beispielsweise Admiral Craig Quigley, der Sprecher des 
Hauptkommandos, das den Militäreinsatz in Afghanistan leitet. Das sei 
zwar das primäre Medien, "aber wenn es eine Möglichkeit gibt, den Mut 
und den Professionalismus unserer Männer und Frauen in Uniform zur 
Hauptsendezeit 13 Wochen lang darzustellen, dann werden wir diese 
nutzen. Das ist eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen kann." 
Der Admiral beteuert aber, dass die Kamerateams in guter Form sein 
müssten, um die Einsätze im ganzen Land begleiten zu können. 
 
 Reality TV ist derzeit zwar nicht mehr besonders begehrt, doch bei dem 
Abenteuer, in dem sich dis US-Amerikaner unter der gegenwärtigen 
Regierung stürzen, dürfte ein unterhaltsamer Blick in das abenteurliche 
Leben da draußen für die Zuhause Gebliebenen möglicherweise nicht 
uninteressant sein und vielleicht auch einen neuen Kitzel auslösen, 
wenn denn etwas geboten wird. Es wird also neben dem Schneiden von 
unerwünschten und langweiligen Szenen schon wie üblich kräftig 
mitinszeniert werden müssen, um zumindest die patriotische Stimmung mit 
einer gewissen Erregung zu unterlegen. 
 
 Vielleicht aber erwachen auch die amerikanischen Nachrichtenmedien 
noch mehr aus ihrem regierungstreuen Dornröschenschlaf, wenn jetzt die 
Konkurrenz von der Unterhaltung einen direkten Zugang zu den 
Geschehnissen an der Front erhalten sollte, der ihnen stets verweigert 
wurde. Und so könnte auch diese indirekte PR-Maßnahme des Pentagon 
letztendlich nach hinten losgehen. 
 
 Links 
 
 [1] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/11882/1.html
 [2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11621/1.html
 [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/11895/1.html
 [4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/11821/1.html
 [5] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11728/1.html
 [6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/kino/11623/1.html
 [7] 
http://www.cnn.com/2002/SHOWBIZ/TV/02/20/television.battlefront.reut/
 
 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/auf/11929/1.html 
 
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