Suche innerhalb des Archivs / Search the Archive All words Any words

[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[infowar.de] die Lage der deutschen High-Tech-Rüstung: Alle jammern



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
-------------------------------------------------------------

Titelstory des Berliner Tagesspiegel von heute. Naja, kein Wunder -
BMVg-Staatssekretär Walther Stützle war vorher Tsp.-Herausgeber.
RB

Tagesspiegel, 2.03.2002 

Rüstung 

Abhängig vom Auftrag 
                                               
Rüstungstechnisch sind die USA Europa weit überlegen - sagen viele
Experten. Aber so allgemein stimmt das gar nicht. In vielen Bereichen
ist Deutschland führend. Der Bundeswehr hilft das wenig: Sie hat viele
Aufgaben, aber zu wenig modernes Gerät. Es fehlt das Geld. 
                                               
Christoph von Marschall 
                                               
Das Computerprogramm zaubert die Karte der Küste vor Abu Dhabi auf den
Bildschirm. In der Simulation werden zwei gegnerische Ziele von einem
Nato-Schiff, das zwischen den Hafenanlagen in Deckung liegt, bekämpft:
das eine gut 30 Kilometer nördlich, das andere 20 Kilometer südwestlich.
Außerdem braucht das Kommando mehr Informationen über weitere suspekte
Objekte im Umkreis, will aber nicht eigene Piloten durch Luftangriffe
oder Aufklärungsflüge in Gefahr bringen.

In solchen Situationen werden Hightech-Waffen gebraucht - wie der in
Deutschland entwickelte Lenkflugkörper "Polyphem", der mit einer
schwenkbaren Infrarot-Kamera ausgestattet ist und 60 Kilometer
Reichweite hat; per Glasfaserkabel leitet er alle Bilder im Flug an das
Einsatzkommando und lässt sich bis zum Ziel punktgenau steuern - ein
irrtümlicher Angriff kann abgebrochen werden.

"Ein hochmodernes Waffensystem, das in dieser Reichweite nicht einmal
die USA haben", gibt man sich bei der LFK-Lenkflugkörpersysteme GmbH auf
dem früheren Siemens-Gelände in Unterschleißheim bei München stolz.

Aber Moment mal! Klagen die Verteidigungsexperten nicht seit dem Kosovo-
und dem Afghanistan-Krieg über den "technology gap" - Europa liege in
der modernen Wehrtechnik mit weitem Abstand hinter den USA? So pauschal
stimme das nicht, sagt Thomas Enders, Vorstandsmitglied des europäischen
Rüstungskonzerns EADS, zu dem sich im Juli 2000 die DaimlerChrysler
Aerospace AG, die französische Aerospatiale Matra und die spanische Casa
zusammengeschlossen haben, weil sie allein auf sich gestellt keine
Überlebenschance mehr sahen.

"In vielen Schlüsseltechnologien der zukünftigen Verteidigung liegt
Amerika weit vor uns", muss Enders einräumen. "Aber auch Europa hat
einiges zu bieten." Nicht nur den zivilen Airbus - und demnächst auch
den militärischen. Bei Helikoptern ist Europa "die Nummer eins im
zivilen US-Markt" und hat eine Laser-Technik entwickelt, die
Hochspannungsleitungen für Hubschrauber-Piloten sichtbar macht.
Konkurrenzfähig sei Europa auch bei Spezialflugzeugen zum Auftanken von
Kampfjets in der Luft.

Doch mit der heute noch vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit Europas und
speziell Deutschlands in Teilbereichen könnte es bald ganz vorbei sein,
fürchtet Enders. EADS lebt zwar zu 80 Prozent von zivilen Verkäufen, ist
aber in den forschungsintensiven Militärsparten auf Aufträge des
Verteidigungsministeriums angewiesen. Die aber bleiben aus. Der Wehretat
wurde bei 23,6 Milliarden Euro gedeckelt, die Personalkosten der Armee
fressen 53 Prozent davon auf - Tendenz steigend. Nach Abzug der Ausgaben
für Betrieb und Erhalt bleiben 3,3 Milliarden jährlich für Beschaffung,
Tendenz sinkend: "Jede Lohnrunde kostet eine halbe Milliarde, die werden
an den Investitionen in modernes Gerät gespart", rechnet man bei der
EADS.

Die Pleite drohte

Im Fall des Lenkflugkörpers "Polyphem" bedeutet das: Die LFK hat zig
Millionen Mark Entwicklungskosten vorgestreckt - im Glauben, dass die
Marine kauft. So steht es in der Bewaffnungsplanung für die neuen
Korvetten. Die Schiffe sind bestellt, die Bewaffnung aus Geldmangel
nicht. Die LFK wäre pleite, wenn die EADS-Gesellschafter nicht frisches
Kapital nachgeschossen hätten. Ähnlich beim Waffensystem "Taurus", einer
Art "Cruise Missile", mit der die Tornados und Eurofighter ausgestattet
werden sollen. Der Auftrag von 550 Millionen Euro sollte Ende 2001 durch
den Haushaltsausschuss, doch bisher hat das Verteidigungsministerium die
Beschlussvorlagen nicht weitergeleitet.

"Wir sind in der Lage eines Bauern, der seine Saatkartoffeln verspeist",
beschreibt Enders die Lage angesichts dramatisch schrumpfender Budgets
für Forschung und Entwicklung in Berlin. Und befürchtet, bald weitere
Abteilungen schließen zu müssen - und das heute noch vorhandene Know-how
für Militär-Hightech zu verlieren.

Seit 1989 ist die Zahl der Beschäftigten in der deutschen
Rüstungsindustrie von rund 280 000 auf unter 90 000 gesunken, legt das
Verteidigungsministerium im jüngsten Bericht des Parlamentarischen
Staatssekretärs Walter Kolbow über die Rüstungsindustrie an den
Verteidigungsausschuss dar und stellt dann fest: In den
sicherheitsrelevanten Bereichen sei der "Know-how-Erhalt gefährdet". Der
Bericht empfiehlt eine Ausweitung der Rüstungsexporte - was eine
Kehrtwende der restriktiven rot-grünen Politik bedeuten würde. Und räumt
ein, die Exportchancen hingen auch davon ab, dass erstmal die nationale
Armee die Waffen bestelle.

---------------------------------------------------------------
Liste verlassen: 
Mail an infowar -
 de-request -!
- infopeace -
 de mit "unsubscribe" im Text.