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[infowar.de] tp über die HSFK-Veranstaltung zu Demokratie, Krieg und Medien
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/12472/1.html
Wenn der Kaugummi zum Zensurgrund wird
Stefan Krempl 05.05.2002
Die Pressefreiheit ist vor allem im Krieg in Gefahr, gerät in Zeiten
des Kampfes gegen den "allgegenwärtigen" Terrorismus aber generell
unter Druck
Kriege sind Medienereignisse, Phasen erhöhter Aufmerksamkeit. Die
Medien profitieren vom Krieg, denn Gewalt bringt Quote. Bad news are
good news, wie es früher mal hieß. Doch die Kriegsberichterstattung
hinterlässt bei vielen Mediennutzern - den TV-Zuschauern vor allem -
einen faden Beigeschmack, weil die Konstruktion der Nachrichten
angesichts der militärischen Medienzensur besonders deutlich wird. Eine
Tagung der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
erforschte am [1]Welttag der Pressefreiheit den Zusammenhang zwischen
Demokratie, Krieg und Medien und förderte dabei Einblicke in
strukturelle Zensurzusammenhänge zutage. Die gibt es nicht nur in
Zentralasien, sondern auch mitten in Europa und verstärkt in den USA.
Freimut Duve ist ein Interventionist. Der [2]Medienbeauftragte der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) darf
aus seinem Mandat heraus, das die 54 Mitgliedsstaaten 1998 nach zähem
Ringen begründeten, die Fahne der Pressefreiheit stärker schwingen, als
es seine Kollegen bei anderen Regierungsorganisationen wie der UNO
nicht einmal zu träumen wagen. So besucht er die Zensurbüros in Staaten
wie Usbekistan und wettert dagegen an, dass dort wie vor 50 Jahren
"jede Zeile in der Zeitung abgehakt wird".
Kurz darauf erhält der weißhaarige Watchdog eine Einladung ins unweite
Kasachstan - zur Besichtigung der dort rasch aufgegebenen
Ex-Zensurbüros. Doch der gute Wille des nach außen als Demokratie
auftretenden Staats kann den alten Sozialdemokraten nicht davon
abbringen, gegen die dort stattfindende Form der "Privatisierung" der
Medien Stellung zu beziehen. Denn geht alles mit demokratischen Dingen
zu, wenn der kasachstanische Gouverneur die wichtigsten Medien des
Landes an seine Frau für 200 Euro verkauft und die ehemaligen
Staatsbetriebe gleichzeitig in eine steuer- und zollfreie Zone
auslagert?
Zuständig ist der in Wien stationierte Mittsechziger vor allem für die
"Transformationsstaaten", die Nationen auf dem Balkan etwa oder Länder
der ehemaligen Sowjetunion. Für die postkommunistischen Staaten hat er
den Begriff der "strukturellen Zensur" geprägt. Ihre Regierungen nutzen
die bestehenden alten Verwaltungskader zur indirekten Zensur der
Medien. So wird beispielsweise die Feuerpolizei in missliebige
Redaktionen geschickt, die deren Räume plötzlich die nächsten 14 Tagen
untersuchen müssen. Oder die Mieten für die Bürogebäude, die sich meist
noch in öffentlicher Hand befinden, werden rasch mal um eine Null vor
dem Koma erhöht.
Schlimmer sei nur noch die "Zensur durch Mord" an Journalisten. Den
weltweiten Spitzenplatz in dieser Disziplin belege seit 50 Jahren
Kolumbien. Doch eine "Gefahr der Kolumbianisierung" sieht Duve auch in
einer Reihe (ex-)russischer Provinzen. In der Ukraine etwa sei eine dem
Tod geweihte Journalistin, die sich mit dem korrupten Regime angelegt
habe, vielleicht nur durch eine von der OSZE geförderte Medientour
durch die westlichen Metropolen ihrem "Schicksal" bisher entgangen.
Warum in die Ferne schweifen, wenn Berlusconi doch so nah
Doch Duve, dessen Herzenskind die Jugendliche in schwelenden
Krisenregionen zu offenen Diskussionen unters Zirkuszelt holende und
Internet-Cafés zurücklassende Projektreihe "Verteidigung der Zukunft"
ist, legt sich auch mit Regierungschefs an, die seinem Amtssitz und der
Demokratie näher liegen: "Die OSZE" - und damit meint er in diesem Fall
sich selbst - "ist die einzige EU-Institution, die seit dem Frühjahr
Berlusconi kritisiert, weil in Italien die Verfassungsorgane mit Füßen
getreten werden."
Dass der römische Regierungschef "etwas mehr als 90 Prozent des
italienischen Fernsehens kontrolliert", ist für den ehemaligen
Bundestagsabgeordneten ein unhaltbarer Zustand. Gar nicht einmal wegen
der Selbstbeweihräucherung in den eigenen Medien, sondern vielmehr
wegen der "Schweigezone", die erzeugt werde. Denn jenseits der Alpen
sieht Duve das "neugierige journalistische Alltagsgeschäft" gefährdet,
das mal hinter die Kulissen der Verwaltung schaue und so der Korruption
zumindest mit Zufallstreffern das Leben schwer mache.
Der Blick in die USA und damit in ein Land, das sich dafür rühmt, die
Pressefreiheit erfunden zu haben, zeigt weitere, wenn auch teilweise
sublimere Formen der Zensur. Jenseits des Atlantiks ist der
Kriegsgegner seit dem 11. September "der Terrorismus". So kommt es noch
stärker als in Waffengängen mit einem klar gekennzeichneten Feind zu
einem Zwei-Frontenkrieg: Einem unsichtbaren gegen die terroristischen
Netzwerke, bei dem Geheimdienstoperationen immer wichtiger werden, und
einem sichtbaren, inszenierten Schaugefecht für die heimischen
Zuschauer und Leser.
Selbstzensur in den USA
Die militärischen Versuche, etwa die Berichterstattung über die
Luftschläge gegen die Taliban in Afghanistan direkt zu steuern und über
eine Heerschar von Presse-Offizieren die Mär vom unblutigen Krieg zu
verbreiten, ist längst in eine offene Selbstzensur der amerikanischen
Medien umgeschlagen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und
seinen Informationsgenerälen ist es vortrefflich gelungen, den Appell
an das amerikanische Nationalgefühl mit dem medialen Agenda-Setting zu
verknüpfen.
Der Afghanistan-Krieg wurde so zu einer Auseinandersetzung, in der
höchstens der arabische TV-Sender Al Dschasira verhinderte, dass
ausschließlich Informationen aus zweiter Hand von Militärs an die in
der pakistanischen Hauptstadt Islamabad auf Bilder und News wartenden
Reporter gereicht wurden. Doch schon ein "Dokument der Zeitgeschichte",
wie [3]Astrid Frohloff, Nachrichtenredakteurin bei Sat.1, die
umstrittene Video-Botschaft bin Ladins nennt, schaffte es nicht oder
nur für wenige Sekunden auf die amerikanischen TV-Bildschirme. Seitdem
findet die in den USA in akademischen Kreisen durchaus geführte
Intellektuellendebatte über den Krieg gegen die "Achse des Bösen" in
den Medien de facto nicht statt. Sie wird in englischen und deutschen
Feuilletons geführt. Wozu braucht es da noch ein eigenes "Office of
Strategic Influence", das die öffentliche Meinung noch stärker
Pentagon-gerecht aufbereitet ( [4]Aus für die Propaganda-Abteilung des
Pentagon)? Es ist längst nicht mehr so, dass nur in Zentralasien "jede
kritische Stimme eine terroristische Stimme ist", wie Freimut Duve
sagt.
Die Herausforderung, im Spannungsfeld zwischen militärischen
Interessen und einem öffentlichen, von der Verfassung geschützten und
geforderten Auftrag in Krisensituationen möglichst objektiv zu
berichten, sind seit dem 11. September jedenfalls größer geworden,
erklärt Frohloff. Dabei kann die TV-Journalistin, die vor der Übernahme
der "18:30-Hauptnachrichten" in Sat.1 auch "im Feld" recherchierte,
seit ihren Auslandseinsätzen im Nahen Osten ein Lied von der
militärischen Konstruktion von Wirklichkeit während kriegerischen
Konflikten singen. Während der Krise um die UNO-Waffeninspekteure im
Irak rund um den Jahreswechsel 1997/98 berichtete die 39-jährige
Journalistin aus Bagdad - beziehungsweise versuchte, vom Krisenherd zu
berichten.
Es ist verdammt schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht
kennt.
Peter Esterházy, ungarischer Bestseller-Autor
"Alle westlichen Journalisten standen unter der Obhut des
Informationsministeriums", erinnert sich Frohloff an die
allgegenwärtige Beeinflussung der an die Heimatredaktionen überspielten
Bilder und Töne. "Ein Begleiter ließ uns die gesamten 14 Tage nicht aus
den Augen, lieferte jeden Abend einen schriftlichen Bericht ab. Jeder
Schritt außerhalb des Hotels wurde observiert. Interviews gab es nur
nach Genehmigung." Die Gespräche seien unterbrochen, der Schnitt sei
begleitet und auch der Text verfolgt worden. "Das waren sehr gut
ausgebildete mehrsprachige Leute." Eine heimliche Kontaktaufnahme zu
Informanten sei nicht möglich gewesen, da eine solche auch für diese zu
gefährlich gewesen wäre.
Strenge Zensurauflagen überall im Nahen Osten
Eine derartige Gängelung ist Frohloff zufolge aber keineswegs nur für
den Irak typisch. Auch der andauernde Konflikt zwischen Israel und
Palästina habe erneut gezeigt, wie überall in Nahost die
journalistische Arbeit behindert werde. 95 durch Schüsse verletzte und
einen toten Berichterstatter weise die Statistik der Organisation
[5]Reporter ohne Grenzen bisher aus - während Israel weiter behaupte,
dass die Presse ohne Auflagen ihrer Arbeit nachgehen könne. Enge
Grenzen zieht das israelische Militär aber gleichzeitig auch in
Friedenszeiten, wenn es um seine eigenen Belange geht. So durfte
Frohloff den Großteil eines Interviews mit einer jungen israelischen
Soldatin für ein Feature über Frauen in der Armee nicht verwenden, weil
die Dame Kaugummi kaute, was den Zensoren nicht gefiel.
Wozu dann aber noch die kostspieligen Ausflüge in die Wüste, wo doch
die großen Bildagenturen AP und Reuters rund um die Uhr ihre "Flashes"
aus Zentren erhöhter Aufmerksamkeit im Sekundentakt um die Welt jagen?
Mehr als ein Anhängsel sind gerade deutsche, über eher beschränkte
Mittel verfügende TV-Sender im Ausland eh nicht, da sie auf die
Logistik und die technischen Überspielungsmöglichkeiten der Großen
angewiesen sind, meint Frohloff.
Trotzdem sei es wichtig, vor Ort zu sein, "allein um selbst gedrehtes
Bildmaterial zu bekommen". Denn der Druck, aktuelle und eigene Bilder
den Zuschauern zur Verfügung zu stellen und "als erster auf Sendung zu
sein", sei gerade im Internet-Zeitalter enorm gewachsen. Und manchmal
sei es in einer ruhigen Minute sogar möglich gewesen, das Aufgenommene
"so", also ohne End-Zensur, nach Berlin zu überspielen. Für unbedingt
erforderlich hält es die Nachrichtenredakteurin allerdings, bei den
letztlich gesendeten Berichten immer die Quellen der einzelnen
Bildbeiträge zu nennen und den "einseitigen Informationsfluss" zu
thematisieren.
Es ist nicht möglich, ein authentisches, wahres Bild von der
Realität zu liefern, schon gar nicht in Kriegszeiten.
Astrid Frohloff, Moderatorin der 18:30-Nachrichten bei Sat.1
Was also bleibt von der Pressefreiheit, die von Politikern wie dem
Chef der Hessischen Staatskanzlei, Jochen Riebel, doch nach wie vor als
"eine der größten Errungenschaften der Demokratie" gefeiert wird? Wie
lässt sich der Mantel der Verschwiegenheit lüften, der sich mit der
(Wieder-) Entdeckung der sanften, strukturellen und offenen Zensur
immer weiter ausbreitet? Verwandeln sich die Medien in Zukunft vom
Wachhund zum Schoßhund, oder sind sie doch schon immer der eigentliche
Kampfhund, der Konflikte gar noch anstachelt?
Auf der Berliner Konferenz zu Demokratie, Krieg und Medien waren sich
Freimut Duve und Harald Müller, geschäftsführender Vorstand der
[6]Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung jedenfalls
einig, dass über das Beginnen, Führen und Verarbeiten von Krieg noch
viel mehr als bisher "breite Diskurse" unter Einschluss
gesellschaftlich geachteter Akteure geführt werden müssen. Die
Wirksamkeit der öffentlichen Debatte sei nicht zu unterschätzen, sagte
Duve. "Sie hat mindestens ein so starkes Gewicht wie jeder
Regierungsfederstrich."
Links
[1] http://portal.unesco.org/ci/ev.php?URL_ID=1204&URL_DO=DO_TOPIC
[2] http://www.osce.org/news/generate.php3?news_id=2433
[3] http://www.dem.de/entertainment/stars/a/astrid_frohloff_p1.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/11952/1.html
[5] http://www.reporter-ohne-grenzen.de/
[6] http://www.hsfk.de/
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