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[infowar.de] Im Berner Oberland wird der Cyberspace zum Aufmarschgebiet für Panzerverbände



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Der Feind kommt mit 350 Gigabits

Im Berner Oberland wird der Cyberspace zum Aufmarschgebiet für
Panzerverbände

Um ungestört mit ihren Panzern herumfahren zu können, hat sich die
Schweizer Armee ein Stück von Franken gekauft. Es sind
900Quadratkilometer Hügellandschaft in der Nähe von Würzburg, und ganz
gegen die Gepflogenheiten im Immobiliengeschäft sind die Käufer damit
umgezogen ? in einen Computerspeicher im Berner Oberland. Auf dem
Waffenplatz Thun erproben nun Offiziere und Mannschaftsgrade den Krieg
der Zukunft, im virtuellen Frankenland. Ganze Bataillone üben auf acht
Panzer attrappen und in einem Kontrollraum, wie die Zusammenarbeit im
Ernstfall klappt. 100 Millionen Franken (69 Millionen Euro) hat das
Militär ins Erdgeschoss des Gebäudes Q2 gesteckt, in eine
Super-Spielkonsole für die Landesverteidigung.

Der Brückenschlag zu Computerspielen ist gewollt. ?Das ganze Projekt ist
eine Gratwanderung zwischen Spiel und Ernsthaftigkeit?, sagt Thomas
Schumacher, Oberst im Generalstab. ?Der Spieltrieb soll unserem Zweck
nützen.? Wie in einer Spielhalle sind die ersten acht Panzerattrappen
(Militärjargon: ?Kampfräume?) Tür an Tür schalldicht gereiht. Bis zum
Jahr 2006 sollen zehn weitere folgen. Im Inneren nimmt jeweils eine
ganze Panzerbesatzung an Kontrollhebeln und Instrumenten Platz, wie sie
auch im echten ?Leopard?zu finden sind.

Basstöne in der Attrappe

Dort erleben sie, was sie auch bei einem realen Manöver erleben würden.
360-Grad-Panorama-Leinwände zeigen die Landschaft sowie gegnerische und
eigene Panzer. Ein Geräuschcomputer erzeugt den für die jeweiligen
Waffensysteme typischen Gefechtslärm. Vibrierende Basstöne simulieren
die röhrenden Panzermotoren. Das typische Rumpeln und Schütteln der
Stahlgefährte fehlt zwar, aber nicht der militärische Tonfall: In der
nachgebildeten deutschen Landschaft, die die Schweizer von der
Bundeswehr erworben haben, sei ?ein Ort zu säubern?, befiehlt
Oberstleutnant Serge Krasnobaieff.

Acht vernetzte Spezialrechner der US-Firma Silicon Graphics verknüpfen
die Panzerattrappen miteinander ? und spielen den jeweiligen Gegner.
Datenströme von bis zu 350 Gigabits pro Sekunde fließen in dem nach
außen abgeriegelten Netz. Riesige Datenspeicher zeichnen bis zu fünf
Stunden des Kampfgeschehens zur späteren Analyse auf, darunter den
gesamten Sprechverkehr. Doch trotz der Rechenleistung bleiben die
Grafiken kantig, unbeholfen und langweilig.

Darum freilich geht es der Schweizer Armee auch gar nicht: Die so
genannten Beübten, Panzerbesatzungen und ihre Offiziere, sollen nicht
lernen, zu schießen und zu fahren, sondern wie sie sich bei
koordinierten Einsätzen und taktischen Manövern gegen einen
intelligenten Feind verhalten. Da muss zum Beispiel jede Crew lernen,
was sie macht, wenn sie allein in Schwierigkeiten gerät und ihren Platz
in der Formation verliert, und jeder Kommandeur muss erkennen, wie er
seine Panzer dann umgruppiert . Die Grundidee ist: ?Kriege gewinnen
Armeen, nicht einsame Helden?, sagt Krasnobaieff. Ballern ist darum in
Thun verpönt; die Zielgenauigkeit wird nicht einmal exakt protokolliert.
?Es geht nicht darum, den Punkterekord zu brechen?, sagt der
Oberstleutnant. Trainiert wird abgestimmtes Verhalten in einem
Kampfverbund: vernetzte Soldaten, Armee, Satelliten. ?Wir üben taktische
Teamarbeit.?

Doch das im nüchternen Militärdeutsch ?Elektronischer Taktiksimulator
für die mechanisierten Formationen? (Eltam) genannte Computernetzwerk
hat Schwachpunkte. Es ignoriert menschliches Verhalten unter Panik ?
Angst kommt angesichts kantiger Bilder nicht auf. Zudem zeigt die Anlage
die Grenzen der Technik: Für komplexe Schlachten aller Verbände, zum
Beispiel mit angreifenden Kampfpiloten in Flugsimulatoren, reicht die
Rechenleistung bei weitem nicht: ?Kampfflieger brauchen ein weit
größeres Gelände?, sagt Oberst Schuhmacher, ?das überfordert die
Technik.?

Noch. Schon hat ein Rüstungswettlauf um mehr Rechenkapazität begonnen.
Auch die Amerikaner haben soeben ein großes, teilweise virtuelles
Manöver gestartet. Manche Beobachter erfüllt das bei aller Begeisterung
für die Technik mit Sorge. ?Militärisch genutzte Simulatoren sind das
moderne Nintendo-Training für den modernen Nintendo-Krieg?, sagt etwa
der amerikanische Sciencefiction- Autor Bruce Sterling. ?Mit Sicherheit
wird die virtuelle Realität den Leuten helfen, sich gegenseitig
umzubringen.? Denn der Tod auf dem Schlachtfeld bleibt real.

Sven Scheffler

Süddeutsche Zeitung
Dienstag, 6.8.2002
http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel493.php


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