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[infowar.de] Krieg als Massenkultur (neues Buch)



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13059/1.html

    Krieg als Massenkultur
    Interview mit Tom Holert und Mark Terkessidis =FCber ihr neues Buch
    "Entsichert"

    Krystian Woznicki, Telepolis, 24.08.2002

    In ihrem Buch "Entsichert" haben sich die K=F6lner Kulturwissenschaftler
Tom Holert und Mark Terkessdis auf ganz besondere Art und Weise dem
Military-Entertainment Complex angenommen. Ihre These ist, dass der
Neoliberalismus die Grundlage der Verschr=E4nkung der Unterhaltungs- mit
der R=FCstungsindustrie ist und zu einer Militarisierung der Gesellschaft
f=FChrt. Die kriegerische Konsumkultur und mentale Aufr=FCstung zeigen sich
f=FCr sie etwa in der Rede =FCber "Ehekriege" und "Killerkids",
"Produktoffensiven" und "feindlichen =DCbernahmen".

    Krystian Woznicki: Eure Theorie des massenkulturellen
Krieges geht auf den Befund zur=FCck, dass der Neoliberalismus unseren
gesellschaftlichen Alltag in jeglicher Hinsicht regelt. Ihr schreibt:
"Flexibilit=E4t, Effizienz, Mobilit=E4t oder Selbstverwirklichung erweisen
sich als zutiefst kriegerische Normen" und verweist auf Thomas Hobbes
(1588-1679), der vom Krieg als Naturzustand und u.a. vom "Krieg aller
gegen alle" sprach. Kann man Hobbes wirklich als "theoretischen
Gr=FCndungsvater der Konkurrenzgesellschaft" zu bezeichnen?

   Tom Holert/Mark Terkessidis: Die Verweise auf Hobbes sind m=F6glicherweis=
e
etwas knapp ausgefallen.Tats=E4chlich ist es richtig, dass Hobbes den
kriegerischen
"Naturzustand" konstruiert, um den Frieden durch den Staat zu
begr=FCnden. Freilich hatte der von Hobbes beschriebene "Naturzustand"
nie etwas mit der "Natur" des Menschen zu tun. Ebensowenig war mit dem
"Naturzustand" in seiner Definition eines Krieges aller einzelnen gegen
alle eine ad=E4quate Beschreibung der damaligen sozialen und politischen
Verh=E4ltnisse gegeben. Vielmehr deklarierte Hobbes zum "Naturzustand",
was bereits ein Ergebnis der Individualisierung durch das staatliche
Souver=E4nit=E4tsprinzip, der Disziplinartechniken und des aufkommenden
Kapitalismus war. Hobbes begr=FCndete den Leviathan also in einem
Zirkelschluss: Die Individuen, die den Vertrag abschlie=DFen, sind quasi
ein Ergebnis der Eingriffe ihres Vertragspartners Staat. Und
schlie=DFlich hob Hobbes' L=F6sung den "Naturzustand" auch nicht auf,
sondern verlagerte ihn in den Bereich der Interaktionen der einzelnen
"Staatspersonen". Insofern schien es legitim, zur Beschreibung des
Neoliberalismus den Hobbesschen "Naturzustand" aufzurufen, da wir ja
eine Redefinition des Gewaltmonopols und teilweise Zur=FCckverlagerung
auf die Ebene der Einzelnen beobachten. Zudem wird im neoliberalen
Regime der Markt naturalisiert, wobei das Ergebnis dieser
Naturalisierung eben nicht der Naturzustand ist, den es nicht gibt,
sondern ein ganz bestimmter "Naturzustand" - und den hat Hobbes zum
ersten Mal benannt.

Krystian Woznicki: Euer Kriegsbegriff umfasst nicht nur
reale Aktion an der milit=E4rischen und zivil-=F6konomischen Front, sondern
auch ein Diskursmodell oder das "Bild des Alltags". Man erh=E4lt den
Eindruck, der Krieg werde zur Metapher reduziert, wobei alles, was mit
Gewalt oder Egoismus zu tun hat, unter dem Kriegsbegriff subsumiert
wird. Gleichzeitig soll "der gr=F6=DFte Teil der Erdbev=F6lkerung" Opfer des
kriegerischen Ausnahmezustands sein. Ist es nicht etwas =FCbertrieben
einen solchen Universalismus zu beanspruchen?

   Tom Holert/Mark Terkessidis: Uns ist nicht bewusst, dass wir einen
Kriegsbegriff
mit Universalismus-Anspruch formuliert h=E4tten. Vielmehr haben wir=
 versucht,
unterschiedliche Auspr=E4gungen des Krieges, so wie sie uns unter
unterschiedlichen Bedingungen an unterschiedlichen geografischen und
kulturellen Orten begegnet sind, miteinander in Beziehung zu setzen.
Keineswegs ging es darum, Differenzen, wie Du sie benennst, einzuebnen.
Andererseits behaupten wir durchaus, dass die Entwicklung der realen
Kriege, die sowohl durch den Interventionismus der internationalen
Staatengemeinschaft unter der F=FChrung der USA als auch durch die
Entstaatlichung der regionalen Konflikte unter dem Vorzeichen einer
globalisierten =D6konomie charakterisiert sind, in einem Zusammenhang
steht mit neoliberalen Normen der Konkurrenz und Performanz und deren
Verarbeitung in der westlichen Massenkultur.

    Eine These des Buches lautet daher sicherlich, dass die "neuen" Kriege
und die "neuen" =D6konomien gleicherma=DFen auf dem Prinzip des
Ausnahmezustands gr=FCnden, den sie auf Dauer stellen. Dieser
Ausnahmezustand wird aber nicht nur milit=E4risch und =F6konomisch
produziert, sondern vor allem auf dem Feld der Kultur und der
ideologischen Anrufungen. Hier findet der Diskurs =FCber "Ehekriege" und
"Killerkids" statt, die offene oder indirekte Militarisierung der
sozialen Verh=E4ltnisse. Nicht wir sind es, die den Krieg auf eine
Metapher "reduzieren" - das erledigen Tag f=FCr Tag die Boulevardmedien,
die Managementphilosophen, die Werbeagenturen usw.

Krystian Woznicki: Aussteiger, Unternehmer, B=F6rsianer, Ego-Shooter,
Soldaten und Fitness-Apologeten werden in Eurem Buch als Protagonisten des
Neoliberalismus begriffen und damit =FCber einen Kamm geschoren. Nicht
zuletzt auch Selbstmordattent=E4ter. Diese Gleichstellung finde ich
besonders problematisch. Einerseits wird die politische Dimension des
Selbstmordattentats ausgeblendet, andererseits eine orientalistische
Zuschreibung des Westens, der "islamische Feind" denke in
kapitalistischen Strukturen, =FCbernommen. An dieser Stelle dr=E4ngt sich
die Frage auf, wie universell der Neo-Liberalismus-Begriff ist. Darf er
so transkulturell und ahistorisch verwendet werden?

   Tom Holert/Mark Terkessidis: Wir verstehen =FCberhaupt nicht, wieso
es eine "orientalistische" Zuschreibung sein soll, wenn unterstellt
wird, der Islamismus sei in kapitalistischen Strukturen verwickelt. Wir
k=F6nnen auch nicht sehen, dass "der Westen" so etwas denkt. Im
Gegenteil: Die Islamisten werden eben als das ganz Andere betrachtet:
als "Bestien" ("Bild" =FCber M. Atta) , deren Verhalten von den Regeln
einer fremden, vormodernen - und mit Verweis auf =C4u=DFerungen des
italienischen Ministerpr=E4sidenten - auch zur=FCckgebliebenen Kultur
geleitet werden. Uns erscheint es keineswegs als orientialistisch, auf
einer prinzipiellen =C4hnlichkeit in den Verhaltensmustern zwischen den
westlichen Subjekt-Typen und jenen etwa im Nahen Osten oder in
Jugoslawien hinzuweisen.

    Wir scheren dabei nicht alles =FCber einen Kamm, denn die Differenz wird
ja exemplarisch am Fall Jugoslawien unter ausdr=FCcklicher Einbeziehung
der sozialen, kulturellen und historischen Unterschiede dargestellt.
Wir sprechen etwa =FCber die spezifische Rolle des "Gangsters" auf dem
Balkan. Die Spezifizierung kann aber nicht dazu f=FChren, dass die
sogenannte Peripherie aus der gemeinsamen Geschichte entfernt und auf
einen anderen Schauplatz mit einer anderen Ordnung verwiesen wird. Die
Geschichte der Expansion Europas war eine Geschichte des Ausschlusses
durch Einbeziehung, wie Immanuel Wallerstein einmal gesagt hat - und
dieses Arrangement bringt =FCberall eine Gemengelage von =C4hnlichkeiten
und Unterschieden hervor. Was die politische Dimension betrifft, so
k=E4mpft der Islamismus um die Durchsetzung einer bestimmten Lebensform
und nicht f=FCr ein identifizierbares politisches Programm. Wir geben
aber gern zu, dass der Selbstmordattent=E4ter am Ende des Kapitels quasi
addiert wird - und dies Unbehagen ausl=F6sen kann. Selbstverst=E4ndlich
h=E4tte man diesem Ph=E4nomen und seiner Genealogie ein weiteres Kapitel
widmen k=F6nnen.

Krystian Woznicki: Im zweiten Kapitel des Buches kommt Ihr auf die
Globalisierung des
Krieges zu sprechen, ohne jedoch den milit=E4risch-industriellen Komplex
zu thematisieren. Warum werden bei Eurer doch sehr starken Fokussierung
auf die =F6konomische Dimension die Abh=E4ngigkeiten zwischen Milit=E4r und
Wirtschaft (Stichwort: Privatisierung der Armee) au=DFen vor gelassen?

   Tom Holert/Mark Terkessidis: Eine "starke Fokussierung auf die
=F6konomische Dimension" nehmen wir h=F6chstens insofern vor, als dass wir
die neoliberale =D6konomisierung des Sozialen als eine entscheidende
Voraussetzung f=FCr die gesellschaftliche Forderung nach bestimmten
Subjekten (Einzelk=E4mpferIn, TeamplayerIn, Management-KriegerIn usw.)
betrachten. Das Unternehmens-Individuum muss umfassend mobilisiert
werden, um in den vermeintlichen "Krieg aller gegen alle" aufbrechen
und dort bestehen zu k=F6nnen. Eine gr=FCndliche Analyse des
milit=E4risch-industriellen Komplexes ist sicher erforderlich, h=E4tte den
Rahmen unserer Fragestellung aber =FCberstrapaziert. Unser Augenmerk galt
stattdessen denjenigen massenkulturellen Strategien, die das
kriegerische Schlachtfeld "unterhalb" der zivilisatorischen Normalit=E4t
als Quelle permanenter Verunsicherungen der Gesellschaft symbolisieren
und damit Verteidigungsma=DFnahmen und Bewaffnungen auf der Ebene der
individuellen und kollektiven Subjekte vermeintlich unumg=E4nglich
machen. So haben wir uns auf Schnittstellen konzentriert, an denen
Unterhaltung und Milit=E4r, Krieg und Gegenkultur oder Tourismus und
Guerillakampf aufeinandertreffen und kulturell artikuliert werden.

     Tom Holert/Mark Terkessidis: Entsichert: Krieg als Massenkultur im
21. Jahrhundert. ISBN: 3-462-03163-5. [1]Kiepenheuer & Witsch. Euro (D)
9,90.

    Links

    [1] http://www.kiwi-koeln.de/


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