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[infowar.de] Re: DIR-ML: Nachrichten als Waffe (FR)
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Quoting "dirinfo -!
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de" <dirinfo -!
- web -
de>:
TI: Nachrichten als Waffe
QU: Frankfurter Rundschau
DA: 06.11.2002
SW: Buw; Moe; Mil; Pi; Afg; Py
AB: Die Bundeswehr setzt bei ihren Auslandseinsätzen zunehmend auf eigene
Zeitungen und Sendungen
Die Bundeswehr setzt bei ihren Auslandseinsätzen zunehmend auf eigene
Zeitungen und Sendungen
Von Christian Sywottek
Die "Stimme der Freiheit" erhebt sich aus einem Kabuff, kaum größer
als eine Telefonzelle. Das Kabuff steckt in einem mit Tarnfarbe
gestrichenen Stahlkasten, der so geräumig ist wie ein voll gestopfter
Umzugscontainer. Die Kiste steht, umgeben von gelbem Staub, mitten auf
dem Camp der Bundeswehr in Kabul. "Mobile Sendeeinheit" heißt das
Ding. Zwei deutsche Soldaten machen darin Radio für die Afghanen in
Kabul; weiter reichen die Ultrakurzwellen nicht.
Der Radiosender "Stimme der Freiheit" bringt 21 Stunden täglich Musik.
Dazu kommen drei Stunden Nachrichten aus Kabul, Afghanistan und der
Welt, halb auf Paschdu, halb auf Dari. Einmal die Woche grüßen
Afghanen ihre Verwandten übers Radio. "Stimme der Freiheit" funkt seit
dem Frühherbst - und ist damit das neueste Produkt des Zentrums
"Operative Information" der Bundeswehr, der Medientruppe mit dem
Kürzel OpInfo.
OpInfo kämpft mit Zeitungen, Radiosendungen, Flugblättern und
Lautsprecherdurchsagen. Es geht um die Gunst "gegnerischer
Streitkräfte, Sicherheitsorgane und Konfliktparteien" sowie der
Bevölkerung im Einsatzgebiet, "um Vertrauen und Unterstützung für den
eigenen Auftrag" zu erreichen. In Afghanistan können nur wenige
Menschen lesen - deshalb das Radio. Sie hören etwa, wo die
multinationale Schutztruppe ISAF demnächst einen Kontrollposten
aufbauen wird.
Psychologische Kriegsführung oder Propaganda sind Begriffe, die
Soldaten im Eifelort Mayen, dem Sitz der OpInfo-Truppe, nicht gerne
hören. "Da grenzen wir uns total ab", sagt Oberst Hans-Jochen Annuß,
der Kommandeur. "Wir machen gewissermaßen politische Bildung; es geht
um wahre, objektive Fakten."
Die Bestimmtheit, mit der Annuß spricht, ist verständlich. Denn die
1990 gegründete OpInfo-Truppe kämpft mit einem schwer wiegenden Erbe.
Ihre Vorläuferorganisation "Psychologische Verteidigung" (PSV) schlug
im Permafrost des Kalten Kriegs grobschlächtig zu, schickte mit
Gasballons Flugblätter in den deutschen Osten. Um die DDR-Grenzer
mürbe zu machen, versprach sie dicke Autos und ordentlich Urlaub. Als
das politische Klima wärmer wurde, schnüffelte die PSV im Inland
Friedensdemonstranten aus und alle, "die dem Wehrdienst indifferent
gegenüberstehen", wie es eine vertrauliche Dienstvorschrift
formulierte. Als Datenschützer die Dossiers über Petra Kelly, Herta
Däubler-Gmelin und Egon Bahr entdeckten, war Schluss; 1989 wurde die
PSV aufgelöst, OpInfo trat an ihre Stelle.
Seit die Bundeswehr international im friedenssichernden Einsatz ist,
wächst die Bedeutung der Info-Truppe. Frieden schafft man nicht nur
mit Waffen, so die Erkenntnis der Bundeswehrführung. Die Einheit soll
von derzeit 600 Soldaten auf 1200 vergrößert werden - trotz der
Bundeswehrreform samt Sparzwang. OpInfo könnte dann an den
Brennpunkten der Welt werben für Frieden, Verständigung und
Demokratie, demnächst mit eigenen Videoberichten im örtlichen
Fernsehen.
Soldaten wie Holger Weitzel sollen die Botschaft vermitteln. Der
Hauptmann leitet die Redaktion von Dritarja (Fenster), dem
albanischsprachigen Magazin der Kfor in Prizren, Kosovo. Das Blatt ist
derzeit das Hauptsprachrohr von OpInfo, neben dem Sender in Kabul und
den 15-minütigen "Kfor-News" in lokalen Radioprogrammen des Kosovo.
Alle 14 Tage werden 20 000 Dritarja-Exemplare kostenlos verteilt: auf
Marktplätzen, in Schulen, auf Patrouillen der Kfor-Lautsprecherwagen.
Hochglanz, Farbe, 16 Seiten. Das Pendant auf Serbisch heißt Prozor,
2000 Exemplare werden davon gedruckt. Seit 1999 sind die Zeitungen auf
dem Markt. Sie zeigen, wie OpInfo arbeitet.
Redaktionsleiter Weitzel sitzt mit fünf Kollegen in einem
zerschrammten Bürocontainer in Mayen. Zwei Offiziere sind als Reporter
in Prizren stationiert, durchstreifen das Kosovo in Uniform und mit
der Pistole im Halfter. Eine Übersetzerin prüft in Mayen die Texte;
sie ist das einzige ausländische Mitglied im albanischen
Schriftstellerverband. "Wir sind in erster Linie Soldaten, erst dann
Journalisten", sagt Weitzel. Einige haben früher Schülerzeitungen
gemacht, sie alle aber schätzen die Vorteile ihrer Arbeit gegenüber
langweiligem Wacheschieben oder Patrouillefahren. Viele rechnen sich
Chancen aus für eine Journalistenkarriere nach der Bundeswehr. Der
Frauenanteil ist bei der OpInfo- Truppe mit fünf Prozent
vergleichsweise hoch.
Die Redakteure im Tarnanzug müssen Improvisationskünstler sein.
Recherchieren, Schreiben, Layouten - all das müssen sie sich
überwiegend selbst beibringen. Praktika bei anderen Medien und
Seminare mit zivilen Journalisten geben Anstöße. Die Ansprüche sind
hoch. "Wir wollen die 18- bis 30-Jährigen erreichen", sagt Weitzel.
"Denn die möchten sich eine Existenz aufbauen und in Urlaub fahren,
die saßen im Krieg nicht in den dicken Positionen." Weitzel will dafür
sorgen, dass sie sich den erhofften Wohlstand angesichts grassierender
Arbeitslosigkeit und blühender Gaunerei in Kosovo nicht auf
kriminellem Wege verschaffen.
Weitzel möchte, dass die Leute friedlich bleiben. Er muss sie davon
überzeugen, dass sich das lohnt. Mit plumper Agitation komme er da
nicht weiter: "Wir müssen positive Aspekte herausstellen." So
berichten seine Soldaten über Ausgrabungen junger Archäologen in
Kosovo, über Albanisch-Unterricht in Deutschland, über ein
Friedenscamp in Mitrovica. Sie informieren über Billig-Fluglinien, die
Arbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF), den Euro. In der
nächsten Ausgabe geht es um Computerviren und die Nobelpreise.
Auch Konflikte werden geschildert, etwa wenn es um die Lage der
Behinderten in Kosovo geht. Doch der Ton ist durchgängig versöhnlich.
"Politik wollen die Leute eigentlich nicht", bedauert Weitzel. Dabei
ist die Redaktion bereit, heiße Eisen anzufassen. Eine Geschichte über
Menschenhandel in Kosovo ist fest eingeplant. Konflikte mit dem
kriminellen Milieu nehmen die schreibenden Soldaten in diesem Fall in
Kauf, ihr Status als Kfor-Vertreter bietet den Reportern Schutz. Doch
die Grenze zur Provokation wollen sie in ihrer Arbeit nicht einreißen.
Eine Geschichte über die Tankstellenmafia landete deshalb im
Papierkorb.
Die Suche nach der Wahrheit, der sie sich ausdrücklich verpflichten,
ist für die OpInfo-Reporter in Kosovo oft schwierig. Vertrauenswürdige
Informationen sind rar. Bis vor einem Jahr arbeiteten die
Kfor-Journalisten mit einheimischen Reportern zusammen. Dann wurde
klar, dass die Helfer schlicht aus Büchern abschrieben und derart
eindimensional recherchierten, dass die Gegenseite mit Schlägen
drohte. Seitdem arbeiten die Kfor-Schreiber für sich, unterstützt von
albanischen Informanten.
Es fällt schwer, Gut und Böse in dem fremden Land voneinander zu
unterscheiden. So wollte eine Reportage einen gemeinnützigen
Schneeräumtrupp aus ehemaligen UCK-Kämpfern loben. Doch dann wurde der
Held der Geschichte verhaftet - Mord und Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung waren die Vorwürfe der Strafverfolger. Kurz
danach hätte der Artikel erscheinen sollen; er wurde gerade noch
rechtzeitig gestoppt.
Derartige Recherchefehler können sich die OpInfo-Redakteure im
Friedenseinsatz nicht erlauben, egal ob in Kosovo, in Kabul oder sonst
wo. Wenn sie Falschmeldungen verbreiten, wird ihnen das schnell als
Parteinahme für eine der Konfliktparteien ausgelegt. Das gefährdet den
Einsatz der gesamten Friedenstruppe. "Wer einmal lügt, dem glaubt man
nicht", sagt OpInfo- Kommandeur Annuß. "So einfach ist das."
Die Dritarja-Redaktion hingegen hat mit kleinen Lügen großen Erfolg.
Seit sie auf der letzten Seite ein selbst verfasstes Horoskop
abdruckt, findet ihr Heft reißenden Absatz. Statt 20 000 würden sie am
liebsten 35 000 Exemplare verteilen. Der Finanzierungsantrag ist
gestellt.
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Nutzung für die anti-rassistische Arbeit unter Vorbehalt jeglic
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