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Al-Dschasira und die Rache der älteren Schwester
Thomas Pany 07.11.2002
Infowar zwischen Katar und Saudi-Arabien?
Der Emir von Katar, Hamad Ibn Chalifa al-Thani, seit 1995 an der
Macht, verfolgt eine von erheblichen Selbstbewusstsein geprägte
Politik. So hat er schon kurz nach seiner Machtübernahme die Aufhebung
der internen Pressezensur verfügt, eine eher ungewöhnliche Praxis in
arabischen Staaten. Das über die Landesgrenzen hinaus bedeutendste
Resultat seiner Liberalisierung des Pressewesens ist der Sender
[1]Al-Dschasira (deutsch: Halbinsel), der sich seit seiner Gründung
1996 als eine Art arabischer CNN einen funkelnden Namen auch in der
westlichen Hemisphäre verschafft hat. Doch der populäre Sender, der für
al-Thani den "Dialog zwischen den Kulturen" ermöglichen sollte, gerät
gerade bei den konservativen Bruderländern mehr und mehr in die Fänge
einer traditionell restriktiven Medienpolitik.
Saudi-Arabien, die "ältere Schwester", wie der große Nachbarstaat vom
katarischen Außenminister genannt wird, soll einen versteckten Krieg
gegen al-Dschasira führen, [2]meldetedie katarische Tageszeitung
al-Raia vorgestern auf der Titelseite. Das streng islamische Königreich
plane Einfluss und Präsenz des Senders vornehmlich in den Golfstaaten
empfindlich einzudämmen. Die große Schwester wolle zu jeder Art von
Druckausübung auf al-Dschasira ermutigen.
Saudische Unternehmen dürfen einer Entscheidung auf höchster Ebene
folgend keine Werbeanzeigen bei dem Sender mehr schalten. Die
entsprechenden ministerialen Würdenträger der angrenzenden Golfstaaten,
politisch liiert im [3]Gulf Cooperation Council, sollten sich diesem
Werbeboykott anschließen und dabei helfen, die Werbeeinnahmen
"auszutrocknen".
Wie al-Raia weiter ausführt, sei die Kampagne mit dem Ziel,
al-Dschasira zu "zerstören", der Tatsache zu verdanken, dass der Sender
ein avanciertes, sprich fortschrittliches Organ sei und manches Mal
"bestimmte" lokale Tabus brechen würde.
Die Ausstrahlung einer TV-Serie über die saudische Königsfamilie auf
al-Dschasira, in der einige Familienmitglieder sich nicht
wiedererkennen wollten, hatte in diesem Sommer über Wochen für eine
ernste Verstimmung zwischen den Nachbarländern gesorgt. Das saudische
Königshaus hatte Berichten zufolge bereits in Erwägung gezogen,
sämtliche diplomatische Beziehungen zum frechen kleinen Bruder auf Eis
zu legen.
Kein Wunder also, dass in arabischen Medien kürzlich der [4]Verdacht
geäußert wurde, Saudi-Arabien stünde hinter dem Putsch gegen den
katarischen Herrscher Hamad Ibn Chalifa al-Thani, der vor einem Monat,
am 13.Oktober, mithilfe der in Katar stationierten US-Streitkräfte
vereitelt werden konnte.
Auch mit der Informations- und Meinungsfreiheit im Internet steht es
in Saudi-Arabien bekanntlich schlecht. Ausgiebig wird der Zugang zu
unerwünschten Seiten blockiert und das Verhalten im Netz überwacht.
Alle Internetverbindungen müssen nämlich über Proxys laufen, auf denen
entsprechende Filter installiert wurden. Um dem zu entgehen, haben sich
offenbar Angebote ausgebreitet, über Satellitenschüsseln Zugang zum
Internet zu erhalten. Die waren überdies billiger und schneller. Das
saudische Kabinett verbot Ende Oktober solche Verbindungen und drohte
den Providern bei Missachtung mit scharfen Strafen. Überdies wurde die
staatliche Telekommunikationsbehörde angewiesen, mehr Verbindungen für
die Internetbenutzung bereitzustellen und die Gebühren für Provider und
Kunden zu senken.
Beliebt ist der Sender freilich auch in anderen arabischen Ländern
nicht. So wurde das Büro von al-Dschasira am 3. November in Kuwait
geschlossen. Der Vorwurf: die Berichterstattung sei "nicht objektiv".
Wie Reporter ohne Grenzen [5]vermuten, könnte der Anlass ein Bericht am
Tag zuvor gewesen sein, in dem behauptet wurde, dass ein Viertel der
Fläche des Emirats wegen Übungen des amerikanischen und kuwaitischen
Militärs abgeriegelt worden sei. Unklar ist, ob die Schließung nur
vorübergehend ist oder dauerhaft sein soll. Der Generalsekretär der
Reporter ohne Grenzen, Robert Menard, fordert das Ende des Verbots:
"Die zahlreichen Verbote und Drohungen der arabischen Regierungen
gegenüber dem Sender machen ihre unerschütterliche Solidarität
deutlich, wenn es um das Einstehen für die Pressefreiheit geht.
Besonders die Golfemirate misstrauen ihren eigenen Menschen, indem sie
ihnen das Recht auf freie und ausbalancierte Nachrichten im Unterschied
zur offiziellen Propaganda verweigern."
Aus dem Land gewiesen wurden al-Dschasira-Reporter in Jordanien und in
Bahrein. Schwierigkeiten gab es auch mit dem Irak. Allerdings hatte
sich al-Dschasira auch bei den USA unbeliebt gemacht, als der Sender
während des Krieges aus Afghanistan frei berichtete und Videos von Bin
Ladin zeigte ( [6]Sex, Religion und Politik). Vizepräsident Cheney
bezeichnete ihn als "Propagandaplattform". "Versehentlich" wurde dann
das Büro in Kabul durch eine amerikanische Bombe zerstört. Die
US-Regierung übte auch weiterhin Druck auf Katar aus und versucht nun,
mit einem eigenen Fernsehsender das Monopol zu brechen. Dagegen und
gegen die Konkurrenz von CNN, BBC und Sky News will al-Dschasira
antreten und ab nächstem Jahr erst einmal Nachrichten mit englischen
Untertiteln unterlegen. Bei Erfolg soll das ganze Programm auf englisch
ausgestrahlt werden, um zu einem globalen Sender zu werden. Trotz
seines Erfolgs arbeitet al-Dschasira aber noch nicht gewinnbringend.
Zuletzt hatte er Aufsehen erregt, als er das Video mit den Forderungen
der tschetschenischen Geiselnehmer von Moskau sendete, nachdem diese
das Theater besetzt hatten.
Links
[1] http://www.aljazeera.net/
[2] http://www.arabicnews.com/ansub/Daily/Day/021105/2002110502.html
[3] http://www.gcc-sg.org/index_e.html
[4] http://www.arabicnews.com/ansub/Daily/Day/021030/2002103007.html
[5] http://www.rsf.fr/article.php3?id_article=4212&var_recherche=kuwait
[6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/9740/1.html
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/13557/1.html
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