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[infowar.de] schwedische Studie über NATO-Propaganda im Kosovokrieg



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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taz Nr. 6942 vom 31.12.2002
Seite 22

Heer, Luftwaffe, Marine - Medien?

"Journalisten immer anfälliger für Propaganda" - zu diesem Ergebnis
kommt eine kritische Medienstudie, in Auftrag gegeben von einer
schwedischen
Regierungsbehörde. Grundlage war vor allem die Informationspolitik zu
Zeiten des Kosovokrieges 

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Manipuliert von Politikern und Militärs sowie deren Propagandastrategen.
Das waren die Medien im Kosovokrieg, einem Informationskrieg, den die
Nato gewann und in den sich Presse und Fernsehen in eine "unkritische
Kampagne für die Sache der Kosovoalbaner einspannen ließen". Zu diesem
Fazit kommt eine in dieser Woche veröffentlichte Studie ("Kampen om det
kommunikative rummet" - "Kampf um den kommunikativen Raum") des
schwedischen "Amts für psychologische Verteidigung". Eine
Regierungsbehörde, die im Falle einer Krisen- oder Kriegssituation die
eigene Bevölkerung in der Richtung "beeinflussen" soll, welche dem
Staatsinteresse dient. Die jetzige Kritik an den unkritischen Medien
beinhaltet gleichzeitig das Urteil, dass vor allem den USA ihr
Propagandakrieg glänzend gelungen ist: "Die Medien der Krieg führenden
Länder verwandelten sich von einem kritischen Kontrolleur der
Staatsmacht zu einer vierten Waffengattung neben Heer, Luftwaffe und
Marine."

Ausgewertet wurden die größten schwedischen Print- und TV-Medien, die
dann zum Teil mit britischen Medien verglichen wurden. In weiten Teilen
dürfte die Studie aber auch für Resteuropa repräsentativ sein. Hier vor
allem die Handhabung der aus dem Nato-"Media Operations Center"
kommenden Informationen und unkritische Übernahme von als weithin
"unzuverlässig" eingestuften Informationen aus US-Quellen. 

"Dominanz der USA"

Die Studie konstatiert eine "Dominanz des US-Weltbilds", welche
"nationale Unterschiede vor allem in den westlichen Medien immer mehr
vermindert". Die JournalistInnen ließen sich von diesem Weltbild
beeinflussen. Eine Tendenz zu einer regelrechten freiwilligen
Gleichschaltung meinen die skandinavischen ForscherInnen ausgemacht zu
haben: "Die Unabhängigkeit und die Integrität der Medien in der
westlichen Welt ist in der neuen Weltordnung immer mehr zurückgegangen."

Den Kosovokrieg sieht die Studie als typisches Beispiel für den "Kampf
um die kommunikative Herrschaft" in dieser neuen Weltordnung des
Informationszeitalters an. Er sei geprägt gewesen von psychologischer
Kriegsführung und werde daher beispielhaft für künftige Konflikte sein.
Irgendwelche Probleme damit, ihre Sicht der Ereignisse in den Äther oder
auf die Druckpresse zu bekommen, habe die Nato nicht gehabt: Es galt dem
Wunsch von Fernsehen und Radio, "ein 24-Stunden-Programm so einfach und
so billig wie möglich zu füllen", nachzukommen. Die JournalistInnen
sollten durch das Pressezentrum so beschäftigt werden, dass sie gar
keine Zeit zu eigenen Recherchen hatten. Das Medium Fernsehen
"abzufüllen" hatte absolute Priorität. Zeitungskommentare würden sowieso
nur von einer "Elite" gelesen, und die langsamen Druckmedien seien
gezwungen, der von Fernsehen und Radio vorgegebenen
Nachrichtengewichtung zu folgen.

Mindestens ebenso wichtig sei es gewesen, die Berichterstattung in den
internationalen Nachrichtenagenturen zu lenken. Im Kosovokrieg war das
offenbar kein Problem: "Alle großen Nachrichtenorganisationen gaben
unkritisch die Nato-Version des Konfliktes wieder, während abweichende
Meinungen über die moralischen und rechtlichen Konsequenzen der neuen
Rolle der Nato marginalisiert wurden." Damit war das Thema für die
Bevölkerungen in den einzelnen Ländern "eingerahmt", aber offenbar auch
für die große Mehrheit der JournalistInnen. Auch im neutralen Schweden
gelang auf diesem Wege so nahezu ausschließlich die Nato-Sicht der
Ereignisse in die Blätter. Die Meinung der UÇK-Guerilla sei unkritisch
wiedergegeben worden, Informationen neutraler oder russischer Medien
unterschlagen worden. Im Großen und Ganzen sehen die VerfasserInnen der
Studie nur einen Unterschied im Vergleich zu Medien im Nato-Land
Großbritannien: Das Bildmaterial sei kritischer ausgewählt worden, habe
hin und wieder angedeutet, dass der Militäreinsatz möglicherweise eine
Kehrseite habe.

Meinungsumfragen zeigen allerdings auch, dass in der Bevölkerung
wesentlich ausgeprägtere Bedenken gegen die Legitimität des
Nato-Einsatzes vorhanden waren, als die Medien dies widerspiegelten. Und
dass diese Bedenken von dem Dauerbeschuss seitens der Nato-Propaganda
auch im Wesentlichen unberührt blieben. 

Die Tatsache, dass die moralischen Bewertungen in der Bevölkerung
wesentlich widerstandsfähiger gegen die Informationskriegsführung waren
als die der Medienprofis, formuliert die Studie als "Warnung" an die
PolitikerInnen. Man könne kein Gleichheitszeichen zwischen
Nachrichtenfluss und Meinungsbildung setzen, dürfe die Manipulation also
nicht übertreiben: "Unser Informationszeitalter ist von einer starken
Konzentration der Medienindustrie in wenigen internationalen
Medienkonglomeraten gekennzeichnet, einer immer schnelleren Konvergenz
zwischen Presse, Äthermedien, digitaler Kommunikation und einer
wachsenden Fragmentierung des Medienpublikums. Die traditionellen Medien
werden damit immer mehr als Machtelite gesehen." Gegen die sich
tendenziell nicht nur "NGO, Selbstständigkeitsbewegungen, Lobbygruppen,
Aktivisten und Terrorgruppen" wenden könnten, sondern auch Teile der
Bevölkerung, deren Meinungsbild dann schwerer vorauszusehen sei.

Propaganda im Web

In einem Mediensektor gelang es der Nato nach Einschätzung der
schwedischen Studie mit ihrem "Informationskrieg" am wenigsten
erfolgreich durchzudringen: im Internet. Offenbar weil es 1999 noch als
"neues" Medium galt, hatte man sich nicht darauf eingestellt. Man habe
übersehen, wie Netzwerke, die sich in einem Land bilden, die
Mediendebatte in anderen Ländern beeinflussen könnten. Gleichzeitig war
man in der täglichen Pressearbeit ständig gezwungen, Informationen, die
im Internet verbreitet wurden, zu bestreiten oder richtig zu stellen.
Möglicherweise erweist sich damit das Internet - soweit man dessen
technische Funktion nicht störe - auch in Zukunft als relativ resistent
gegen den Informationskrieg. Denn, so die VerfasserInnen, aufgrund
seiner Struktur sei es nicht möglich mit einer einzigen Meinung
"durchzukommen". Versuchen müssten dies die verantwortlichen
"Beschlussfasser" aber durchaus, meint die Studie. Man dürfe das
Internet nicht vernachlässigen, weil "eine von Bildung und Einkommen
privilegierte Elite" sich in weitem Umfang des Internets bediene und man
diese erreichen müsse.

Von einem Idealbild her, so die Studie, sei der Propagandakrieg der Nato
- man sei schlecht vorbereitet gewesen, was sich nicht wiederholen werde
- sogar eher eines der schwächeren Kettenglieder der gesamten
Kriegsführung gewesen: "Es waren 19 nationale Regierungen, Medien und
Medienöffentlichkeiten, auf die man Rücksicht nehmen und sich erst
einmal vortasten musste." Außerdem habe man gleich anfänglich ernsthafte
Zweifel an der eigenen Glaubwürdigkeit geweckt, als man versuchte,
leicht nachprüfbare Fakten - Beispiel: Angriff auf einen
Flüchtlingstreck - zu leugnen oder zu verharmlosen. Eine Todsünde, wenn
man nicht ausschließen könne, dass Medien sich selbst vor Ort ein Bild
machen könnten. Es gebe Belege dafür, dass die Nato wiederholt
Informationen verfälschte, was ihr dann aber offenbar weitaus besser
gelang. Dass diese groben Fehler trotzdem zu keinen grundsätzlichen
Zweifeln bei den allermeisten JournalistInnen geführt hätten, was den
Wahrheitsgehalt der im Laufe des Krieges immer widerspruchsfreieren
Propaganda anging, zeige, welches Potenzial ein noch perfekterer
Informationskrieg habe, der aus solchen Missgriffen lerne.

"Kampen om det kommunikative rummet" ist im Internet in schwedischer
Sprache mit englischer Zusammenfassung zugänglich unter:
www.psycdef.se/bibliotek/report_show.asp?FileID=71

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