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[infowar.de] deutsche TV-Sender sind für einen Irak-Krieg gerüstet (zwei Artikel)



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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"Beispielsweise hat n-tv bereits den ehemaligen Sprecher des
Nato-Generalstabes, Oberst Konrad Freytag, verpflichtet."
Das nennt sich dann "unabhängige Berichterstattung". Ich war ja schon
sehr erstaunt, als der NATO-Kommandierende des Kosovo-Krieges, General
Wesley Clark, nach dem 11.9.2001 als "special military correspondent"
bei CNN auftauchte. In Deutschland hätte ich sowas damals noch nicht
erwartet. 
Die Amerikanisierung der Fernsehberichterstattung schlägt jetzt aber
offenbar voll durch: Vorproduzierte Computeranmimationen des "sauberen"
High-Tech-Krieges, ex-NATO-Generäle als "unabhängige Experten",
Übernahme des Materials der großen US-Networks,... Man fragt sich, ob es
da noch kritische und gründlich recherchierte Hintergrundberichte á la
Monitor oder Panorama geben wird.
Und: Warum senden die alle ihre Leute nach Bagdad? Man sollte vielleicht
mal darüber nachdenken, auch nach Washington ein paar gute Reporter zu
schicken, die etwas von unabhängiger Pentagon-Berichterstattung
verstehen und nicht nur die Verlautbarungen der Pressesprecher
abschreiben. 
Mich wundert außerdem, dass die Leute von den Zeitungen so wohlwollend
über ihre von ihnen selber oft als oberflächlich verpönte Konkurrenz vom
Fernsehen berichten.
RB

1.
Berliner Zeitung, Freitag, 10. Januar 2003
Alles fix und fertig
Beiträge vorproduziert, kugelsichere Westen gekauft - die TV-Sender sind
für einen Irak-Krieg gerüstet
Gregor Waschinski

2.
Tagesspiegel, 10.01.2003
Der Wille zum eigenen Bild 
Ob privat oder öffentlich-rechtlich: Die deutschen TV-Stationen wollen
mehr als die CNN-Perspektive 
Von Antje Kraschinski und Matthias Bartsch

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Berliner Zeitung
Freitag, 10. Januar 2003

Alles fix und fertig

Beiträge vorproduziert, kugelsichere Westen gekauft - die TV-Sender sind
für einen Irak-Krieg gerüstet

Gregor Waschinski

Das US-Online-Magazin slate.com hat eine ganz eigene Art, die
Kriegsgefahr im Mittleren Osten auszudrücken: das Saddameter. Auf etwa
70 Prozent schätzen die Redakteure derzeit die Wahrscheinlichkeit, dass
die Vereinigten Staaten den Irak angreifen. Anfang Dezember stand der
Index noch bei 50 Prozent.

Auch in Deutschland rechnen die Medien mit einer militärischen Lösung
des Irak-Konflikts. "Man soll natürlich keinen Krieg herbeireden", sagt
RTL-Chefredakteur Hans Mahr. "Aber für den Fall des Falles sind wir
vorbereitet." Der Kölner Privatsender hat im September ein Büro in
Bagdad eröffnet. Sollten die Amerikaner angreifen, würden zusätzlich
Journalisten nach Kuwait und auf ein US-Schlachtschiff abkommandiert.
Bei der ARD ist das Büro in Kairo für den Irak zuständig. Jörg
Armbruster reiste bereits von Ägypten nach Bagdad, ein zweiter
Korrespondent soll folgen. Das Washingtoner Büro bemüht sich derzeit,
dass ein Kamerateam der ARD im Kriegsfall zusammen mit den
US-Bodentruppen von Kuwait aus vorrücken kann. Für das ZDF sind seit
Ende Oktober drei Teams im Wechsel in der irakischen Hauptstadt. Die
Deutsche Presseagentur (dpa) hat dort momentan zwei Mitarbeiter, weitere
Berichterstatter sind geplant. Das Verfahren, nach dem die Visa vergeben
werden, ist allerdings sehr undurchschaubar. "Dabei müsste der Irak
eigentlich auch ein Interesse daran haben, so viele westliche
Journalisten wie möglich im Land zu haben", meint dpa-Auslandschef
Thomas von Brouillard. 

Der Nachrichtenkanal n-tv dagegen verlässt sich auf die Kooperation mit
dem amerikanischen Sender CNN und entsendet keine eigenen Mitarbeiter an
den Golf. "Wir haben damit in der Vergangenheit gute Erfahrungen
gemacht", sagt Sprecher Thomas Schulz. "Sämtliche Orte des
Krisengebietes werden von CNN abgedeckt." 

Auch die anderen deutschen Sender arbeiten trotz eigener Leute am Golf
mit ausländischen Fernsehprogrammen zusammen, um die Auswahl an
Bildmaterial zu verbessern. RTL tauscht sich mit CNN und dem US-Kanal
CBS aus. Die ARD hat erst kürzlich einen Kooperationsvertrag mit dem
amerikanischen Network ABC abgeschlossen. "Die Amerikaner gehen die
Irak-Berichterstattung mit einem viel größeren logistischen Aufwand an",
weiß Immo Vogel, Auslandschef vom Südwest-Rundfunk (SWR). Der SWR ist
innerhalb der ARD für den Irak zuständig, wird aber mit anderen
Anstalten zusammenarbeiten, um möglichst viele eigene Bilder zu
produzieren. Der Bayerische Rundfunk soll beispielsweise von der Türkei
aus die Berichterstattung für den Nordirak übernehmen.

Das ZDF kooperiert nicht nur mit amerikanischen Sendern, sondern auch
mit dem arabischen Nachrichtenkanal Al Dschasira. Matthias Fornoff, Chef
vom Dienst, erhofft sich so mehr Unabhängigkeit. "Wir werden sehr genau
gucken, aus welchen Quellen die Bilder kommen und welche Absichten
dahinter stecken."

Um die Zuschauer von der ersten Minute des Krieges an umfassend
informieren zu können, liegen vorproduzierte Beiträge in den Archiven
der Sender bereit. "Wir haben Animationen über Waffensysteme,
Landkarten, den Hintergrund des Konfliktherdes, ein bisschen Geschichte
- alles fix und fertig", sagt Hans Mahr. Das ZDF hat über 50 Beiträge in
der Hinterhand - von Saddam Husseins Biografie bis zum Verlauf des
letzten Golfkrieges.

Der Einsatz im Kriegsgebiet ist für die Journalisten nicht ungefährlich.
Viele haben deshalb ein vorbereitendes Seminar besucht. Seit 1999 bietet
die Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg eine Schulung für
Kriegsberichterstatter an. "Noch beim Einsatz im Kosovo berichteten die
meisten deutschen Journalisten ohne Vorbereitung. Damals kamen auch zwei
Stern-Redakteure ums Leben", sagt Thomas Krieg, der im
Verteidigungsministerium für die Seminare zuständig ist. "Deshalb haben
wir dieses Programm entwickelt." Etwa 15 Teilnehmer lernen fünf Tage
lang den Umgang mit Minen, das Verhalten unter Beschuss und Grundlagen
in erster Hilfe. Mittlerweile schicken ARD, ZDF und die Deutsche Welle
mehrere Male im Jahr ihre Mitarbeiter zu internen Schulungen nach
Hammelburg. Die Warteliste reicht derzeit bis ins Jahr 2006.

Eine weitere Ausbildungsstätte, die Kriegsreporter vor ihren Einsätzen
ansteuern, liegt etwa 100 Kilometer nördlich von London auf einem
Gelände der englischen Streitkräfte. Die "pilgrim specialists",
ehemalige britische Elitekämpfer, bereiten Größen aus Politik und
Wirtschaft auf das Verhalten bei möglichen Entführungen vor, schulen
Chauffeure und Personenschützer. Auch mit Journalisten spielen die
"pilgrim specialists" konkrete Situationen durch, die bei der Arbeit im
Kriegsgebiet aufkommen können: von dem wütenden Mob bis zur Geiselhaft.
"In einem anderen Kulturkreis kann durch eine falsche Geste die Stimmung
der Leute ganz schnell umschlagen", sagt ZDF-Reporter Roland Stumpf, der
eine Woche bei den britischen Elitekämpfern verbrachte. Das Team lernt,
sich in diesem Fall fest unterzuhaken, eine Art menschliche Wagenburg zu
bilden und sich als Gruppe langsam zurückzuziehen. "Das Seminar
sensibilisiert", sagt Stumpf. "Viel zu oft verfahren Journalisten nach
dem Prinzip Hoffnung und denken: Da wird schon nichts passieren."

Der Gefahr des Auslandseinsatzes sind sich alle bewusst. Das ZDF hat die
Versicherungssumme für seine Mitarbeiter in Krisengebieten erhöht. Da
die Möglichkeit besteht, dass biologische und chemische Waffen zum
Einsatz kommen, haben die öffentlich-rechtlichen Sender neben
kugelsicheren Westen zudem spezielle ABC-Schutzanzüge angeschafft.
"Generell gilt aber", so Matthias Fornoff vom ZDF, "wer geht, der geht
freiwillig."

Noch steht nicht fest, ob die Journalisten im Irak wirklich über einen
neuen Golfkrieg berichten müssen. Eines aber ist klar: Wenn die ersten
Bomben auf Bagdad fallen, ist auch der Kampf um das schnellste Bild
entbrannt. ARD und ZDF wollen ihr Programm sofort unterbrechen. N-tv
plant, wenn nötig, rund um die Uhr zu berichten. Sprecher Thomas Schulz:
"Wir sind gerüstet." 

RTL rühmt sich, bereits bei der Berichterstattung am 11. September 2001
die öffentlich-rechtlichen Sender abgehängt zu haben. Chefredakteur Hans
Mahr prophezeit: "Wir können auch diesmal binnen zwei Minuten auf
Sendung sein." Matthias Fornoff vom ZDF gibt dagegen zu bedenken:
"Natürlich ist es gut, dass die Öffentlichkeit so schnell wie möglich
informiert wird. Oft bleibt dann aber zu wenig Zeit, die Bilder und die
Fakten kritisch zu prüfen." 

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Tagesspiegel, 10.01.2003

Der Wille zum eigenen Bild 

Ob privat oder öffentlich-rechtlich: Die deutschen TV-Stationen wollen
mehr als die CNN-Perspektive 

Von Antje Kraschinski
und Matthias Bartsch

Kommt es zum Krieg im Irak? Die deutschen Fernsehsender sind
einsatzbereit: Die Teams in der Region wurden bereits verstärkt, neue
Kooperationen mit ausländischen TV-Stationen geschlossen, die
Journalisten für den Ernstfall trainiert. ?Die nicht sehr positiven
Erfahrungen aus dem letzten Golfkrieg wollen wir auf keinen Fall
wiederholen", sagt Immo Vogel, Leiter der ARD- Auslandsabteilung und
Koordinator für die Berichterstattung aus der Region. ?CNN wurde ja
regelrecht zum Instrument zwischen den beiden Kriegsparteien." Ein
derartiges Informations-Monopol soll es nach dem Willen der deutschen
Sender nicht wieder geben.

Bei RTL laufen die Vorbereitungen seit September. Hauptkorrespondentin
ist Antonia Rados, die schon über den Afghanistan-Krieg berichtet hat.
In Bagdad hat RTL ein Büro eingerichtet und zusätzliche Korrespondenten
nach Kuwait, Jordanien und Israel geschickt. Außerdem ist ein
Korrespondent für Berichte von einem US-Kriegsschiff vorgesehen. Der
größte Vorteil bei der Bildbeschaffung dürfte in der Zusammenarbeit mit
dem US-Sender CNN und der deutschen Nachrichtenstation n-tv liegen. CNN
ist über die Muttergesellschaft AOL Time Warner ebenso Gesellschafter
von n-tv wie der Kölner Privatsender über die RTL-Group. ?Diese
Kooperationen werden uns die Arbeit sehr erleichtern", sagt
RTL-Informationsdirektor Hans Mahr.

Auch die ARD wird mit einem US-Sender zusammenarbeiten. Zur technischen
Unterstützung hat sie vor kurzem einen Vertrag mit dem Network ABC
abgeschlossen. ?ABC berichtet normalerweise wenig aus dem Ausland. Wenn
aber eine Sache von Interesse ist, wie jetzt im Irak, dann bringen die
sehr viel Logistik an Ort und Stelle. Das ist auch für uns von Vorteil",
sagt Vogel. Das ARD-Korrespondentennetz in der Region wurde mit
zusätzlichen Berichterstattern verstärkt. Nicht nur aus Kuwait,
Jordanien und Ägypten wird berichtet: Ein Team wurde auch in den
Golfstaat Katar entsandt. Dort hat das US-Militär gerade seinen
Planungsstab stationiert. Jörg Armbruster, der normalerweise aus Kairo
berichtet, ist bereits in Bagdad, wo ein sechsköpfiges Team arbeitet.
?Mit dem Status ,Ständiges Büro' hoffen wir, dass die Visumfrage
großzügiger gehandhabt wird", sagt Vogel. Denn die Einreisebestimmungen
für Medienvertreter sind im Irak strikt geregelt. Journalisten brauchen
ein Visum vom Informationsministerium. Das erlaubt einen Aufenthalt von
zehn Tagen. Mit drei Verlängerungen sind maximal 40 Tage Aufenthalt
möglich. 

Für das ZDF sind drei Producer-Teams in der Region, die sich alle vier
Wochen in Bagdad abwechseln. Dazu kommen die Reporter-Pools in Kairo,
Tel Aviv und Teheran. Größter Trumpf könnte die Kooperation mit dem
arabischen Nachrichtensender Al Dschasira sein.

Aber wie glaubwürdig sind fremde Quellen, zumal es im Kriegsfall zu
Zensur und Manipulation kommen kann? ?Wir werden quälend-kritisch mit
dieser Situation umgehen. Trotzdem sind wir froh über die Möglichkeit,
verschiedene Bildquellen nutzen zu können", sagt Matthias Fornoff, Chef
vom Dienst und Koordinator beim ZDF. Auch n-tv- Chefredakteur Markus
Föderl ist kritisch: ?Uns ist klar, dass das Bildmaterial von den
Amerikanern zensiert werden könnte. Wann immer dies der Fall ist, werden
wir es dem Zuschauer kenntlich machen." 

N-24-Chefredakteur Peter Limbourg will auf keinen Fall
?sensationsheischenden" Journalismus machen. Der Sender, der auch Sat 1
und Pro 7 mit Nachrichtenmaterial beliefert, schickt gerade
Korrespondenten nach Bagdad, Kuwait und Jerusalem. Ohne Zweifel werden
sich in den nächsten Monaten überall wieder die ?Studio-Experten" die
Klinken in die Hand geben. Beispielsweise hat n-tv bereits den
ehemaligen Sprecher des Nato-Generalstabes, Oberst Konrad Freytag,
verpflichtet. 

Zwölf Jahre nach dem Soloauftritt von CNN-Reporter Peter Arnett dürfte
es eng werden auf dem Hoteldach in Bagdad. Und sehr gefährlich. Das
sieht auch Matthias Fornoff so: ?Früher konnten Journalisten relativ
sicher aus Kriegsregionen berichten. Heute werden sie selbst zur
Zielscheibe."

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