Suche innerhalb des Archivs / Search the Archive All words Any words

[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[infowar.de] taz zu Kooperation Hollywood-Pentagon bei Simulationen



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
-------------------------------------------------------------

http://www.taz.de/pt/2003/01/11.nf/magText.tname,a0280.re,ku.idx,0

taz Magazin Nr. 6951 vom 11.1.2003

Dramatische Algorithmen

Hollywood und das Pentagon arbeiten eng zusammen, nicht nur ideologisch,
sondern vor allem auf technischem Gebiet. Simulation ist alles!

von DIETMAR KAMMERER

Eine Straße in einem Bürgerkriegsgebiet. Hubschrauber fliegen
Patrouille,
Soldaten stehen Wache, am Rand ein paar Zuschauer. In der Mitte der
Straße
parken ein weißer VW Golf und ein Armeefahrzeug. Eine Frau mit Kopftuch
kniet vor einem liegenden Jungen mit einer Baseballmütze. Neben ihm
kniet
noch ein Soldat, aufrecht. Er ist viel größer als die Frau. Er schaut
nicht
auf den Jungen, er schaut geradeaus. Vielleicht betet er. Im
Vordergrund,
mit dem Rücken zur Szene, steht ein weiterer Soldat, das Gewehr im
Anschlag. Er wirkt wie erstarrt, Blick nach oben, ohne Gesichtsausdruck.

Das Bild ist kein Bild, sondern eine Aufgabe: Rette den Jungen.
Entwickelt
wurde es von Programmierern, Drehbuchautoren und
Virtual-Reality-Experten
des "Institute for Creative Technologies" (ICT) in Kalifornien. So
sollen
amerikanische Soldaten zukünftig Krieg lernen: mit 3-D-Brillen, wie im
Videospiel. Das "Mission Rehearsal Exercise"-System ist die hochkomplexe
Simulation einer möglichen Kriegssituation. An alles wurde gedacht: Ein
Hochleistungsrechner (mit dem schönen Namen SGI Onyx Reality Monster)
projiziert die gesamte Szenerie auf einen 180-Grad-Bildschirm, zehn
Lautsprecher sorgen für eine realistische akustische Untermalung
inklusive
Hubschrauberlärm und dem Gemurmel der Zuschauer am Straßenrand.

Alle Personen im Bild sind virtual humans, die auf Ansprache und
Handlungen
reagieren. Der Soldat, der an dieser Simulation ausgebildet wird, muss
in
der Rolle eines Army Lieutenant die richtigen Entscheidungen treffen.
Der
Junge ist verwundet, die Straße liegt unter Beschuss, und die knieende
Mutter kann kein Englisch. Stirbt der Junge, hat der Soldat verloren.



In ihrem Buch "Entsichert" vertreten Tom Holert und Mark Terkessidis die
These, der militärisch-kulturindustrielle Komplex habe den "Krieg als
Massenkultur" salonfähig gemacht. Schaut man sich die tatsächlichen
Kooperationen von Militär und Unterhaltungsindustrie an, fällt jedoch
auf,
dass Hollywood und das Pentagon nicht nur kulturell, sondern vor allem
technologisch kooperieren.

Geht es nach den Vorstellungen der Ausbilder, kann die Wirklichkeitsnähe
von Übungsszenarien wie bei Mission Rehearsal Exercise nicht weit genug
getrieben werden. Ideal ist die Simulation erst, wenn der Soldat in ihr
reagiert wie in einer echten Entscheidungssituation - Herzklopfen,
Schweißhände und emotionale Verstrickung inklusive. Was die Militärs
erreichen wollen, können professionelle Gemütsmanipulatoren der
Entertainmentindustrie schon lange, besser und vor allem: viel billiger.
Zu
diesem Ergebnis jedenfalls gelangte 1997 die vom National Research
Council
eingesetzte Arbeitsgruppe "Modeling and Simulation: Linking
Entertainment
and Defense". Deren Abschlussbericht stellt fest: "Die
Unterhaltungsindustrie wie das Verteidigungsministerium verfolgen mit
Nachdruck die Entwicklung verteilter Simulationssysteme, die sowohl
Onlinespiele als auch großangelegte militärische Übungen unterstützen
können. Diese gemeinsamen Interessen legen eine Zusammenarbeit nahe,
damit
die individuellen Ziele effizienter erreicht werden und die
Simulationstechnologie vorangebracht wird." Die Idee des ICT war
geboren.

Alle großen Ideen fangen klein an. Statt einer Multimediashow
präsentierte
Michael Andrews nur einen Zettel, mit einer simplen Grafik: das Fünfeck
des
Pentagon und das Hollywoodzeichen, beide verbunden durch eine Brücke.
Andrews, Wissenschaftler in Diensten der US-Armee, hielt das Blatt in
die
Höhe und erläuterte, wie er sich die militärische Ausbildung der Zukunft
vorstellt: Er wolle den Soldaten ein Training bieten, das "genauso
überzeugend" sei "wie Leinwandunterhaltung". Die anwesenden Filmprofis
düften sich geschmeichelt gefühlt haben.

Ort der Veranstaltung waren die Paramountstudios, eingeladen waren
Filmschaffende, Wissenschaftler und Militärs, um gemeinsam die Gründung
des
ICT zu feiern, des ehrgeizigen Joint Venture von Militär,
Kulturindustrie
und Wissenschaft. Dass ICT-Gründer Andrews die Institutstaufe im August
1999 bei Paramount veranstaltete, war wohl überlegt: Immerhin hatte das
Studio im Jahr zuvor für das Weltkriegsdrama "Der Soldat James Ryan"
Schlachtszenen von bislang ungesehenem Realismus geschaffen.


45 Millionen Dollar hat das US-Militär in das Institut investiert, das
nicht zufällig an der University of Southern California (USC) beheimatet
ist. Die Filmstudios von Hollywood sind nicht fern, und an der USC
dozieren
Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten darüber, wie man Zuschauer
mit
allen Sinnen und Emotionen in eine Geschichte verwickelt. Die vom
Militär
entwickelten Simulationen, so Michael Zyda, Dozent an der Naval
Postgraduate School in Monterey, sind nicht gut genug. "Wir können
eigentlich nur Ballerspiele entwickeln." Also muss Hollywood
einspringen.
"Die Armee hofft, dass Filmememacher die künstlichen Charaktere der
Trainingsszenarien realistischer gestalten und sich Geschichten
ausdenken
werden, die die Soldaten emotional einbinden in die Simulation, denn
Emotionen können einen starken Einfluss darauf haben, wie Entscheidungen
getroffen werden."

Die Liste der am ICT beschäftigten Kreativen liest sich wie ein Whos who
von Hollywoods Kriegs- und Science-Fiction-Spezialisten. Unter Vertrag
sind
etwa Drehbuchautor John Milius ("Apocalypse Now"); Paul Debevec,
zuständig
für die Spezialeffekte in "The Matrix"; und Ron Cobb, der unter anderem
die
Monster in "Star Wars" und "Aliens" auf die Leinwand brachte. Selbst die
Gestaltung der Büros stammt von keinem anderen als Howard Zimmermann,
Art
Director der Science-Fiction-Saga "Star Trek", deren Holodeck, die
totale
räumliche Simulation, das erklärte Ziel der ICT-Forscher ist. "Das
Holodeck
ist unser Heiliger Gral", schwärmt Institutsdirektor Richard Lindheim,
einst als Produzent bei Paramount für "Star Trek: Die nächste
Generation"
zuständig.


Dabei ist das ICT nicht das einzige Beispiel für eine Zusammenarbeit von
Militär und Unterhaltungsindustrie. Im Ausbildungszentrum Stricom
("Simulation, Training and Instrumentation Command") in Florida arbeiten
mehrere Themenparkdesigner der nahe gelegenen Universal Studios und des
Erlebnisparks Disneyworld im Dienste der US-Armee. Auch ihr Ziel:
bessere
Ausbildung durch realistischere und überzeugendere Szenarien.

Die Kooperation mit den Zivilen hat für die Armee auch finanzielle
Vorteile. Anstatt Geld für die Entwicklung eigener, proprietärer
Simulationstechnologie auszugeben, nutzen die Militärausbilder
vorhandene
zivile Hochleistungshardware wie die Sony Playstation 2 oder Microsofts
X-Box, die dank Massenproduktion zu niedrigen Kosten zur Verfügung
stehen.
Auch Studios und Konsolenhersteller sollen ihren Vorteil von der
Kooperation haben: Die Abmachung sieht vor, dass alle technischen
Entwicklungen des ICT von der Entertainmentindustrie für eigene Zwecke
verwertet werden dürfen.

Trotz der harmonischen Zusammenarbeit könnte durch ein anderes Projekt
Konkurrenz entstehen: die Armeesimulation "Americas Army", entwickelt
vom
militäreigenen Moves-Institut ("Modeling, Virtual Environments and
Simulation"), ist technisch auf dem allerneuesten Stand und bietet die
gleiche Leistung wie teure kommerzielle Computerspiele - zum Nullpreis,
als
Werbegeschenk. Das Argument: Zukünftige Rekruten sind bessere Spiele
gewöhnt, am Computer ausgebildet, und sie erwarten von ihrer Armee die
höchsten Standards.

"Americas Army" besteht aus zwei Teilen: In "Soldiers" geht es um das
Leben
in der Kaserne. Der Spieler steuert sein virtuelles Double durch den
Kasernenalltag, nimmt an den Übungen teil, muss sich mit Vorgesetzten
und
Kameraden auseinander setzen. Je nach seinen Entscheidungen ändern sich
seine Punktekontos bezüglich "Charakterstärke" und "Karrierechancen".
Eine
story engine, ein location generator und eine animation engine basteln
aus
vorgegebenen Handlungs- und Hintergrundelementen immer neue Situationen
zusammen. Sicher ist man in den Chefetagen Hollywoods schon aufmerksam
geworden: Vielleicht ließen sich dank electronic story telling
Drehbuchautoren durch dramatische Algorithmen ersetzen. "Soldiers"
erinnert
stark an die beliebte Computerspielserie "The Sims", schließlich war
John
Hiles an beider Entwicklung beteiligt.


Der zweite Teil, "Operations", ist ein Strategiespiel, bei dem Teams von
vier, fünf Spielern gegeneinander antreten. Der Clou: Jede Seite sieht
sich
selbst in den Uniformen der US-Armee, die anderen sind "die Bösen". So
steht man automatisch immer auf der Seite "der Guten". Bevor man sich
jedoch in den Kampf stürzen kann, muss jeder Spieler ein
Soldatentraining
absolvieren, das so nah wie möglich an der Wirklichkeit modelliert
wurde.
Das Ausbildungszentrum Fort Benning in Georgia wurde eigens dafür in
Pixel
umgesetzt.

In der Ausbildung lernt der Spieler/Rekrut, wie Waffen geladen und
gereinigt werden, dass Munition begrenzt ist und wie man Granaten wirft.
Sogar eine Ausbildung als "Sniper", als Heckenschütze, ist vorgesehen,
wobei der Spieler lernen muss, "an den richtigen Stellen während des
Schießens mitzuatmen". So viel Wirklichkeitstreue ist hart erarbeitet:
Das
gesamte Programmiererteam musste sich im echten Fort Benning dem Drill
unterziehen, nächtliche Fallschirmabsprünge, Schießübungen mit dem M-16
und
Armeeverpflegung inklusive. Erst wenn der Spieler in der Ausbildung die
nötige Punktezahl erreicht hat, wird er für Operationen zugelassen.


Am 4. Juli 2002 wurde "Americas Army" zum kostenfreien Download ins Netz
gestellt. Zwei Monate später war das 211 Megabyte große Spiel etwa
2,5-Millionen-mal von den Servern abgerufen worden, in den USA wird es
außerdem umsonst auf CDs verschickt. Das Kalkül der Macher, durch das
Spiel
zukünftige Rekruten zu werben, scheint aufzugehen: Knapp ein Drittel der
Zugriffe auf die Rekrutierungsseite erfolgt nun von der Homepage des
Spiels
aus. Und über die Fähigkeiten ihrer Bewerber weiß die Armee nun auch
besser
Bescheid: Wer sich um eine echte Karriere in der wirklichen Armee
bemüht,
kann seinen Punktestand an das Department of Defense schicken. Die
Zeiten,
in denen ein einfaches "Uncle Sam wants you"-Poster zur Anwerbung
ausreichte, sind wohl endgültig vorbei.


DIETMAR KAMMERER, 30, geht immer noch viel und gerne ins Kino, lebt als
freier Autor in Berlin und bereitet zurzeit seine Dissertation zum Thema
"Videoüberwachung" vor
taz Magazin Nr. 6951 vom 11.1.2003, 297 Zeilen, DIETMAR KAMMERER

---------------------------------------------------------------
Liste verlassen: 
Mail an infowar -
 de-request -!
- infopeace -
 de mit "unsubscribe" im Text.