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[infowar.de] Horst-Eberhard Richter zu Journalisten und Kriegspropaganda



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http://www.freitag.de/2003/05/03051101.php

Freitag 05, 24.1.2003

Horst-Eberhard Richter

Im Verwirrspiel gleichgeschaltet 

IDENTITäTSKRISEN

Viele Journalisten wissen, dass sie zu Handlangern einer
Kriegspropaganda werden. Aber sie sagen nicht, was sie merken 

Wir schreiben das Ende der siebziger Jahre. Die nüchterne,
technokratische Ordnungspolitik Helmut Schmidts hat den Ruf nach "mehr
Demokratie wagen" verstummen lassen. Die soziale Aufbruchstimmung unter
Willy Brandt ist passé. Da melden sich eines Tages bei mir zwei
politische Redakteure eines deutschen Senders. Sie sind durch den
Klimawechsel beunruhigt und wollen wissen, ob es ihren journalistischen
Kolleginnen und Kollegen ähnlich ergehe. Sie suchen mich in meiner
Klinik auf. Ob ich nicht Lust hätte, diesem Problem eine empirische
Untersuchung zu widmen. Sie würden behilflich sein, mir die Adressen
aller infrage kommenden Redakteure zu besorgen. Es war ein mehrfaches
Wagnis. Hauptfrage: Würden die zu befragenden Journalisten mitmachen?
Zumindest aber sollte sich ein Versuch lohnen.

Gemeinsam entwickelten wir damals einen ausführlichen Fragebogen zur
Arbeitssituation und zum Befinden, den wir allen Redakteuren des
politischen Programmteils des Bayrischen und des Norddeutschen Rundfunks
übermittelten, die keine höhere Position als die eines Redaktions-
beziehungsweise Abteilungsleiters innehatten. 101 von 191 angefragten
Redakteuren schickten den Bogen ausgefüllt zurück - eine befriedigende
Beteiligung angesichts des heiklen Themas. 69 Prozent der Befragten
stellten fest, das Publikum werde von den Sendern politisch bevormundet.
Die Journalisten des Bayrischen Rundfunks schätzten diesen Einfluss noch
höher ein als ihre NDR-Kollegen. Journalisten, die sich auf einer Skala
eher als links orientiert einstuften (63 Prozent), empfanden sich
gegenüber früher als stärker von oben kontrolliert und eingeschränkt. 

Der Spiegel veröffentlichte die Resultate. Es gab darüber keine
besondere Aufregung außer beim Intendanten des Bayrischen Rundfunks. Wo
steckten die Verräter, die Nestbeschmutzer, die sich hinter dieser
Recherche verbargen? Alle internen Verhöre blieben erfolglos. Einen der
Gesuchten habe ich später gelegentlich auf dem Bildschirm wiedergesehen
- mit zunehmend brav affirmativen Kommentaren.

Es war die Zeit, als sich der Reformgeist, der von unten aus überall die
hierarchischen Strukturen erschüttert hatte, langsam wieder zurückzog.
Die antiautoritäre Strömung, die zuvor vielen Mut gemacht hatte, eine
traditionelle Anpassungshaltung zugunsten unabhängiger kritischer
Stellungnahme aufzugeben, ebbte ab.

Zahlreiche Journalisten erlebten diese Veränderung an sich selbst, als
Einschränkung ihrer Unabhängigkeit und als Schwanken zwischen
Anpassungsbereitschaft und Angst vor Selbstverrat. Viele erlebten den
Wandel als persönliche Identitätskrise. Sie wollten besser verstehen,
was mit ihnen gemacht wurde und was zugleich in ihnen selbst vorging. So
kam die Anfrage an uns, die wir als Suche zur Unterstützung einer Art
von gemeinsamer Selbsthilfe verstanden. Es ging um die Klärung ihrer
Situation, ihrer Befindlichkeit. Wie erging es den anderen? War man mit
den eigenen Problemen in der Mitte eines gemeinsamen Trends, war man
eher am Rande, vielleicht sogar draußen? Dass so viele Journalisten von
sich aus und ohne Vorbehalt Einblicke in ihre Einstellungen und ihre
persönlichen Erfahrungen gaben, erscheint von heute aus erstaunlich und
ist bezeichnend für das damalige Aufklärungsbedürfnis und das Vertrauen
in die Diskretion der Untersucher.

Es ist kaum vorstellbar, dass Journalisten gegenwärtig eine ähnlich
heikle Studie über sich selbst initiieren würden. Die meisten sind in
der Selbstoffenbarung zweifellos vorsichtiger geworden. Viele leben
unter größerem Anpassungsdruck. Das hatte bereits Anfang der achtziger
Jahre begonnen, als sich die westlichen Medien mehrheitlich verpflichtet
glaubten, die atomare Abschreckung zu unterstützen, das heißt die
Bedrohungsgefühle von den Atomwaffen auf die Russen umzulenken. 

Als 1991 Golfkrieg Nummer zwei bevorstand, eilten die deutschen Medien
mit ihrer Unterdrückung von Kriegskritik den Amerikanern noch voraus.
Ein Beispiel aus der eigenen Erfahrung: Wenige Wochen vor Kriegsausbruch
flog ich mit einem selbstverfassten Friedensappell, den 450 deutsche
Professorinnen und Professoren unterschrieben hatten, nach Washington.
Andreas Flitner und ich diskutierten den Appell mit Politikern in beiden
Häusern des amerikanischen Kongresses und konnten den Text sogar
ungekürzt in der Washington Post unterbringen. Gleichzeitig erläuterte
Andreas Buro den Appell auf einer stark besuchten Pressekonferenz in
Bonn. Aber keine deutsche Zeitung traute sich, den Appell zu drucken
oder auch nur als Notiz bekannt zu machen. Den Amerikanern sollte
verschwiegen werden, was eines ihrer angesehensten eigenen Blätter dem
Publikum bedenkenlos offenbarte.

Inzwischen vermitteln die westlichen Medien ohne besondere nationale
Unterschiede im wesentlichen das amerikanische Weltbild. Das ist das
Ergebnis einer schwedischen Studie, die das dortige "Amt für
psychologische Verteidigung" veröffentlicht hat, das eigentlich mit der
Beeinflussung der Bevölkerung im Sinne des Staatsinteresses beauftragt
ist. Die schwedischen Untersucher haben speziell die Informationspolitik
zu Zeiten des Kosovo-Krieges erforscht. Ausgewertet haben sie vor allem
Produkte der schwedischen und zum Teil der britischen Medien. Aber in
weiten Teilen dürften die Resultate auch für das übrige Europa gelten.
Als Fazit zitiert Reinhard Wolff, der die Studie in der taz bekannt
gemacht hat: "Die Unabhängigkeit und die Integrität der Medien in der
westlichen Welt sind in der neuen Weltordnung immer mehr
zurückgegangen." Im Kosovo-Krieg habe die Nato mit ihrer
Propagandakampagne Presse und Fernsehen vollkommen beherrscht: "Die
Medien der kriegführenden Länder verwandelten sich von einem kritischen
Kontrolleur der Staatsmacht in eine vierte Waffengattung neben Heer,
Luftwaffe und Marine." Die Meinung der UÇK sei unkritisch wiedergegeben,
abweichende Auffassungen seien marginalisiert worden. Im Kosovo-Krieg
habe die Nato "den Kampf um die kommunikative Herrschaft" eindeutig
gewonnen. Die Journalistinnen und Journalisten seien im Pressezentrum
pausenlos zur Füllung ihrer Fernsehprogramme bedient worden, sodass für
sie keine Zeit zu eigenen Recherchen übrig geblieben sei. Aber die
Tendenz zu einer regelrechten freiwilligen Gleichschaltung sei eindeutig
gewesen.

Bemerkenswert ist indessen noch ein Ergebnis in Schweden, das sich auch
aus eigenen Erhebungen (zusammen mit Elmar Brähler) ablesen lässt:
Zwischen dem Bild der Medien und den durch Umfragen ermittelten
Meinungen der Bevölkerung herrschte oft eine erhebliche Differenz. Das
Publikum habe, so die schwedischen Untersucher, dem Dauerbeschuss der
Nato-Propaganda deutlicher widerstanden als die Medienprofis. Die
Bevölkerung habe zu großen Teilen ihre Bedenken gegen die Legitimität
des Nato-Einsatzes aufrechterhalten, was immer die
"Informations-Kriegsführung" ihnen einzureden versucht habe.

Ähnlich skeptisch bis misstrauisch beobachtet nun ein Großteil der
europäischen Bevölkerungen die Entwicklung des amerikanischen
Dauerkrieges nach dem 11. September. Das gilt unter anderem für die
Franzosen, die Deutschen, aber auch die Briten. Bei einer
repräsentativen Untersuchung in Deutschland, von Brähler und mir im Juni
2002 vorgestellt, hielten sich Ablehnung und Zustimmung zu deutscher
Beteiligung an den ausländischen Kriegseinsätzen noch etwa die Waage.
Deutliche Ablehnung signalisierten die Frauen und die Ostdeutschen. Als
dann aber die amerikanische Propaganda-Offensive einen Angriff auf den
Irak wahrscheinlich machte, wuchs der Widerwille gegen diesen Krieg und
erst recht gegen eine etwaige deutsche Beteiligung rasch an.

September 2002 bot sich dann für die Bundesdeutschen die ganz seltene
Gelegenheit, ihre kriegsablehnende Haltung wenigstens innenpolitisch
unmittelbar wirksam zu machen. Sie belohnten Kanzler Schröder mit einem
kaum noch erhofften Wahlsieg dafür, dass er den vorbereiteten Irak-Krieg
einen Fehler nannte und eine deutsche Beteiligung unter einer von ihm
geführten Regierung kategorisch ausschloss. 

Aber im Bild der Medien schlug sich die von Schröder unterstützte
Anti-Kriegshaltung der Bevölkerung zunächst weniger nieder als die
Besorgnis über die in Washington angerichtete Verstimmung, wo die
Reaktion tatsächlich eher an persönlich gekränkte Eltern gegenüber
unbotmäßigen Kindern erinnerte. - Der amerikanischen Regierung fiel es
in der Folgezeit indessen erkennbar schwerer, den Kriegswillen zu
begründen. Von den ausgesandten UN-Inspektoren kam kein Signal, dass sie
im Irak Massenvernichtungswaffen gefunden hätten. Zu einem neuen
Nuklearprogramm führte kein Hinweis. Nur 40 Prozent sind nach
Expertenurteil von der militärischen Kampfkraft übriggeblieben, über die
der Irak noch vor zwölf Jahren verfügt hatte - von Bedrohung Amerikas
und der übrigen Welt also keine Spur. Bleiben die lockenden Ölvorräte,
von denen aber mit Bedacht nicht geredet wird. Bleibt Saddam Hussein,
einer aus der Reihe der finsteren Militärdiktatoren, von denen Asien und
Afrika eine ganze Reihe aufzubieten haben. Hätten ihn nicht die USA erst
ähnlich freundschaftlich hochgerüstet und unterstützt wie in Afghanistan
bin Laden und hätten ihn die Medien nicht systematisch zum übermächtigen
Herrscher der Finsternis mythisiert, wäre er niemals zu der heutigen
übergroßen Schreckensfigur avanciert. Auf drei Spiegel-Seiten hatte ihn
einst Hans Magnus Enzensberger gar zum Hitler-Wiedergänger erhöht. Jetzt
kann Saddam Hussein machen, was er will: sich bei den Kuwaitis
entschuldigen, die CIA zur Kontrolle aller vermuteten Geheimressourcen
einladen, den UN-Inspektoren willig zuarbeiten - als Ersatz-Hitler,
nachdem bin Laden und Milosevic für diese Rolle momentan nicht mehr
verfügbar sind, macht er, wie man sieht, alle anderen Kriegsgründe
scheinbar psychologisch entbehrlich.


Warum noch über das Für oder Wider der militärischen Invasion streiten,
wenn ohnehin alle merken, dass der Wille zum Krieg schon hinreichend
eingehämmert wurde? Wohl nicht zufällig bringen nun die New York Times
durch George Parker und der Tagesspiegel durch Harald Martenstein eine
interessante Meinung tonangebender amerikanischer Intellektueller zur
Kenntnis: Demnach gehe es gar nicht primär um die Abwendung einer
fiktiven irakischen Bedrohung, sondern um die Gewinnung einer
Ausgangsbasis für eine schrittweise Amerikanisierung des gesamten
islamischen Mittleren Ostens. Zum Vergleich wird die geglückte
Amerikanisierung Europas durch die kriegerische Zerstörung des
Nazi-Reiches genannt. Der Irak biete sich jedenfalls momentan am
geeignetsten als Brückenkopf an, das heiß als erstes vorläufiges
Angriffsziel, um den islamischen Raum für eine kulturelle Entwicklung
nach westlichen Maßstäben umzuprägen. Die New York Times hat den Stein
ins Wasser geworfen. Harald Martenstein hat das Signal aufgenommen. Wäre
nun nicht eine Debatte über diese Idee überfällig? Und warum wird sie
bisher vermieden, obwohl doch einsichtig ist, dass die Ingangsetzung der
gewaltigen Militärmaschinerie kaum nur zur Niederringung des schwachen
Wüstenreiches verständlich ist? Warum merken die Medien nicht, dass sie
sich von der unablässig vorgespiegelten irakischen Bedrohung genauso
täuschen lassen wie der Stier in der spanischen Corrida, der bis zur
Erschöpfung hinter der geschwenkten roten Muleta herhetzt? Aber gewiss
ist vielen hellsichtigen Journalisten durchaus klar, dass sie ein
Verwirrspiel mitmachen. Sie sagen nur nicht, was sie merken.

Dennoch ist die Debatte über die skizzierte Erweiterung des
Kriegsprogramms unerlässlich. Wenn es aus den zitierten amerikanischen
Kreisen heißt, die angestrebte Verwestlichung des islamischen Raums
könne so etwas wie die Schlussetappe der liberalen kapitalistischen
Weltrevolution einleiten, dann wird doch erst der große Zusammenhang
deutlich, in welchem der unbedingte Wille zur militärischen Offensive
gesehen werden muss.

Die Propagandaoffensive zur Vorbereitung des Irak-Krieges fordert den
Journalisten Verrenkungen ab, die nur noch als intellektuelle Korruption
zu bezeichnen sind. Jeder sieht doch, dass Bush von vornherein will, was
ihm Saddam Hussein angeblich nur aufzwingt. Eine fürchterliche Bedrohung
soll glaubhaft gemacht werden, die aber gar nicht existiert. Dass der
Irak für ein Atomprogramm, das er allem Anschein gar nicht mehr hat,
erneut ins Elend gebombt werden muss, während Nordkorea, das
nachweislich an einem solchen Programm arbeitet und UN-Kontrolleure
rauswirft, heil davonkommt, soll plausibel gemacht werden. Diese
Verdummungskampagne mitzumachen, anstatt kritisch aufzuklären, kann doch
nur resignativen Zynismus, psychosomatische Krankheit oder eine
moralische Deformierung produzieren. Jedenfalls ist es ein Nährboden für
Identitätskrisen neuer Variante. Aber das wird wohl erst spätere
Forschung aufdecken, die hoffentlich nicht den Medien erneut
bescheinigen wird, sie hätten sich wiederum nur als vierte Waffengattung
demaskiert.

Die erwähnte Studie Politische Einstellung in Deutschland von
Horst-Eberhard Richter und Elmar Brähler erscheint demnächst in der
Zeitschrift psychosozial. Die schwedische Studie Kampf um den
kommunikativen Raum war in Teilen in der taz vom 31. 12. 2002
dokumentiert, s.a. www.psycdef.se/bibliotek/report_show

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