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[infowar.de] SZ, 19.3.03: Der gefährliche Minutenwettlauf der Fernsehsender um die ersten Bilder des Krieges



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Süddeutsche Zeitung, 19.3.2003

Abschied aus Bagdad 

Der gefährliche Minutenwettlauf der Fernsehsender um die ersten Bilder
des Krieges 

Der 11. September 2001 war ein Tag, an dem das ARD-Büro in New York
zufällig verwaist war, weil der Korrespondent für eine Reportage
unterwegs war, irgendwo in den Weiten des amerikanischen Kontinents. Es
war ein Tag, an dem das ZDF nach den Flugzeug-Einschlägen ins World
Trade Center schnell auf Sendung war, dann aber merkte, dass es nicht im
erforderlichen Umfang Zugriff auf CNN-Bilder hatte. Beim privaten
Rivalen RTL nährt man seither mit großer Energie den Ruf in eigener
Sache, die schnellste und beste Berichterstattung über die Attentate in
New York und Washington hingelegt zu haben. 

Die Zugriffsmöglichkeit auf Bilder anderer Sender könnte auch im Irak-
Krieg zum entscheidenden Faktor werden. Zum einen, weil man sich bei den
deutschen TV-Stationen von einer breiteren Bildauswahl mehr Objektivität
erwartet. Zum anderen, und diese Einschätzung hört man zurzeit in allen
Häusern, weil völlig unklar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen
die eigenen Korrespondenten nach Kriegsbeginn überhaupt aus Bagdad
berichten können. 

Die USA haben alle ausländischen Journalisten aufgefordert, die Stadt
vor Kriegsbeginn zu verlassen. Berichte aus dem unmittelbaren
Kriegsgeschehen sind offenbar unerwünscht - sofern sie nicht von solchen
Journalisten stammen, die als ?embedded correspondents" an der Seite der
US-Streitkräfte stehen. Das US-Verteidigungsministerium drohte bereits,
das ElRaschid-Hotel und mindestens drei weitere Hotels in Bagdad, in
denen ausländische Medienvertreter mit Genehmigung des irakischen
Informationsministeriums leben, auf die Zielliste für die erste Welle
der geplanten Luftangriffe zu setzen. Die Gefahr für Journalisten in
Bagdad ist extrem groß. 

Die ARD hat ihren Korrespondenten Jörg Armbruster am Dienstag
angewiesen, aus Bagdad abzuziehen, sagt Programmchef Hartmann von der
Tann. Nach Angaben von Helga Kipp-Thomas, Chefin vom Dienst bei ARD
aktuell, hat der frei arbeitende Reporter Stefan Kloss die
Bagdad-Berichterstattung übernommen - der 33-Jährige ist schon im
Afghanistan-Krieg mit Exklusiv-Beiträgen aufgefallen. Beim ZDF hieß es,
man stehe mit Ulrich Tilgner in ständigem Kontakt, um gebenenfalls eine
Abreise zu veranlassen. ?Jeder hat das Recht, zu gehen, das hat nichts
mit Mut zu tun", erklärt Chefredakteur Nikolaus Brender. Offenbar ist
dem Irak allerdings daran gelegen, Berichterstatter in Bagdad zu halten:
es sei dem ZDF-Team zunächst nicht gestattet worden, seinen Ü-Wagen vom
Hof des irakischen Informationsministerium wegzufahren. 

Die Entscheidung über Gehen oder Bleiben will RTL-Chefredakteur Hans
Mahr seiner Bagdad-Korrespondentin Antonia Rados selbst überlassen: ?Ich
werde den Teufel tun, ihr von weit weg zu sagen, was sie zu tun hat."
Bei N24, dem Nachrichtensender der Pro Sieben- Sat 1-Senderfamilie,
heißt es, über einen Abzug der Korrespondentin Katrin Sandmann werde
stündlich neu entschieden.

Außerdem gibt es Spekulationen über technische Einschränkungen des
Sendebetriebs aus dem Irak und den angrenzenden Gebieten. Ein Gerücht
besagt, die USA könnten so genannte E-Bomben einsetzen, die angeblich
mit hoch energetischen Mikrowellen elektrische und elektronische Geräte
lahm legen - also auch die Satellitentelefone der Journalisten.
ZDF-Chefredakteur Brender bezieht auch ein Szenario mit ein, bei dem
Satelliten ?von oben" abgeschaltet werden. 

Wenn der Konjunktiv regiert 

Kein Bild aus Bagdad, keine Information, kein Kontakt - das wäre der
worst case bei Kriegsbeginn. Und das in einer Konkurrenzsituation, die
sich schon seit Monaten in fiebrigen Minutenzeiträumen bemisst: daran,
wie lange die Stationen von Kriegsbeginn an brauchen, um aktuell auf
Sendung zu gehen. 

So haben sie alle - das ist Teil der Chronik eines angekündigten Krieges
- international ihre Netze geknüpft und mehr oder minder exklusiven
Zugriff auf fremdes Sendematerial ausgehandelt. In wieweit diese
Kooperationen aber Berichte aus Bagdad ermöglichen, ist offen: Auch
internationale Stationen ziehen in diesen Tagen ihr Personal aus der
irakischen Hauptstadt ab. Am gestrigen Dienstag instruierten die
US-Sender ABC und NBC ihre Reporter auf, Bagdad zu verlassen. 

RTL stützt sich am stärksten auf CNN: Diese Kooperation bietet sich an,
weil AOL Time Warner, Mutterkonzern des US-Nachrichtensenders, und RTL
gemeinsam n-tv besitzen. Zugleich hat RTL eine mündliche Vereinbarung
mit FoxNews, dem CNN-Konkurrenten in den USA, der Bush deutlich näher
steht. N 24 dagegen will außer auf eigene Korrespondenten nur auf
Agenturmaterial von Associated Press Television News (APTN) und Reuters
TV zurückgreifen. 

Auch die ARD plant CNN ein. Man könne in gewissen Umfang Material von
dort beziehen, dürfe es allerdings nicht simultan senden, sagt ARD-Frau
Kipp- Thomas. Wichtigster Helfer sei ABC aus dem Disney-Konzern: Hier
ist unbegrenzter Zugang möglich. Ein informelles Abkommen gebe es zudem
mit Fox. 

Trumpf des ZDF ist die Zusammenarbeit mit dem arabischen Sender El
Dschasira, der seit dem 11. September und dem Afghanistan-Krieg als
wichtige Informationsquelle aus der arabischen Welt gilt. Ein ZDF-Team
ist in der El Dschasira-Zentrale in Katar vor Ort, um geeignetes
Material auszuwählen. Daneben hat sich das Zweite nach Angaben von
Brender auch Zugriff auf NBC gesichert. 

Zusammen mit vorbereiteten Hintergrundberichten und Beiträgen von
Korrespondenten hoffen die TV-Größen, im Kriegsfall genügend
Informationsquellen zu haben. Woher die Bilder stammen, das betonen
alle, wird für den Zuschauer deutlich sichtbar sein - und, wenn nötig,
auch vom Moderator kommentiert werden. ?Die wichtigste Zeitform der
Kriegsberichterstattung ist der Konjunktiv", sagt ZDF-Chefredakteur
Brender. 

Sicher ist: Wenn die ersten Bomben fallen, beginnt auch im deutschen
Fernsehen der Ausnahmezustand. ?Mehr oder minder
Dauerinformationssendungen" kündigt ARD-Programmchef von der Tann für
die erste Zeit an - etwa Brennpunkt-Ausgaben, die vom SWR-Auslandschef
Immo Vogel und SWR- Chefredakteur Michael Zeiß moderiert werden. Später
wolle man je nach Stand der Dinge flexibel Zugriff aufs Programm nehmen
oder Laufbänder mit Informationen einblenden. Auch beim ZDF sind
großflächige aktuelle Sondersendungen mit Claus Kleber, Steffen Seibert,
Norbert Lehmann (zdf- reporter) geplant. Arbeitstitel: ?Der Krieg am
Golf". Die Ausgaben von ZDF-Spezial soll Dietmar Ossenberg
(auslandsjournal) übernehmen. 

RTL plant ?in den ersten Tagen über viele Stunden eine Sondersendung" -
mit Anchorman Peter Kloeppel, sagt Chefredakteur Mahr. Titel: ?Krieg
gegen den Irak". Später werde man die Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung
zurückfahren, aber bei Bedarf flexibel auf Sendung gehen. Bei Rivale Sat
1 ist noch einiges offen, wobei die Moderatoren Jochen Sattler und Julia
Hacke eingesetzt werden. Zum Minutenwettlauf bei Kriegsbeginn sagt eine
Sprecherin lapidar: ?Ein Laufband hat man in 1:30 eingeblendet". 

CLAUDIA TIESCHKY

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