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[infowar.de] TELEPOLIS: Gesichtserkennung auf dem Pruefstand



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Gesichtserkennung auf dem Prüfstand

Johannes Zerbst   27.03.2003 
 
Eine Studie zum Thema computergestützte Gesichtserkennung wirft neue 
Fragen auf, was den internationalen Bestrebungen zur Einführung 
biometrischer Ausweisdokumente allerdings keinen Abbruch tut 
 
In den USA ist in der Vorwoche des Irakkriegs mit dem Face Recognition 
Vendor Test 2002 [1] (FRVT) eine umfangreiche Studie zum Thema 
computergestützte Gesichtserkennung veröffentlicht worden. Darin wird 
den Überwachungsprodukten aus diesem Marktbereich über die letzten zwei 
Jahre eine deutliche Leistungssteigerung bescheinigt. Die 
ausschließlich technisch angelegte Studie unter Schirmherrschaft des 
"National Institute of Standards and Technology" ( NIST [2]) testete im 
Sommer 2002 im Auftrag verschiedener Regierungsbehörden sechzehn 
unterschiedliche Erkennungssysteme auf ihre Praxistauglichkeit, 
darunter auch die Software deutscher Firmen. 
 
Dabei wurde das Untersuchungsdesign jenen Anforderungen angepasst, die 
staatliche Interessenten an praxistaugliche Überwachungs-Tools stellen. 
An Kontrollstellen auf Flughäfen oder an der Landesgrenze muss es eine 
solche Software bewerkstelligen können, die Identität von Einreisenden 
anhand ihres Ausweisdokumentes zu bestätigen oder sie unter Rückgriff 
auf eine Datenbank zu identifizieren. Erwartet wird überdies, in einer 
"watch-list" gespeicherte, staatlich gesuchte Personen bei Bedarf auch 
in Echtzeit mit Hilfe von Überwachungskameras in einer Menschenmenge 
orten zu können. 

Um realitätsnähere Bedingungen zu schaffen, bettete FRVT 2002 die von 
Testpersonen erhobenen Datensätze in eine digitalisierte 
Lichtbild-Datenbank ein, die unter Rückgriff auf das "mexican 
non-immigrant" Visa-Archiv des US-Department of State bereits 121.589 
Foto-Daten von 37.437 Personen enthielt. 

Geringe Leistungsfähigkeit 

Im Abschlussbericht finden sich neben anbieterspezifischen 
Leistungsbewertungen der Praxistauglichkeit auch eher skurril anmutende 
Ergebnisse, wie zum Beispiel die Feststellung, dass weibliche Probanden 
schwieriger zu identifizieren seinen als männliche, und die 
Identifikation älterer TestteilnehmerInnen offensichtlich 
erfolgversprechender zu bewerkstelligen sei als bei jüngeren. 

Selbst unter Idealbedingungen garantierten die besten Produkte nur eine 
Identifikationsquote von bis zu 90 % bei einer Falschidentifikation von 
1 %. Wesentlich schlechtere Ergebnisse wurden geliefert, wenn in der 
Praxis relevante Faktoren wie z.B. eine schlechtere Bild-Ausleuchtung 
bei Außenaufnahmen, das Alter der Referenzdaten sowie 
Größenunterschiede im Umfang der verwendeten Referenzdatenbank oder der 
"watch-list" berücksichtigt wurden. 

Unter "ourdoor"-Bedingungen leistete selbst das beste System nur eine 
Erkennungsrate von 50% bei 1 % Falsch-Identifikation. Bei einer 
simulierten "watch-list" von 300 Personen wies das beste System gerade 
noch eine Identifikationsrate von 69 % vor.       
 
Auch der Zeitraum, der zwischen Erfassung eines Bildes in der Datenbank 
und der späteren, darauf basierenden Identifikation einer Person liegt, 
scheint die Leistung von Erkennungssystemen zu schmälern. Die Gutachter 
konstatieren dem besten System in diesem Zusammenhang einen jährlichen 
Rückgang der Identifizierungsquote von 5 %. 
 
Implizit wird durch die zahlenmächtige Studie die für biometrische 
Applikationen maßgebliche Grundannahme relativiert bzw. in Frage 
gestellt, dass jeder Mensch über zeitlose unveränderliche individuelle 
Merkmale verfüge, die eine eindeutige Identifikation mit möglichst 
zeit- und kostengünstigem Aufwand einwandfrei ermöglichen können. 
 
Politisches Verlangen nach biometrischen Merkmalen unbeeindruckt von 
der geringen Leistungskraft 

Trotz der somit nach wie vor unzureichenden Leistungsfähigkeit von 
Gesichtserkennung gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass die 
US-Administration von ihrem Vorhaben abrückt, auf Grundlage des 
Enhanced Border Security and Visa Entry Reform Act [3] im Visa-freien 
Grenzverkehr des Visa Waiver Program [4] ab Oktober 2003 nur noch 
maschinenlesbare Pässe zu akzeptieren, die zudem spätestens ab 26. 
Oktober 2004 biometrische Daten des Passbesitzers enthalten sollen. 
Sollten die 29 betroffenen Staaten, zu denen auch Deutschland zählt, 
bis zu diesem Termin keine entsprechenden Änderungen an ihren Pässen 
vorgenommen haben, werden demnach Reisende künftig wieder unter die 
Visa-Pflicht fallen, wobei die USA sich bei der Ausstellung dieser 
Dokumente die Erhebung biometrischer Daten und deren Weiterverwendung 
vorbehält [5]. 

Diesbezüglich hat die Standardisierungsbehörde NIST schon Vorarbeiten 
geleistet und dem US-Kongress Mitte Februar unter Einbeziehung der 
jetzt veröffentlichten FRVT-Ergebnisse unter anderem die Empfehlung [6] 
ausgesprochen, biometrische Daten von Fingern und Gesicht in künftige 
biometrische Visa-Dokumente aufzunehmen: 

"(...) within the intelligence community, facial data is often the only 
biometric data that has been and is currently being captured. Based on 
these considerations, our measurements indicate that a dual biometric 
system including two fingerprint images and a face image may be needed 
to meet projected system requirements for verification."       

Diese Favorisierung von biometrischen Gesichtsmerkmalen und 
Fingerabdrücken dürfte sich auch auf die Bestrebungen zur Einführung 
biometrischer Ausweisdokumente in der EU auswirken. Die Kommission 
meldete [7] Mitte letzten Jahres, jedwede Entwicklung, aufgrund deren 
biometrische Daten in US-Pässen verwendet werden, aufmerksam verfolgen 
zu wollen. Verschiedene EU-Staaten, darunter auch Deutschland, haben 
nach dem 11.September 2001 bereits die gesetzlichen Grundlagen für die 
Einführung biometrischer Ausweisdokumente geschaffen. 

Kein Alleingang 

Nach einer Entschließung [8] des Rates der EU haben die Mitgliedstaaten 
zudem so schnell wie möglich, spätestens jedoch zum 1. Januar 2005 
(Pässe) bzw. 1. Januar 2006 (Personalausweise) maschinenlesbare 
Dokumente nach Maßgabe der Empfehlungen [9] der ICAO [10] einzuführen, 
welche sich für die Implementierung biometrischer Gesichtsmerkmale 
ausspricht. Eine Einführung biometrischer EU-Visa nach dem Vorbild der 
USA, die Deutschlands Innenminister Schily regelmäßig anmahnt, ist nach 
derzeitiger Beschlusslage allerdings erst frühestens im Jahre 2008 
möglich. 

Innenminister Schily und "Heimatschutzminister" Ridge aus den USA 
trafen bei einer Zusammenkunft [11] Anfang Februar weitere Absprachen 
darüber, sich für international einheitliche Standards bei Kontrollen 
mit Hilfe biometrischer Verfahren einzusetzen. So soll vermieden 
werden, dass sich Staaten im Alleingang auf unterschiedliche 
Identifizierungsmerkmale in Ausweisdokumenten festlegten, was eine 
grenzüberschreitende Überprüfung sowie den Datenaustausch zwischen den 
Geheimdiensten erschweren würde. 

Anlässlich der Computermesse CeBIT, auf der sich auch in diesem Jahr 
Anbieter von computergestützten Überwachungssystemen tummelten, die in 
der staatlichen Biometrie-Nachfrage einen ertragreichen Zukunftsmarkt 
wittern, mahnte [12] Innenminister Schily noch einmal zur Geduld: "Es 
wird keinen Alleingang geben. Wir brauchen auf diesem Gebiet eine 
internationale Standardisierung." 

Einer Pressemitteilung [13] des Innenministeriums ist zu entnehmen, 
dass auf Anregung von Schily bereits im vergangenen Jahr eine 
deutsch-amerikanische Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist, die offenbar 
dazu dienen soll, eine gemeinsame Linie beider Länder für die 
Einführung internationaler Standards für biometrische Dokumente 
auszuarbeiten. Die Einführung von Pässen und Ausweisdokumenten, die 
biometrische Merkmale enthalten, ist schließlich als globale Bescherung 
geplant. 
 
Links 
 
[1] http://www.frvt.org/FRVT2002/default.htm
[2] http://www.nist.gov/
[3] 
http://frwebgate.access.gpo.gov/cgi-bin/getdoc.cgi?dbname=107_cong_bills
&docid=f:h3525rfs.txt.pdf
[4] 
http://www.immigration.gov/graphics/shared/lawenfor/bmgmt/inspect/vwpp.h
tm
[5] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-25.04.02-010/
[6] http://www.itl.nist.gov/iad/894.03/NISTAPP_Nov02.pdf
[7] 
http://www2.europarl.eu.int/omk/OM-Europarl?PROG=WQA&L=DE&PUBREF=-//EP//
NONSGML+WQA+E-2002-1068-N+0+DOC+WORD+V0//DE&LEVEL=4&NAV=S&SAME_LEVEL=1
[8] 
http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/c_310/c_31020001028de000
10004.pdf
[9] http://www.icao.int/icao/en/atb/fal/mrtd/doc9303.htm
[10] http://www.icao.int/
[11] http://www.bmi.bund.de/dokumente/Rede/ix_91546.htm
[12] http://www.bmi.bund.de/dokumente/Rede/ix_91692.htm
[13] http://www.bmi.bund.de/dokumente/Pressemitteilung/ix_90709.htm
 
Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/14463/1.html 

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