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[infowar.de] TELEPOLIS: Die Wuestenschiffe des US-Marine-Corps



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Die Wüstenschiffe des US-Marine-Corps

Christian Gapp   03.04.2003 

In der kritischen Kriegsberichterstattung dominiert das Wort 
"angeblich", mit dem man sich auch gerne von Recherchen entlastet 

Inzwischen ist offenkundig, dass der Vormarsch der Alliierten im Irak 
nicht so verläuft, wie es sich die Planer erhofft hatten. Aber schon 
nach dem fünften Tag, als die ersten Bilder zerstörter amerikanischer 
Schützenpanzer in den TV-Nachrichten kursierten, begann in einem 
amerikanischen Forum eine erste kritische Diskussionen darüber, ob die 
eigenen Streitkräfte überhaupt richtig ausgerüstet sind. Es 
diskutierten technikbegeisterte Modellbauer. Daran wird deutlich, dass 
nur der, der militärtechnologische Fakten kennt, wirklich kritisch sein 
kann. 

Seit der Erfindung der Fotografie vor 164 Jahren war die Kritik am 
vermeintlich automatischen Wahrheitsgehalt technisch erzeugter Bilder 
fast ausschließlich eine Sache der elitären Kunst- und Medienkritik. 
Seit Beginn des neuen Golf-Krieges ist dies anders. 

Kaum eine Videosequenz, kaum ein Foto, kaum eine Einstellung, die nicht 
mit dem verbal erhobenen Zeigefinger des Kommentators versehen wird, 
dass Bilder nicht die ganze Wahrheit zeigen, dass nur das gezeigt wird, 
was die Kriegsparteien gezeigt wissen wollen, dass Bilder nichts 
beweisen. Kurz und knapp, man kann ja nicht jedes Bild in einen Sermon 
von Grundsatzzweifeln einbetten, wird zunehmend das Attribut 
"angeblich" zum Container für mediale Wachsamkeit: Zerstörte Fahrzeuge 
sind "angeblich amerikanisch", Tote am Rand der Wüstenrollbahn sind 
"angeblich Iraker". 

Die Entwicklung wird wahrscheinlich dahin gehen, dass leblose Körper 
bald als "angeblich tot" bezeichnet werden. Dem journalistischen 
Praktiker Ulrich Tilgner, Korrespondent des ZDF in Bagdad, geht die 
sich breit machende Pauschalrelativierung zu weit: 

"Wenn hier zwei Autos zusammen stoßen, dann spricht die Weltpresse von 
einem angeblichen Verkehrsunfall."       

Technische Bilder sollten wie jede potenziell historische Quelle 
behandelt werden. Dazu gehört, die Umstände der Entstehung zu 
beschreiben: Wann? Wo? Was? Wer hat es gemacht? Das ist in Zeiten 
kriegerischer Bilderfluten sicherlich schwieriger als sonst. Nicht 
immer sind alle W's beantwortbar. Und dann macht ein warnender Hinweis 
selbstverständlich Sinn. Es darf jedoch nicht sein, dass pauschale 
"angeblich"-Hinweise journalistisches Fachwissen und Rechercheaufwand 
ersetzen . 

In diesem Zusammenhang ist die Thematik militärtechnologischen 
Fachwissens von besonderer Brisanz. Wer militärischem Engagement 
gegenüber kritisch eingestellt ist, scheint sich meistens nicht für 
technische Feinheiten zu interessieren, etwa für die Funktionsweise von 
GPS-Bomben, die Eigenschaften von Kampfflugzeugen oder die Unterschiede 
zwischen Abrams- und T-55-Kampfpanzern. Das scheinen eher Themen für 
infantile Technikfetischisten zu sein. Wenn allerdings den letzteren 
das Feld überlassen wird, dann kann Kritik an militärischen Sichtweisen 
und Interpretationsmustern ganz leicht dadurch ausgehebelt werden, dass 
behauptet wird, die kritische Position ginge von falschen fachlichen 
Voraussetzungen aus. In der aktuellen Ausgabe von Spektrum der 
Wissenschaft [1] ist der Zwiespalt wischen kritischer Haltung 
einerseits und Interesse am Militärtechnologischen andererseits 
deutlich fest zu machen. "Satellitengelenkte Waffen" ist der Titel 
eines Hauptartikels, der sich vollständig auf technologische Aspekte 
fokussiert und dessen Zwischenüberschriften von purer Technikeuphorie 
zeugen: "Ein Jahrzehnt Fortschritt", "Sieg über das Wetter", "der 
aktuelle Waffenkatalog", "Bunkerbrecher". Autor ist Michael Puttré, 
Chefredakteur der Monatszeitschrift The Journal of Electronic 
Defense [2]. 

Der Spektrum-Chefredaktion war der von der amerikanischen 
Mutterzeitschrift [3] übernommene Artikel wohl nicht ganz geheuer, und 
so wurde ihm ein Gastkommentar von Götz Neueneck vom Institut für 
Friedensforschung und Sicherheitspolitik [4] der Universität Hamburg an 
die Seite gestellt, der mit einer eindeutigen Feststellung endet: 
"Kriegsverhütung, oberstes Ziel verantwortlicher Friedenspolitik, gerät 
durch nebenstehenden Artikel vollends in den Hintergrund." Neuneck ist 
ausdrücklich der Meinung, dass die scientific community die 
wissenschaftlich-technischen Hintergründe von Waffensystemen 
diskutieren müsse, selbst wenn eine solche Diskussion in einer 
wissenschaftlichen Zeitschrift manchen erschrecken kann. 

Nicht nur die scientific community muss sich dem Thema Kriegstechnik 
widmen, auch die kritische Kriegsberichterstattung muss sich ihm 
annehmen. Und sei es auch nur, um in der redaktionellen Kommentierung 
von Bildern ein paar Mal auf das Attribut "angeblich" verzichten zu 
können. Bilder von zerstörten Landungspanzern der US-Marines hätten so 
nämlich schon vor Ende der ersten Kriegswoche als starkes Indiz dafür 
dienen können, dass der Kriegsverlauf nicht so stattfindet, wie er in 
den Sandkastenspielen zuvor geprobt worden war. 

Wenn denn die auffälligen Fahrzeuge vom Typ Amphibious Aussault Vehicle 
Personnel Carrier (AAVP) erkannt worden wären. Zu sehen waren in 
verschiedenen TV-Nachrichten mehrere dieser bei Nassirija zerschossenen 
Fahrzeuge. Eines war teilweise geschmolzen, ein anders noch weitgehend 
intakt, Kinder und Jugendliche kletterten auf ihm herum. Gesprochen 
wurde allerdings nur von "zerstörten Fahrzeugen, angeblich 
amerikanischen". 

AAVPs sind eine singuläre Erscheinung. Es sind vergleichsweise riesige 
Panzer, die sich stark von allen anderen im Irak-Krieg eingesetzten 
Fahrzeugen unterscheiden. Sie erinnern eher an den Sandcrawler der 
Yawas aus dem ersten Star-Wars-Film, als an ein zeitgenössisches 
Kriegsgerät. Es handelt sich bei ihnen um schwimmfähige Schützenpanzer, 
dank ihrer Kettenlaufwerke können sie auch an Land flott vorwärts 
kommen. Da sie schwimmen können, sind sie wie ein Bootsrumpf hoch 
aufragend und nur leicht gepanzert. Ideale Ziele in einer flachen 
Wüstengegend. Die Panzerung besteht zu einem großen Teil aus Aluminium, 
was zwar Gewicht spart, jedoch von immensem Nachteil sein kann: Eine 
Alupanzerung kann, wenn sie großer Hitze ausgesetzt ist, regelrecht 
verbrennen. So etwas war schon mit Panzerungen der M113-Schützenpanzer 
im Vietnamkrieg passiert. Und auch die Royal Navy war von diesem Effekt 
nicht verschont geblieben. Während des Falkland-Krieges kam es vor, 
dass sich die Aluaufbauten britischer Kriegsschiffe nach argentinischen 
Bombentreffern praktisch auflösten. Eine Identifikation der zerstörten 
Fahrzeuge in der Berichterstattung hätte somit schon frühzeitig 
unangenehme Fragen aufwerfen können: Eine amphibische Landung hat im 
Irakkrieg gar nicht statt gefunden. Der einzig relevante Hafen wurde 
von Land her erobert. Warum müssen die Marines dann dennoch mit den 
leicht verwundbaren AAVP-Kolossen durch die Wüste rollen? Ist dies ein 
Indiz für mangelhafte Ausrüstung, trotz allen High-Tech-Geredes? Zeigt 
es deutlich, wie der Feind von Anfang an unterschätzt wurde? Die Liste 
ließe sich fortsetzen. 

In den AAVPs sind vermutlich mehrere Soldaten umgekommen. Das ist in 
den USA nicht unbemerkt geblieben. Die geschilderte Problematik wurde 
dort auch sofort diskutiert, von Leuten, die über ein gewisses 
militärtechnologisches Fachwissen verfügen und sich stark für 
Militärfahrzeuge interessieren: Modellbauer. George R. Bradford 
bezeichnet sich auf seiner Website [5] als "Founding Father of armor 
modeling". In seinem Forum wird nicht nur die Zerstörung der AAVPs 
diskutiert, gefragt [6] wird auch, wieso das Medienecho so gering 
ausfiel. 

Ein Diskutant bezeichnet die AAVPs sogar als "death trap". Dem 
Betreiber der Website und den Teilnehmern an dem Forum lassen sich 
bestimmt keine unpatriotischen Umtriebe nachsagen. Gerade das 
unterstreicht die Bedeutung von Fakten: sie sind nicht ideologisch. 

Wäre nur ein Bruchteil des militärtechnoloischen Wissens der 
Hobby-Bastler in den Redaktionen vorhanden, erspart bleiben würde uns 
so manche mit "angeblich , angeblich,..." gespickte Null-Beschreibung. 
Fakten sind in Zeiten des Krieges, selbst wenn es bloß um so etwas 
vermeintlich Banales wie den Typ eines zerstörten Militärtransporters 
geht, allemal mehr wert, als eine beständig wiederholte 
pseudo-medientheoretische Allerweltsphilosophie. 

Links 

[1] http://www.spektrum.de/
[2] http://www.jedonline.com
[3] http://www.sciam.com
[4] http://www.ifsh.de
[5] http://www.activevr.com/afv/
[6] 
http://www.activevr.com/afv/cgi_bin/web-bbs/webbbs_config.pl?read=36839

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/special/irak/14513/1.html 

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