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[infowar.de] FR über Medien im Irak unter US-Aufsicht
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http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/medien/?cnt=225040
Frankfurter Rundschau 4.6.2003
Das Radio aus dem Herrenklo
Fernsehen, Rundfunk und Zeitung machen in Irak die ersten Gehversuche -
unter
US-amerikanischer Anleitung
Von Andrea Nüsse
Der Zawra-Park mitten in Bagdad liegt verlassen. Schon die Zufahrt zu
dem einstigen Ausflugsziel ist weiträumig von den US-Truppen abgesperrt.
Denn vor dem Haupteingang, auf dem einstigen Paradeplatz des
Saddam-Regimes, haben US-Regimenter ihr Lager aufgeschlagen. Wenn man
die Checkpoints passiert hat, gelangt man durch ein halboffenes Gitter
in den riesigen, menschenleeren Park, in dem einst irakische Familien am
Wochenende zum Picknick zusammenkamen.
Doch bei dem Häuschen mit der Aufschrift "Herrentoilette Nummer 13"
herrscht Betrieb. Von hier sendet seit dem Krieg der Staatssender Radio
Bagdad auf Ultrakurzwelle. "Der Ort hat uns gewählt", erklärt der
Toningenieur Ghassan Adnan den ungewöhnlichen Arbeitsplatz. Vor dem
Krieg hatte der staatliche Radiosender Sendeanlagen an verschiedenen
Orten versteckt, da man mit der Bombardierung des Fernseh- und
Radiosenders gerechnet hatte. Die einzige Sendeanlage in Bagdad, die
nach dem Krieg noch intakt und nicht gestohlen war, ist eben jene, die
neben der Herrentoilette Nummer 13 im Zawra-Park versteckt war.
Heute stehen im überdachten Eingang zum Klo ein abgeschabtes blaues Sofa
und mehrere Stühle. In einem winzigen Nebenraum ist das Studio
aufgebaut: Adnan hat seinen privaten Computer mitgebracht, ein anderer
Techniker sein Mischpult. Trotz des spektakulären Ortswechsels setzt man
bei Radio Bagdad auf Kontinuität: "Wir waren immer Regierungsradio und
sind es auch jetzt noch", erklärt Adnan. Man habe unter dem König
gearbeitet, unter Saddam Hussein, und jetzt eben unter der neuen
Regierung. Und das seien jetzt die Amerikaner. So haben alle Mitarbeiter
von Radio Bagdad eine Plastikkarte um den Hals hängen, die sie als
Mitarbeiter von ORHA ausweist, der staatlichen US-Organisation für
Wiederaufbau und humanitäre Hilfe in Irak, die faktisch als neue
irakische Regierung fungiert.
Von der neuen Freiheit will man hier nicht viel wissen. "Der Übergang
war schmerzhaft, und daher wollen wir die Leute beruhigen, indem wir
ihnen Kontinuität bieten", erklärt Adnan. Wie seit Menschengedenken sind
täglich um 14.30 Uhr Lieder der ägyptischen Sängerin Um Kulthum zu
hören. Die gleichen Sprecher wie vor dem Krieg lesen die Nachrichten
vor. Allerdings handeln diese nicht mehr von den Heldentaten Saddam
Husseins. Stattdessen verlesen die Sprecher Bekanntmachungen der ORHA.
Hier wird die Auflösung des Informationsministeriums bekannt gegeben,
die geplante Auszahlung von Löhnen an Staatsbedienstete angekündigt oder
Warnungen vor Minen und nicht explodierten Geschossen verbreitet. Eigene
Beiträge gibt es bisher nicht.
Auf die Frage, was sich seit dem Sturz des Regimes geändert hat,
antwortet Adnan ohne zu zögern: "Nichts." Das glaubt man sofort, wenn
man den irakischen Leiter des Senders trifft. Jalil Bani weigert sich,
mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Das habe ihm Mister Mike
untersagt. Mister Mike leitet das ORHA-Team mit dem Namen "Iraqi Media
Network", das den Aufbau des neuen staatlichen Fernseh- und Radiosenders
Iraks beaufsichtigt. Er hat seinen Sitz auf dem abgeriegelten Gelände
des ehemaligen irakischen Satellitensenders. Doch da Mister Mike in
Kuwait weilt, gibt schließlich Mister Bob Auskunft.
Der korpulente ehemalige US-Militär glaubt, dass die Leute von Radio
Bagdad Angst haben, in der Presse zitiert zu werden, weil alte
Baathisten ihnen verübeln, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. Auf
die Herrentoilette Nummer 13 sei nachts schon mehrfach geschossen
worden. Die amerikanischen Chefs hätten den irakischen Mitarbeitern
jedenfalls kein Redeverbot erteilt. "Im Gegenteil", erklärt Don North,
der für die Betreuung der Fernsehjournalisten zuständig ist, seitdem er
Bagdad als "embedded journalist" auf einem Panzer in Bagdad eingerollt
ist. "Anfangs haben die irakischen Journalisten gefragt, ob sie denn die
US-Armee kritisieren dürfen Und ich habe ihnen erklärt, dass sie das
sehr wohl dürfen, wenn sie ihre Kritik faktisch belegen können." So
hätten die Reporter einen kritischen Bericht über die Verteilung der
Renten gebracht, bei dem alte Männer gezwungen waren, unter den Beinen
von US-Soldaten hindurch zu kriechen, um an die Kasse zu gelangen. Den
eigentlichen Skandal sah man im Fernsehen nicht: Ein US-Soldat wollte
das Filmen verhindern und brach das an der Kamera angebrachte Mikrofon
ab. Darüber hat sich North später bei der Army beschwert. Schließlich
will er den irakischen Journalisten die Vorzüge der Pressefreiheit
beibringen. Die etwa 130 Mitarbeiter stellen seit 14 Tagen täglich ein
zweistündiges Programm zusammen, das von 18 bis 20 Uhr ausgestrahlt und
später wiederholt wird. Da viele Häuser in Bagdad nur zwei Mal täglich
für zwei Stunden Strom haben und dies nicht immer mit den Sendezeiten
zusammenfällt, ist die Verbreitung noch beschränkt.
Neben Radio Bagdad gibt es im Land noch etwa zwölf lokale Radiosender,
die unabhängig von ORHA senden. Allerdings nicht mehr lange. Die Sender
seien illegal, weil nicht ihnen die technische Ausrüstung gehöre,
sondern dem ehemaligen Staatssender, erklärt ein anderer Mister Bob, der
sich als "Berater für das verstorbene Informationsministerium"
vorstellt. Seit der Annahme der jüngsten UN-Resolution seien die
Sendeeinrichtungen Eigentum der Koalitionstruppen und würden
zurückgefordert.
Diese Sorgen hat Adel al-A'adawi nicht. Der 48-Jährige ist
Redaktionsdirektor der neuen Wochenzeitung Al-Majd ("Ruhm"), die bisher
zwei Mal samstags erschienen ist. "Wir sind unabhängig und akzeptieren
keine roten Linien mehr", erklärt er. Vom alten Regime verabschiedet
sich das Blatt in seiner blauen Zeile in Riesenlettern über dem
Zeitungstitel: "Mit unserem Blut, mit unserer Seele... wir opfern uns
für jeden, der daherkommt", heißt es da in einer Persiflage auf den
Spruch, den unter dem alten Regime schon Dreijährige im Kindergarten
brüllen mussten - nur dass er damals damit endete, das man sich für
Saddam Hussein opfern wolle. In der achtseitigen zweiten Ausgabe wird
der schiitische Ayatollah al-Hakim zu seiner Rückkehr aus dem iranischen
Exil begrüßt, eine halbe Seite ist dem bei al-Hilla entdeckten
Massengrab gewidmet. Auch über den angeblichen Aufruf zum Widerstand
gegen die US-Truppen des verschollenen Saddam Hussein wird berichtet,
der in der panarabischen Zeitung Al Quds al-Arabi abgedruckt war. Die
Auflage des Blattes beträgt 3000 Exemplare. Den Vertrieb in Bagdad
besorgen Mitarbeiter in ihren Privatautos, da die staatlichen Strukturen
zusammengebrochen sind. Etwa 20 neue Zeitungen erscheinen mittlerweile
in Bagdad, wo es früher nur vier gleichgeschaltete staatliche Blätter
gegeben hatte. "Die neue Freiheit hat zu einer Explosion der
Publikationen geführt", sagt al-A'adawi. Allerdings ist er sicher, dass
nicht alle überleben werden. "Die Sprachrohre der Parteien haben gute
Chancen, weil Organisationen hinter ihnen stehen." Für die unabhängigen
Blätter wie Al-Majd sei die Zukunft dagegen ungewiss. Doch heute will
Abdel Al-A'adawi jede Minute der neuen Freiheit nach Jahrzehnten der
Diktatur nutzen. Und schon diskutiert er mit einem Graphiker die
Gestaltung der Titelseite der nächsten Ausgabe.
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