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[infowar.de] Bagdad-Korrespondenten des Fernsehens arbeiten an Kriegsbüchern



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Der Tagesspiegel, 05.06.2003
Medien 

Die Wettschreiber 

Von Stephan Kloss bis Antonia Rados: Alle Bagdad-Korrespondenten des
Fernsehens arbeiten an Kriegsbüchern 

Von Barbara Nolte

Stephan Kloss hat das Wettrennen gewonnen. Der Preis: ein Schaufenster
vom Berliner Kulturkaufhaus Dussmann, nur für sich allein. Denn sie
schreiben alle, Antonia Rados, Ulrich Tilgner, Christoph Maria Fröhder.
Jeder deutsche Fernsehreporter, der im Irakkrieg im Hotel Palestine in
Bagdad wohnte - es waren wirklich nur die vier -, macht diesmal ein
Buch.

Im Grunde hat Kloss sein ?Bagdad-Tagebuch" bereits während des
Irakkriegs geschrieben. Im Prinzip sind es die Tagebucheinträge, die er
im März und April auf der Homepage des MDR veröffentlicht hatte. Er hat
sie mit ein paar neuen Kapiteln ergänzt, mit ein paar Fotos, Zahlen: den
Kriegskosten, den getöteten Journalisten, der Stärke der irakischen
Armee. Nur zehn Tage nahm er sich für das Buch Zeit. ?Es musste auf den
Markt", sagt er. Ein Tempo, das an Sportkommentatoren erinnert. Kaum von
einer WM oder Olympischen Spielen zurückgekehrt, mussten sie schreiben,
was das Zeug hielt, weil jeder mit seinem WM-Buch als Erster an der
Kasse von Karstadt liegen wollte. Jeder Tag zählte da. Denn die
Haltbarkeit solcher Bücher war sehr kurz. Schon zwei Monate später fand
man sie auf den Ramschtischen. Mittlerweile, heißt es, verkaufen sie
sich überhaupt nicht mehr gut. Vielleicht ist das Buch zum Krieg
gewissermaßen der Nachfolger des Buches zur WM. 

Kloss, Fröhder, Rados sind jedenfalls genauso prominent wie
Sport-Kommentatoren. Und das ist das beste Verkaufsargument für diese
Art Bücher. Peter Arnett war im zweiten Golfkrieg mit seinen Berichten
aus Bagdad zum Weltstar aufgestiegen. Als Harald Schmidt diesmal in den
ersten Kriegstagen einen Wettbewerb ausrief, welcher Korrespondent den
besten Haarschnitt und den besten Hintergrund habe - trotz aller Ironie
war da klar: Es war der Krieg der Live-Berichterstatter geworden. Schon
weil das Palestine Hotel im Epizentrum des Krieges lag: Als Symbol des
Falls von Bagdad stürzten die Amerikaner eine mächtige Hussein-Statue
genau vor den Fenstern des Journalisten-Hotels. 

Die Rolle der Korrespondenten erinnerte da manchmal an die von
Erzählerfiguren in Theaterstücken. Nur, dass sie jeden Moment zu
Mitspielern werden konnten: von einer US-Bombe getroffen oder von den
Irakern als Geisel genommen. Stephan Kloss sah man im Fernsehen den Kopf
einziehen, als eine Rakete über ihn hinwegflog. Und als eine Bombe im
Haus nebenan einschlug, telefonierte er, unterm Fenstersims in Deckung
gegangen, live mit dem ?Nacht-Magazin" weiter, bis Katharina Wolkenhauer
sagte: ?Aber bringen Sie sich doch in Sicherheit?" Es klingt makaber:
Aber vielleicht machte gerade das die Spannung der
Fernseh-Kriegsberichterstattung aus. Vielleicht auch die Spannung, die
sich die Verlage von den Büchern versprechen. Das Buch von Stephan Kloss
füllt die Lücken zwischen seinen fast stündlichen Fernsehauftritten.
Wenn die Kameras aus waren, erfährt man, hat er sich bei Bombenalarm
unterm Tisch versteckt. ?Sicher ist sicher." Eine profunde Reflektion
des Kriegs bietet es leider nicht. 

Kloss, 33, war zu Dussmann gekommen, um ein paar Stellen vorzulesen. Er
hat sich oft verlesen, er kennt den Text einfach nicht gut. Nachdem er
fertig war, stellte ein Journalist wieder die Frage, hinter der sich ein
Vorwurf verbirgt: ?Stimmt es, dass Sie auf eigene Faust in den Irak
gefahren sind?" Das ist er wirklich. Eigentlich freier Mitarbeiter des
MDR-Regionalmagazins, zog er ohne Auftraggeber in den Krieg. Nachdem der
reguläre Korrespondent der ARD, Jörg Armbruster, Bagdad verlassen hatte,
engagierte ihn das Erste. Sein Abenteuergeist wird ihm angelastet. Dabei
kann man doch höchstens der ARD anlasten, dass ein Senderverbund von der
Größe einer Kleinstadt niemanden gezielt für so eine wichtige Aufgabe
aussucht.

Christoph Maria Fröhder macht in seinem Buch, das Mitte Juni bei
Hoffmann und Campe rauskommt, die entscheidungsschwachen
ARD-Verantwortlichen sogar zum Thema. Fröhder ist so was wie der
Kriegskorrespondenten-Veteran der ARD. Er war schon in Biafra,
Kambodscha, Vietnam. Doch diesmal hat das Erste ihm erst wenige Tage vor
Kriegsbeginn einen Vertrag gegeben. Die Verantwortlichen hofften,
schreibt er, der Kollege Tilgner vom ZDF würde Bagdad verlassen. Dann
hätte keiner der Öffentlich-Rechtlichen einen Korrespondenten vor Ort
gehabt. Doch Tilgner blieb, und Fröhder musste in der ersten Kriegsnacht
mit dem Taxi von Amman nach Bagdad reisen. Unter Lebensgefahr. 

Doch der Einsatz lohnte sich auch für ihn. Indiz seines hinzugewonnenen
Renommees: Nach Kriegsende bekam er Buch-Angebote von vier Verlagen. Er
habe sich für den Verlag entschieden, der ihm immerhin drei Wochen Zeit
zum Schreiben gegeben habe, sagt er. Sein Buch wirkt auch sorgfältiger
als das von Stephan Kloss. Trotzdem wird es sicher kein Klassiker wie
etwa Oriana Fallacis ?Wir, Engel und Bestien" über den Vietnamkrieg. 

Der Chef von Hoffmann und Campe, Rainer Moritz, nennt das Genre
?Schnellschuss". Aber vielleicht wollen Fernsehjournalisten auch gar
nicht so lange feilen. Antonia Rados, die aus Bagdad für RTL und n-tv
berichtete, hat ihr Manuskript bereits abgegeben, obwohl das Buch erst
Mitte Juli rauskommt. Man darf es noch nicht lesen, es muss noch
lektoriert werden. So sind von Antonia Rados nur knappe E-Mail-Antworten
zu bekommen - ?ES IST EIN PERSÖNLICH-POLITISCHES BUCH; ICH ERHEBE KEINEN
ANSPRUCH AUF VOLLSTÄNDIGKEIT". Abgeschickt irgendwo auf dem Weg von
Paris nach Bagdad: ?ICH RECHERCHIERE DORT EINE LANGE DOKUMENTATION.
VIELE GRUESSE." Was für einen Stil einen erwartet, kann man
recherchieren, denn Antonia Rados hat schon einen Roman geschrieben
?Quotenfieber": über die Journalistin Anny, die, wie es in einer
Rezension heißt, ?die ethische Seite ihres Berufes noch ernst nimmt,
obwohl sie weiß, dass sie auf verlorenem Posten steht". 

Nur: Was ist mit Ulrich Tilgner? Der Rowohlt-Verlag, bei dem sein Buch
erscheinen wird, weiß noch nicht viel. Versucht man es unter derselben
Satelliten-Telefonnummer wie im Golfkrieg, hat man ihn am Telefon.
Tatsächlich, er ist schon wieder zurück in Bagdad. Nicht mehr im
Palestine, sondern in einem kleinen Hotel. Tilgner klingt so gestresst
wie in den Live-Schalten im Krieg. Sein Buch, sagt er, solle
grundsätzlicher werden: die Kriegsabsichten behandeln, die
geostrategischen Entwicklungen analysieren. Er recherchiere gerade den
Verbleib von Saddam Hussein. ?Ich habe jemanden getroffen", sagt er,
?der hat mit Husseins Sohn im Krieg den Vater gesucht. Einen halben Tag
hat er dafür gebraucht." Wo hat der Mann Saddam Hussein schließlich
gefunden? Das könne er nicht verraten, sagt Tilgner. 

Das soll man wohl in seinem Buch nachlesen, doch es kommt erst im
Herbst. Vielleicht gibt es die Bücher der Kollegen da schon im
Sonderangebot.

Stephan Kloss: ?Mein Bagdad-Tagebuch", Fischer Taschenbuch-Verlag, 12
Euro; Christoph Maria Fröhder: ?Ein Bild vom Krieg", Hoffmann und Campe
- ab Mitte Juni; Antonia Rados: ?Live aus Bagdad", Heyne - ab Mitte
Juli; Ulrich Tilgner: Titel steht noch nicht fest, Rowohlt - ab Herbst

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