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[infowar.de] TELEPOLIS: Apparatus of Lies?



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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http://www.telepolis.de/deutsch/special/irak/14962/1.html 

Apparatus of Lies?

Florian Rötzer   08.06.2003 

Mit den noch immer fehlenden Beweisen für die Existenz von 
Massenvernichtungswaffen im Irak gerät die US-Regierung ins Schlingern 
und mitsamt ihrer perfektionierten, aber nicht perfekten strategischen 
Kommunikation in eine Vertrauenskrise 

Es ist schon erstaunlich, wie viel Zeit die Öffentlichkeit und viele 
Medien benötigten, um das von der zum Krieg gegen den Irak 
entschlossenen US-Regierung fabrizierte Gespinst an Halbwahrheiten und 
Vermutungen, die zu Tatsachenbehauptungen aufgebläht wurden, in Frage 
zu stellen. Den Schicksalswink des 11.9. rücksichtslos ausbeutend, war 
es bereits kurz nach den Anschlägen klar, dass der Krieg gegen den 
internationalen Terrorismus über den vor allem der Legitimation 
dienenden Einstieg in Afghanistan zunächst in den Irak und womöglich 
darüber hinaus gehen würde. Doch viele Politiker und Medien gefielen 
sich darin, den Behauptungen und der Politik der US-Regierung und der 
von ihr gezielt gestreuten Panik zu folgen und beispielsweise endlos zu 
wiederholen, dass der Irak es in der Hand habe, einen Krieg abzuwehren. 

Der 11.9. hatte die Welt in ein Koma versetzt. Man muss, aus der 
Perspektive der Macht gesehen, die amerikanische Regierung mit ihren 
Beratern und vor allem ihren Medienexperten bewundern, wie schnell und 
gezielt der Terroranschlag ausgenutzt wurde, um den national und 
international im Ansehen schwächelnden Bush mit der ihm zur Verfügung 
stehenden Militärmacht zu dem Mann zu machen, der den Takt der Welt 
bestimmen und so die von den Neokonservativen geplante 
(Aufrüstungs)Politik durchsetzen kann. Dass angesichts dieser Explosion 
an Macht Verschwörungstheorien gedeihten, ist nicht verwunderlich. Im 
Nun waren nicht nur die Schuldigen gefunden, sondern wurde die 
"Reaktion" auf dem Hintergrund der mehreren Tausend Anschlagsopfer 
eingespannt in einen angeblichen Kreuzzug der Guten oder der 
zivilisierten Welt gegen das Böse und in einen amerikanischen 
Sendungsauftrag, angeführt von Bush als einer Art Messias. Zudem 
geschah dies alles auch noch zu Beginn des neuen Jahrtausends. 

Die US-Regierung war nie wirklich an der Aufklärung des Terroranschlag 
interessiert, sondern lediglich an dessen Ausbeutung durch medial 
geschickt inszenierte spektakuläre Aktionen (das freilich ist wohl 
stets, was man Realpolitik nennt). Der lange vorbereitete, live 
präsentierte Shock-and-Awe-Medienkrieg gegen den Irak war nur die 
Kulmination der Betäubungskampagne, während man ohne Bedenken in der ob 
der Machtfülle und Aktionsbereitschaft erstarrten politischen 
Landschaft die Angriffe auf Verfassungsrechte oder den vielen 
Verletzungen oder Missachtungen von Menschenrechten und des 
internationalen Rechts ausführen konnte. Der auch von Ashcroft 
innenpolitisch praktizierte nonchalante Umgang mit Gesetzen und Rechten 
hat möglicherweise tatsächlich etwas mit dem religiösen 
Fundamentalismus der Regierung zu tun. 

Es hat anderthalb Jahre gedauert, bis die bislang marginale Kritik an 
der US-Regierung, die angesichts der erfundenen, zumindest höchst 
konstruierten Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im 
Irak oder die Verbindung mit al-Qaida, nun endlich selbst zur 
amerikanische Öffentlichkeit gelangt, die besonders von den aus 
Quotengier patriotisch-bushistischen Fernsehsendern betäubt wurden. 
Erstaunlich aber auch, dass in Großbritannien der Regierungskurs von 
Blair trotz einer höheren Medienaufklärung und stärkerer Opposition so 
lange tragen könnte. Obwohl vermutlich die meisten Politiker und 
Regierungen der Welt wie auch alle anderen einigermaßen zur Reflexion 
fähige und willige Menschen mit großer Sicherheit davon ausgehen 
konnten, dass hinter dem Tamtam der Kriegsrhetorik von Bush und Co. 
mehr Propaganda als Wahrheit steckt, haben viele das trügerische 
Gespinst entweder aus eigenen Interessen mitgetragen oder zumindest 
nicht den Mut gefunden, Tacheles zu sprechen. Wer sich den USA 
widersetzte, muss(te) denn auch mit Abstrafung rechnen. 

Die Zurückhaltung mag auch teilweise - unterstellt man guten Willen - 
diplomatische Vorsicht gewesen sein, möglicherweise die US-Regierung 
doch noch bei fehlenden Beweisen durch die UN-Inspektoren zum Einlenken 
bringen zu können. Aber auch das hätten Gutgläubige besser wissen 
können, denn die Bush-Regierung hatte dem schon längst vorgebaut und 
klar gemacht, dass die USA mit oder ohne UN-Zustimmung den Irak 
"entwaffnen" werde (auch wenn schon vor dem Krieg angesichts der 
kläglichen Indizienlage schon einmal auf Operation Iraqi Freedom 
umgeschaltet wurde). 

Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist der Bogen überspannt 

Zunächst schien man in der US-Regierung davon auszugehen, dass, 
unabhängig vom Kriegsgrund der "Entwaffnung", der Sieg über die 
Diktatur und die erwartete begeisterte Einführung der Demokratie, die 
Legitimation rückwirkend unwichtig werde. Schließlich hat man die Welt 
ja wieder ein Stück mehr befreit (und angeblich sicherer gemacht), auch 
wenn damit Völkerrecht gebrochen und die Weltgemeinschaft übers Ohr 
gehauen wurden. Das wäre für die mächtigen Männer (und die einzige 
Frau) der Welt um den allermächtigsten Regenten der Supermacht und 
obersten Befehlshaber wahrscheinlich nicht weiter schlimm und 
auszusitzen gewesen. Doch übertölpelt und angeschwindelt wurden im 
Brustton der höchsten Überzeugung - und stets mit dem Verweis auf den 
Irak als ein Regime, das als Apparatus of Lies [1] auf perfekten Lug 
und Trug aufgebaut ist ( Von Wahrheit und Lüge [2]) - auch der 
US-Kongress und die eigene Bevölkerung. Die Rede von der Entwaffnung 
war, wie Wolfowitz unlängst einräumte, ökonomisch einfach am besten zur 
Kriegslegitimation geeignet, was heißt: Mit der Instrumentalisierung 
von Angst, die sowieso zur Irrationalität und Panik neigt, kann man 
vieles leichter durchsetzen ( Endlich gefunden: Die 
Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor [3]). Das könnte 
man auch "strategische Kommunikation" nenne, wie das Pentagon sein 
angeblich wieder eingestelltes Projekt einer Propagandabehörde nennen 
wollte. 

Doch der dem Bösen unterstellte Vorwurf des Betrugs und der Täuschung 
könnte nun mit dem völligen Fehlen von Massenvernichtungswaffen und 
entsprechenden Produktionsstätten doch zurückschlagen. Warum sollte man 
einer Regierung, selbst wenn sie möglicherweise "Gutes" bewirkt, was 
mit den Post-Kriegserfahrungen mit Afghanistan und Irak auch nicht mehr 
so sicher ist, Vertrauen schenken, wenn sie dies mit perfiden Lügen und 
gezielten Übertreibungen zu bewerkstelligen sucht. Irgendwann glaubt 
man nichts mehr, da kann dann auch die anfängliche Wirkung durch die 
sture Wiederholung der Behauptungen nichts mehr fruchten. Und es gibt 
ja nicht nur die Terroristen und die bösen Schurkenstaaten, sondern 
auch in der Innen- und Wirtschaftspolitik Probleme zuhauf. Zudem 
scheint nicht einmal mehr das Geld so schnell wie erwartet aus den 
irakischen Quellen zu fließen und die möglicherweise jahrelange 
Besetzung teuer in einem Haushalt zu Buche schlagen, der noch schlimmer 
als in Deutschland in Schulden versinkt. 

Mittlerweile - in Wirklichkeit aber schon vor dem Krieg ( Lesen Sie den 
CIA-Bericht noch einmal! [4]) - scheinen auch die amerikanischen (und 
britischen) Geheimdienste nicht mehr nur willfähriges Instrument ihrer 
Regierungen sein zu wollen. möglicherweise um nicht im Strudel 
mitgerissen zu werden und in der Zeit nach Bush an Macht zu verlieren. 
Sie scheinen zumindest nicht den Prügelknaben abgeben zu wollen, den 
sie für Bush und Blair spielen sollen. Alastair Campbell, Blairs 
Propagandachef oder eben strategischer Kommunikationsexperte, scheint 
nun schnell noch die Wogen glätten zu wollen, indem er sich in einem 
Brief an den Geheimdienst MI6 entschuldigte [5], dass dem schlampig aus 
dem Internet zusammengeschusterten Bericht über die irakischen 
Massenvernichtungswaffen Geheimdienstinformationen zugrunde gelegen 
haben sollen ( Geheime Cut-and-Paste-Informationen [6]). Inzwischen 
drohen [7] Geheimdienstmitarbeiter mit weiteren Einzelheiten. 

Nun hat auch der Pentagon-Geheimdienst Defence Intelligence Agency DIA 
die Zusammenfassung eines Berichts [8] aus dem September 2002 einer 
Zeitung zugespielt, in dem keine Rede von Beweisen ist, dass der Irak 
über Massenvernichtungswaffen verfügt (ganz ähnlich war übrigens ein 
CIA-Bericht [9]), dessen Möglichkeitsaussagen auf dem Weg zu Bush, 
Rumsfeld oder Powell in Tatsachenbehauptungen "übersetzt" wurden). 

Obgleich das alles längst bekannt hätte sein müssen, Rumsfeld und Co. 
sich in rhetorischen Höhenflügen schon vor dem Krieg mit dem Problem 
auseinander gesetzt hatten ( Rumsfeld und der Gottesbeweis [10]), was 
wäre, wenn die Waffen nicht gefunden werden, und nach dem Krieg kaum 
mehr jemand vor dem Schwindel der Bush-Regierung mehr die Augen 
verschließen kann, spitzt sich die Ent-Täuschung nun mit jeder neuen 
Erkenntnis zu. Auch die zuletzt verzweifelt angebotenen "mobilen 
Biowaffenlabors" können die Hoffnungen wohl, wie zu erwarten, nicht 
einlösen [11]. Vor kurzem hatte sich auch Bush, vermutlich auf Geheiß 
seiner Berater, auf sie noch als Beweise kapriziert. 

Der Ausweg aus dem Lügengespinst vor den nächsten Wahlen 

Nun glaubt eigentlich nur noch die Regierung an sich selbst, was schon 
einigen komödiantischen Wert haben könnte, wenn es nicht um die 
Supermacht ginge und ein trotz allem Trug komplexes Thema, schließlich 
sind trotz etwaiger Verletzungen des Völkerrechts der Sturz von 
Tyrannen und eine Befreiung des Volkes an sich eine begrüßenswerte Tat, 
selbst wenn dahinter geopolitische und wirtschaftliche Interessen 
stehen. Doch die Windungen, die Regierungssprecher Ari Fleischer 
vollführen [12] muss, der womöglich dankbar ist, den Job bald an den 
Nagel hängen zu können, sprechen Bände für die Verlegenheit, die Kritik 
nicht einfach beiseite schieben zu können (die Atomwaffen und al-Qaida 
fallen dabei schon einmal unter den Tisch): 

Wir haben weiterhin Vertrauen in unsere Behauptungen über den Besitz 
Iraks von chemischen und biologischen Waffen ... Die präzise 
Lokalisierung, wo der Irak die chemischen und biologischen Waffen hat, 
waren niemals klar, aber die Tatsache, dass man sie hat, stand aufgrund 
einer Lektüre der Geheimdienstinformationen nie in Zweifel.   

Was kann die US-Regierung ein Jahr vor der Wahl tun, zu der das Gespann 
Bush-Cheney wieder antritt, um der Erosion der Glaubwürdigkeit Einhalt 
zu gebieten? Natürlich, würde die Wirtschaft demnächst wieder brummen, 
wäre wie überall auf der Welt vieles vergessen. Doch wenn dieser 
glückliche Fall nicht eintritt und auch kein neues "Pearl Harbor" 
geschieht, was dieses Mal aber im Unterschied zum 11.9. gegen die 
Sicherheit versprechende Regierung ausschlagen könnte, könnte im Sinne 
der "Wag-the-dog"-Strategie womöglich ein neuer Krieg ein Ausweg sein. 

Selbst bei CNN hat man begonnen, darüber nachzudenken, um das gleich 
wieder zu verwerfen. Der Kongress würde jetzt einem neuen Krieg wohl 
nicht zustimmen, hofft [13] zumindest der Autor John Dean, ein früherer 
Präsidentenberater, bis die offenen Fragen des Irak-Kriegs beantwortet 
sind. Doch das mag trügen, schließlich haben die republikanischen 
Abgeordneten mit Bush, dem 11.9. und den Kriegen die Mehrheit errungen 
- und Wahrheit macht nicht unbedingt politische Sieger aus. Dean jedoch 
meint, dass die Äußerungen von Präsidenten, vor allem wenn es um die 
nationale Sicherheit gehe, mit einer "Erwartung an den höchsten Maßstab 
von Wahrheit" einhergehen. Das mag eine Erwartung der Menschen sein, 
die in den Krieg geführt werden, doch die Geschichte ist voll von 
Hinweisen, dass gerade dann die Tatsachen gerne gestreckt und verdreht 
werden: 

Ein Präsident kann nicht Tatsachen dehnen, verdrehen oder vortäuschen 
und damit davon kommen. Präsident Lyndon Johnsons Vortäuschung der 
Wahrheit über Vietnam nötigte ihn, sich nicht zur Wiederwahl zu 
stellen. Präsident Richard Nixons falsche Behauptungen über Watergate 
erzwangen seinen Rücktritt.   

Viele Beispiele also führt Dean nicht ins Feld. Gleichwohl können 
Konstellationen zustande kommen, in denen die verdrehten Wahrheiten der 
Regierenden nicht mehr ankommen, weil die Wähler ihre Folgen nicht mehr 
mittragen wollen. Aber Dean ist möglicherweise selbst ein Beispiel 
dafür, wie man sich jetzt allmählich von der Bush-Regierung absetzt, um 
nicht mit ihr schließlich in den Orkus gezogen zuwerden. Er hoffe zwar, 
sagt er scheinheilig, dass doch noch Massenvernichtungswaffen gefunden 
werden und so die Wahrhaftigkeit der Regierung gesichert würde, zählt 
dann aber schon mal viele der Tatsachenbehauptungen auf - 
beispielsweise: "Das irakische Regime besitzt und produziert chemische 
und biologische Waffen. Es will nukleare Waffen in seinen Besitz 
bringen." -, die gegen Bush verwendet werden können, falls die Beweise 
nicht herbeigebracht werden können. Das Fehlen jeder Erklärung für die 
Kluft zwischen den Behauptungen und der Wirklichkeit würden das 
Misstrauen stärken, dass die falschen Aussagen des Präsidenten 
beabsichtige Lügen gewesen seien. 

Dean führt aber auch ein Argument ein, dass für die künftige 
Sicherheitsstrategie der Bush-Regierung wichtig ist, die auf Prävention 
setzt. Die Einschätzung von möglichen Gefahren, denen man präventiv 
begegnen müsse, ist abhängig von genauen Informationen der 
Geheimdienste sowie von deren Verlässlichkeit ( Notfalls auch mit 
militärischer Gewalt nach dem Exempel Irak [14]). Das Vertrauen in 
diese wird gerade jetzt wieder durch die Rückzugsgefechte von Bush und 
Blair unterminiert, was dann aber auch die Folge haben könnte, dass die 
amerikanischen Bürger, aber auch die Alliierten späteren 
Gefahrenhinweisen keinen Glauben mehr schenken. 

Links 

[1] http://www.whitehouse.gov/ogc/apparatus/index.html
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14030/1.html
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14909/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14152/1.html
[5]
http://www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml;$sessionid$OJ42QMZICCQGDQFIQM
FSFFOAVCBQ0IV0?xml=/news/2003/06/08/nwmd08.xml&sSheet=/news/2003/06/08/i
xnewstop.html
[6] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14144/1.html
[7] http://news.independent.co.uk/uk/politics/story.jsp?story=413481
[8]
http://www.latimes.com/news/nationworld/iraq/la-fg-intel7jun07,1,3421965
.story?coll=la-home-headlines
[9] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/13514/1.html
[10] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/13972/1.html
[11]
http://www.nytimes.com/2003/06/07/international/worldspecial/07TRAI.html
[12]
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A26487-2003Jun6.html?nav=h
ptop_tb
[13] http://www.cnn.com/2003/LAW/06/06/findlaw.analysis.dean.wmd/
[14] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/14945/1.html

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