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[infowar.de] spon: "Schatzkarte für Terroristen"



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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  DER SPIEGEL 32/2003 - 04. August 2003 
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,259739,00.html 
Datensicherheit
 
"Schatzkarte für Terroristen"

Ein US-Student hat die verwundbarsten Stellen des Datennetzes ermittelt. 
Nun gilt er als Sicherheitsrisiko. Seine Doktor-arbeit soll nicht 
veröffentlicht werden - aus Angst vor Anschlägen. 

Die Leidenschaft von Sean Gorman gilt den Lebensadern der 
Informationsgesellschaft. Ihr Blut besteht zwar nur aus Lichtblitzen; 
dennoch transportieren diese Adern das wichtigste Kapital des 
Online-Planeten: Daten. 

Ausgerechnet wegen seiner Leidenschaft für Glasfaser-Netzwerke, die sich 
wie Spinnweben übers Land legen, musste sich Gorman aus ihnen ausklinken. 

Schuld daran sind jene geheimnisvollen Männer, mit denen er vor wenigen 
Monaten in einem abhörsicheren Raum zusammensaß. Als Gorman ihnen von 
seiner Doktorarbeit erzählte, wurden ihre Mienen immer ernster. 

 
DER SPIEGEL 
 
 
Seit jenem konspirativen Treffen ist der Computer des 29-Jährigen weder 
ins World Wide Web eingeloggt noch ins interne Netz seiner Uni, der George 
Mason University nahe Washington. "Die Herren haben mir dringend dazu 
geraten", berichtet Gorman. "Sonst könnte jemand in das Computersystem 
einbrechen und die Daten meiner Doktorarbeit klauen." 

Die Geheimdienstagenten wollten noch mehr: Gormans Arbeitsplatz befindet 
sich inzwischen in einem fensterlosen Raum mit Wänden aus schweren 
Betonplatten. An der Tür gibt es ein Schloss mit Zahlencode. 

"Er sollte seinen Doktortitel bekommen, und dann sollten sie sein Werk 
schnell verbrennen." 

"Wo dieser Raum genau liegt, darf ich nicht verraten", sagt Gorman und 
drosselt instinktiv die Lautstärke seiner sonoren Stimme. Schließlich sei 
er kein normaler Geografiestudent mehr: "Ich bin jetzt ein 
Sicherheitsrisiko." Denn die Fragestellung seiner Doktorarbeit lautet, 
wissenschaftlich nicht ganz korrekt wiedergegeben: Angenommen, ich wäre 
ein Terrorist - an welchen Stellen müsste ich das Datennetzwerk zerstören, 
um Staat und Wirtschaft möglichst viel Schaden zuzufügen. 

Gorman muss der Antwort sehr nahe gekommen sein - anders ist die hektische 
Reaktion der Sicherheitsbehörden nicht zu erklären. "Er sollte die Arbeit 
seinem Professor zeigen, seinen Doktortitel bekommen, und dann sollten sie 
das Werk schnell verbrennen", meint Richard Clarke, der den US-Präsidenten 
bis vor kurzem in Fragen des Cyberterrorismus beraten hat. 

Das Glasfasernetz ist das Nervensystem jedes modernen Landes. Durch die 
Kabel fließen nicht nur E-Mails und andere Internet-Daten. "Die machen nur 
rund fünf Prozent des Gesamtverkehrs aus", erklärt Gorman. Der Großteil 
der Datenmenge ist noch weitaus sensibler: der Finanztransfer der Banken, 
die Verkehrsleitsteuerung, Signale für die Strom- und Wasserversorgung, 
geheime Militärinformationen. Alle diese Daten werden in Bits verwandelt 
und dann per Lichtblitz durch die Glasfasern gejagt. 

Bislang konzentrierte sich die Sorge von Staat und Wirtschaft vor allem 
auf Computerviren, die Rechner lahm legen. Oder auf Hacker, die in die 
Systeme von Banken und Ministerien einbrechen. "Dabei wurde übersehen", 
erklärt Gorman, "dass die virtuelle Welt eine ganz reale, materielle 
Struktur hat: nämlich die Kabel selber - und die lassen sich notfalls auch 
mit einer Heckenschere zerschneiden." 

Im Zimmer seines Professors - dem einzigen Ort, wo er noch Besucher 
empfangen darf - zeigt er zur Verdeutlichung eine grobe Skizze seiner 
Datenlandkarte auf einem Plasmabildschirm. "Wir haben uns verpflichtet, 
nicht mehr zu verraten", entschuldigt sich Gorman. 

Auf den ersten Blick sieht das Bild aus wie ein Wust aus Lichterketten an 
einem Weihnachtsbaum: Die orangefarbenen Kerzen sind die Knotenpunkte des 
Glasfasernetzes, die schwarzen Kabel verbinden sie. 

Gorman lässt die komplexe Struktur von seinem Laptop Schicht um Schicht 
abtragen, und das Chaos weicht klaren Mustern. Für fast jede Branche hat 
Gorman das dazugehörige Datennetz ermittelt, auf dem sich die jeweiligen 
Unternehmen austauschen: für die Stromversorger, Einzelhandelsketten, die 
Gasindustrie. 

"Sie alle besitzen eigene Kapazitäten im Glasfasernetz und sind kreuz und 
quer verbunden", erläutert Gorman und liefert ein Beispiel: Wegen einer 
Großveranstaltung steigt in einer Stadt der Stromverbrauch. Über das 
Glasfasernetz fordert das Elektrizitätsunternehmen mehr Erdgas für sein 
Kraftwerk an. "Daraufhin öffnet die Leitstelle des Gasversorgers mit einem 
Computerbefehl, der natürlich auch über das Netz geht, die Leitung und 
lässt mehr Brennstoff zum Kraftwerk strömen." 

Gorman wäre kein guter Geograf, wenn er diese Netzwerke am Ende nicht 
genau dort verortet hätte, wo sie auch in der Realität entlanglaufen: über 
Brücken, durch Tunnel, unter Bürgersteigen und in Kanalisationen. Bestes 
Beispiel sind die Brücken New Yorks, auf denen sowohl Autos als auch Daten 
von und nach Manhattan fließen. 

Wo ein Strang verlegt ist, fügen die Telekommunikationsfirmen der 
Einfachheit halber noch einen nächsten hinzu. "Das ist effizient, macht 
das Netz aber auch verwundbar", warnt Gorman und verdeutlicht dies anhand 
einer Karte von New York. Auf dem Bildschirm zeichnen sich rote Linien ab. 
Sie schlängeln sich über den Hudson ins Zentrum Manhattans und verästeln 
sich dann so wild wie die Arterien in einer Lunge. Hätten ihm die 
Geheimdienste das nicht verboten, könnte Gorman nun auf die Adresse einer 
Bank klicken, die sich am Wegesrand eines dieser Datentaue befindet - und 
augenblicklich würde offenbar, wie sie an das Datennetz angebunden ist. 

Genau das hat er vorgeführt, als er seine Arbeit vor den Sicherheitschefs 
einer großen US-Bank präsentierte. Per Mausklick öffnete er ein Fenster 
auf dem Computer, und die Namen von 25 Telekommunikationsprovidern 
erschienen, über die diese Bank ihren Geld- und Wertpapiertransfer 
abwickelt. "Milliardensummen, Tag aus, Tag ein", so Gorman. 

Peinlich berührt schaute die Truppe von Bankern drein, als Gorman 
offenbarte, dass er sein Kartenwerk allein aus frei zugänglichen Quellen 
wie dem Internet oder von Kartografie-Unternehmen zusammengestellt hatte. 
Die perplexen Finanzmenschen schlugen vor, ihm den Laptop beim Hinausgehen 
sicherheitshalber abzunehmen. 

Die Brisanz seiner Arbeit steckt jedoch nicht nur darin, dass damit das 
Datennetz exakt lokalisiert werden kann. Gorman hat zudem eine Software 
geschrieben, mit der sich für jeden in seiner Karte ausgewiesenen Ort 
berechnen lässt, welche Folgen ein Anschlag dort hätte. "So können wir ein 
Ranking der verwundbarsten Stellen im Datennetz erstellen." 

Wer sich an einem x-beliebigen Glasfaserkabel zu schaffen macht, wird 
meist nur einen begrenzten Schaden anrichten. "Das Netzwerk ist ja dafür 
ausgelegt, bei einer lokalen Unterbrechung genügend Ausweichwege 
bereitzuhalten", erklärt er. 

Doch auch ein einzelner Störfall kann unangenehme Folgen haben: Ein bei 
Bauarbeiten durchtrenntes Kabel der Flugsicherung am New Yorker LaGuardia 
Airport beeinträchtigte tagelang den Luftverkehr. Und der Brand in einem 
Eisenbahntunnel in Baltimore im Jahr 2001 verursachte erhebliche 
Verzögerungen im Internet-Verkehr der Region. 

Nicht zuletzt der Terroranschlag auf das World Trade Center war ein 
Anschauungsereignis: Erst sechs Tage nach dem Anschlag konnte die Börse an 
der Wall Street ihre Arbeit wieder aufnehmen - beim Einsturz des 
Wolkenkratzers waren auch viele Glasfaserkabel im Untergrund gekappt 
worden. 

Wer den Datenverkehr noch effektiver stören will, müsste an mehreren, 
geschickt ausgewählten Punkten angreifen. "Wo genau, das ließe sich mit 
meiner Software ganz gut ausfindig machen", sagt Gorman. So könnten 
gleichzeitig der Verkehr, die Stromversorgung und der Geldtransfer für 
Tage zusammenbrechen. Die Schäden würden schnell in die Milliarden gehen. 

Dass von der George Mason University, einer idyllisch in eine 
Parklandschaft eingebetteten Hochschule, Gefahr für die nationale 
Sicherheit ausgehen könnte, hatte zuerst die "Washington Post" erkannt: 
Eine "Schatzkarte für Terroristen" lagere dort an der School of Public 
Policy. 

Bis zu den Anschlägen vom 11. September hatte sich kaum jemand für die 
Forschungsarbeit von Sean Gorman interessiert, weder Geheimdienste noch 
seine Kommilitonen. Auf Partys hatte er längst aufgegeben, von seiner 
Doktorarbeit zu erzählen. "Ich wollte die Leute nicht langweilen", 
erinnert er sich. 

Drei Wochen nachdem er an der George Mason University mit seiner 
Forschungsarbeit begonnen hatte, stürzten die Türme des World Trade Center 
ein; auf einmal redete jeder über die Sicherheit der Nation. 

Das fürsorgliche Augenmerk in der eigens gegründeten 
Super-Sicherheitsbehörde Department of Homeland Security richtete sich 
bald auch auf die Infrastruktur des Datenverkehrs. Im Dezember 2001 etwa 
tauchte ein Video mit dem lächelnden Konterfei Osama Bin Ladens auf. "Das 
Bluten der Wirtschaft geht weiter", sagte er darin in Anspielung auf die 
Schäden des Angriffs, "aber sie braucht weitere Schläge." In bildhaftem 
Arabisch orakelte er darüber, "die Gelenke" dieser Wirtschaft ausfindig 
machen zu wollen. Waren damit auch die Glasfaserkabel gemeint? 

Die Weltpolitik hat Gormans Studentenidylle reichlich auf den Kopf 
gestellt. Plötzlich hält er Vorträge, und seine Zuhörer sind keine 
Akademiker mehr, sondern Chefs aus großen Konzernen. Dem plötzlichen 
Rummel versucht er, sooft es geht, zu entkommen. Er setzt sich dann in 
seinen Jeep und fährt zum Potomac, wo sein Ruderboot liegt. 

Noch immer passiert es ihm dabei, dass er auf dem Weg zum Fluss in eine 
falsche Straße biegt. Sein Orientierungssinn sei nicht gerade gut 
ausgeprägt, gesteht er: "Weil ich mich häufig verlaufen habe, war ich 
schon als Kind so fasziniert von Karten." 

GERALD TRAUFETTER
 

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