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[infowar.de] taz-Serie: Der Krieg und die Medien (2): Landkarten



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Und hier der zweite Teil.
RB


taz Nr. 7134 vom 19.8.2003, Seite 14, 162 Zeilen 
taz-Serie: Der Krieg und die Medien (2)

Die Karten vom Krieg

Der Krieg und die Medien II: Ohne Landkarten von der Krisenregion kommen
weder TV-Sender noch Zeitungen aus. Deren Angaben sind nach
Expertenmeinung aber viel zu häufig veraltet oder fehlerhaft. Und
manchmal sogar bewusst manipuliert

von CARLA PALM

Klaus Rauscher, Vorstandsvorsitzender beim Energiekonzern Vattenfall
Europe AG, versuchte an diesem Tag, über sich hinauszuwachsen. Als er im
April mit Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer für einen Tag seinen
Arbeitsplatz tauschte, musste der Manager gleich in der 10-Uhr-Konferenz
der Wirtschaftszeitung die Weltlage beherrschen. Am Irakthema kam man
damals nicht vorbei, aber "warum brauchen wir immer eine Landkarte? Geht
das nicht auch anders?", sinnierte der Manager. Geht es nicht, warnen
die Geografen Jürgen Clemens und Andreas Dittmann. Denn je nachdem, in
welchem Zusammenhang Karten gestellt werden, können sie sehr viel Unheil
anrichten.

Seit den Anschlägen vom 11 .September beobachten die beiden
Wissenschaftler die in deutschen Printmedien veröffentlichten Karten
über Süd- und Mittelasien. Ihre Ergebnisse sind alarmierend. Selbst
seriöse Blätter wie der Spiegel oder die FAZ hätten ein Potenzial an
kartografischen Fehlern angehäuft, das geeignet sei, die gesamte Branche
zu diskreditieren. Zwar sind die Schnitzer nicht ganz so erschreckend
wie etwa beim amerikanischen TV-Sender CNN, der auf seiner Europakarte
die Schweiz immer mal wieder mit der Tschechischen Republik vertauscht.
Aber "es werden Verkehrsstraßen angegeben, die real gar nicht
existieren, und Grenzen gezogen, die so nicht verlaufen", sagt Jürgen
Clemens vom Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Bei
Afghanistan-Abbildungen beispielsweise verließen sich viele Redaktionen
blindlings auf Angaben, die noch aus der der sowjetischen Besatzungszeit
stammen. Besonders geärgert hat sich Clemens über eine Ausgabe des
Wissensmagazins National Geographic, eigentlich für seine Präzision
bekannt. Die Zeitschrift "erfand" in einer großformatigen Kartenbeilage
über Afghanistan und Parkistan das Verkehrswegenetz neu und machte aus
schwer passierbaren Maultierpfaden vierspurige Autobahnen.

Viel subtiler arbeiten dem Südasien-Experten zufolge die Bild-Zeitung
und der Spiegel. Zum Beleg ihrer Schlagzeilen verwenden sie
überdurchschnittlich häufig thematische Karten, die sie so lange am
Computer bearbeiten, bis die Landschaft schön bunt aussieht. Mit
eingeklinkten Porträts Ussama bin Ladens oder militärischer Symbole wie
Raketen oder Flugzeugträger, die das Zielgebiet von allen Seiten
umzingeln, komponieren Grafiker am Bildschirm bunte Collagen. Bestens
geeignet, unterschwellige Botschaften in den Köpfen der Leser zu
hinterlassen: "Die Maßstäbe geraten aus den Fugen, und unvermeidlich
drängt sich das Gefühl von der überlegenen westlichen Militärmacht auf",
so Clemens. Dahinter verberge sich nicht selten ein versteckter
Eurozentrismus. Die Kartenauswahl der Redaktionen richte sich nach der
heimischen Interessenslage. Mit einer an Fakten und Daten gebundenen
Berichterstattung habe das jedenfalls nichts mehr zu tun. 

Im schlimmsten Fall führen falsche Karten auch zu falschen
Lösungsansätzen. So veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Focus eine
selbst gebastelte Karte über den "Islam und sein Verbreitungsgebiet".
Bei der Einteilung der ethnischen Gruppen ging viel durcheinander, für
Indien mit derzeit 11 Prozent muslimischer Bevölkerung errechnete die
Münchner Zeitschrift einen Anteil von 34 bis 74 Prozent - und die
Darstellung schiitischer Siedlungsgebiete in Pakistan und in Kaschmir
war irreführend oder falsch. Die verschiedenen Ethnien dürfe man auf gar
keinen Fall in geschlossene Gebiete unterteilen, "die Grenzen sind
fließend", berichtigt Clemens. Die Folge: Religiöse Krisenherde sehen
viel harmloser aus, als sie in der Realität sind. Die eigentlichen
Probleme der Region fallen unter den Teppich beziehungsweise unter die
Karte.

Dabei könnten die meisten handwerklichen Fehler vermieden werden,
glauben die Wissenschaftler: wenn die Redaktionen ihr Kartenarchiv nur
einmal gründlich aktualisieren und vor dem Publizieren geografischen
Sachverstand einholen würden. Eine einzelne Karte bleibt eben nur eine
von vielen Möglichkeiten, ein Land oder bestimmte demografische Daten
wiederzugeben. Andreas Dittmann vom Geographischen Institut der
Universität Bonn empfiehlt, in den über Internet zugänglichen
Nationalarchiven der betroffenen Staaten nach verlässlichen Karten zu
suchen. Das US-Department of Defense sei außerdem eine gute Quelle für
Satellitenaufnahmen, und die UN biete auf ihrer Webseite kostenlose
Karten zum Downloaden an. "So pervers es klingt, aber ich würde jetzt
schon damit anfangen, gutes Material über Syrien und den Libanon
zusammenzutragen", rät Dittmann. Schließlich weiß man nie, wo der Cowboy
aus Texas als Nächstes die Demokratie hintragen will. Dann hätten selbst
Kriege noch einen Nutzen. "War teaches Geography", lautet ein altes
Geografen-Sprichwort.

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